Ich bin neu hier - das was ich bisher in diesem Unterforum gelesen habe, finde ich sehr interessant. Zum Thema Kapitalismus möchte ich auch meinen Senf dazugeben:
Der Teufel schickt den Alien
Das Kapital – bloß nicht! Na gut, aber auch von Kapitalismus zu reden, wäre schon bedenklich, weil den Leuten dazu rückblickend nur Sozialismus einfällt. Und der ist gegenwärtig so out wie das Rauchen. Der Sozialismus in den klassischen und bereits realisierten Formen wird sich sowieso nicht wiederbeleben lassen. Das wirft eine entscheidende Frage auf: Ist die kapitalistische Weltgesellschaft zukunftsfähig? Nein, behaupte ich. Sie macht uns auf Dauer kaputt. Viele wissen es, unter vorgehaltener Hand raunen sie es sich zu, und sie sehen sich dabei um, obwohl noch kein Anlass dazu besteht. Andererseits: Die Erde wird ja nicht untergehen, die Menschheit wird nicht verschwinden, also bitte kein Doomsday-Pathos.
Wohl erst nach einem weiteren Jahrhundert wird das Herrschaftssystem von Konzernen im Allmachtswahn als folgenreiche Verirrung in die Geschichte eingegangen sein. Für mich ist der Teufel die Seele des Konzerns – ich weiß, das klingt meschugge, außerdem wirkt Konzernschelte hoffnungslos abgedroschen. Mit meinem Teufel hat es trotzdem etwas auf sich, unabhängig davon, ob man religiös ist: Großunternehmen lenken das Schicksal der Menschen, selbst wenn die nichts davon ahnen. Sie steuern ihre Bedürfnisse, sie bemächtigen sich ihrer Gefühle, sie legen den Gesichtskreis des Individuums fest. Nebenbei determinieren sie noch die Nichtshaftigkeit des Todes, mit schön gerahmten Gucklöchern für den Ausblick auf Mysterien, die ebenso lachhaft wie eingängig sind – so lassen sich die hartnäckigen Gläubigkeitsreflexe gut vermarkten.
Woher kommt mein Konzern-Teufel? Sein Geburtsort ist die Firma. Große Unternehmen handeln nicht menschlich – was nicht heißt, sie handelten automatisch unmoralisch. Als existenzieller Antrieb entspricht der Betriebszweck des Unternehmens dem Selbsterhaltungstrieb des Menschen. Voraussetzung für eine starke Volkswirtschaft sind effizient arbeitende Einzelunternehmen. Und das ist auch gut so, denkt man – denn irgendwo muss das Geld für unseren Lebensstandard ja herkommen.
Problematisch wird es, wenn viele Firmen sehr groß werden. Dann entsteht eine abgehobene Dimension von Ökonomie, die unkenntlich und so komplex wird, dass sie kaum noch zu kontrollieren ist. Firmen des Zuschnitts von Global Players verdienen so viel, dass sie andere Unternehmen der Reihe nach aufkaufen, es entstehen oligopolistische Märkte, das bilanzielle Eigenkapital wächst so sehr an, dass es intern nicht mehr einzusetzen ist. Es muss verselbständigt nach einer rentierlichen Investition suchen.
Diese Verselbständigung ist katastrophal, ein Werk des Teufels. Sie hat einen Weltfinanzmarkt hervorgebracht, mit einer unvorstellbaren, fiktiven Geldschöpfung, dem volkswirtschaftlich nichts Fassbares zugrundeliegt. Die Entwicklung hat bereits Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts eingesetzt, und sie kulminiert. Wie ein hungriger Wolf nach Fleisch, so giert ein ungeheures Kapitalvolumen nach seiner Nahrung, der Rendite – koste es, was es wolle. Und wie ein hungriger Wolf die Menschen angreift, tut es auch das Kapital. Denn es wird von den Konzernen gehalten, deren Seele der Teufel ist. Ackermann, Esser & Co. tarnen ihn, sie dienen ihm – ob bewusst oder unbewusst. Jebenfalls erhalten sie dafür einen fürstlichen Lohn.
Das anonyme Großkapital ist der Alien im Raumschiff Erde. Wir werden ihn so leicht nicht los. Selbst im Kino hat es nach der vierten Fortsetzung immer noch nicht geklappt. Niemand weiß, was der Alien vorhat – man weiß nur, dass er sich selbst ins Unendliche multiplizieren will, und dass dieses Monster die Menschen bedroht. Alien, Teufel – alles idiotisch? Eine Welt ohne Kapital wäre schließlich nicht vorstellbar.
Doch inwieweit darf man es sich selbst überlassen? Im Schutz der Konzerne hat sich das Großkapital der politischen Steuerung weitgehend entzogen, indem es das kümmerliche Instrumentarium der nationalen Regierungen in seiner Wirkung paralysiert und ganze Entscheidungsebenen korrumpiert. Das schüttere System der Sozialen Marktwirtschaft wird langsam aufgerieben, und wir bemerken es nicht. Im internationalen Maßstab zeichnen sich überhaupt keine handlungsfähigen Korrektive für eine menschenwürdige Welt ab: Unter der US-Fuchtel ist die UNO nicht viel mehr als der eitle Jahrmarkt einer riesigen Diplomatenclique, eine Schwatzbude, die mit zahllosen Blauhelm-Einsätzen über ihre Ohmacht hinweg agiert.
Das wäre für mich ein sinnvoller Lehrstuhl: nämlich die Auswirkungen des verwilderten Großkapitals auf die Menschheit und deren Zukunft zu analysieren – doch allein der öffentlich formulierte Vorsatz würde einen Entrüstungssturm auslösen. Wer Antworten sucht, wird an den heutigen Universitäten bestimmt nicht fündig. Da beten Scharen von Studenten die Litaneien von Mikro- und Makroökonomie herunter und träumen davon, Trainee zu werden.
Dass man diesen Teufel nicht mit dem Beelzebub Sozialismus austreiben kann, ist also nur dann eine nützliche Erkenntnis, wenn man es nicht einfach dabei bewenden lässt. Wir stehen vor einem Handlungsvakuum und warten auf die Implosion. Der Gegner ist so heimtückisch, dass viele Menschen seine Feindseligkeit nicht wahrhaben wollen, ein Meister der Mimikry, glitzernd, ultramodern, sogar symphatisch per Corporate Identity – doch in Wahrheit eiskalt und absolut rücksichtlos, zwischen all den Wachtürmen unermüdlicher Vorbereiter des vorgezogenen Harmagedons.
[ Editiert von topinambur am 20.12.06 6:43 ]
[ Editiert von topinambur am 20.12.06 6:50 ]