Daniel kam um fünf Uhr morgens nach Hause. Er stieg aus dem überfüllten Nachtbus, steckte die paar sehnsüchtigen Blicke einiger Mädchen und Jungs weg wie nichts und rauschte wie eine Fledermaus, lange vor dem Morgengrauen über die leere Strasse. Es war stockdunkel und über Nacht war die Kälte noch griffiger geworden. War ein kurzer Ausflug, was? Hast Dich ein wenig in den Blicken der Jungs verheddert und dann den Boden unter den Füßen verloren? Ja. Die Mischung machts: Ein halbes Extasy, zwei Line Koks, fünf Cola Barcardi und nichts ist mehr so wie es mal war. Das Ritual zu Hause, ja, das Ritual. Hat doch alles so gut angefangen. Hast Dich selbst neu definiert, machst Du doch immer so. Nackt ausziehen. Duschen und einölen. Teelicht im Wohnzimmer und Debussy rieselt aus den Boxen. Dein Leib leuchtet wie eine Fata Morgana durch die Gardinen, Brot für die Bettler und einsamen Wichser. Dann anziehen. Die enge Lederhose, das Ledershirt, den Matrix Revolutions Mantel, die Schnürstiefel. Du kennst Deine Gäste und Du kennst ihre Blicke. Aber diesmal kam es anders, was? Daniel ging langsamer und beschloss, wenigstens die Kälte zu genießen. Das Leder wärmte ihn nicht mehr. Die Kälte war umfassend. Die Kälte drang in ihn ein. Die Kälte war wie ein Finger in seinem Arsch. Er blieb verblüfft stehen und fragte sich zum ersten Mal in seinem Leben, ob diese Art von Stimmung anhalten könnte. Länger als ein Moment Weltschmerz, länger als gerade eben. Könnte dieses Gefühl von Trauer ein Begleiter werden? Jemand, den man nie wollte und doch nie mehr los wird? Um ihn herum war es totenstill. Der Nachtbus war an ihm vorbeigerauscht und brachte die anderen Russpartikel der Nacht nach Hause. In ihre Betten, zum letzten Drink vor dem Nachhausegehen, zu einem verzweifelten Fick auf dem Bahnhofsklo bei der Endstation. Die ganze Nacht hatte sich Daniel durch und durch geil gefühlt. Und oh ja: Da waren Blicke. Direkt und über Bande. Sie waren da und schickten ihre protoplasmatischen Finger nach ihm aus, tasteten sich zwischen seinen schwarz umspannten Schenkel vor bis zu seinen Eiern, Blicke zogen ihn aus, Blicke bemaßen seinen Schritt, Blicke hungerten und wollten ihn. Das Problem an diesem Abend war, dass Daniel selbst auch wollte. Er wollte befingert, angerührt, an den Haaren gerissen und gestopft werden. Und je mehr Koks er in sich reinschaufelte, desto deutlicher wurde sein Begehren, genommen zu werden. Er fühlte sich anfangs wie ein schwarzer Schwan unter zerzausten Entchen. Später fühlte er sich müde und zum Schluss wie eine räudige Hündin. Er hatte sich einen Jungen ausgesucht und wollte ihm eine echte Chance auf Zärtlichkeit einräumen. Ok, diesmal kein böses Spiel mit fremden Träumen. Ein bisschen verstrahltes rumknutschen auf dem Klo, ein paar Griffe in die Dunkelheit, knarren von Leder, Silberring schimmert irritierend. Und plötzlich war er weg, der Junge. Ohne ein Wort. Nur mit diesem Blick: Halt die Füße still Kumpel, ich bin ne Nummer zu heiß für Dich. Und Daniel dachte nach, ob seine Perfektion in Sachen Standing&Modeling nicht zu Lasten seiner körperlichen Leidenschaft errichtet war. War es denn so? Die ganze Energie da rein gesteckt und wenn es nun zur Sache ging, ein halbwarmer Versager? Von wegen Plutonium hinter den Augen, von wegen Strontium in den Eiern, Kumpel! Du siehst lecker aus. So wie die Davids Statue. Und ehrlich, der Statue würde ich auch keinen blasen. Daniel seufzte und ging langsam weiter. Die Schritte, die Schritte. Die Stiefel knarrten wie immer. Es hallte von den Wänden, die Strasse lag windstill da und rührte sich nicht. Sie hörte ihm zu. Beim gehen und denken. Daniel hatte die ganze Disco nach dem Jungen durchsucht; Treppauf, treppab, hin und her. Kein cooles Gesicht mehr, der Kerl war zu schön und es war eine zu fiese Aktion, ihn da einfach mit pochenden Eiern stehen zu lassen, nur weil er nicht mehr wusste wie… „Was wusste ich denn nicht? Ich hab doch alles richtig gemacht. Ich hab ihm erlaubt mich anzugreifen…“ „Drauf geschissen, du Penner. Er wollte von Dir erobert werden. Du hättest Dich um ihn bemühen sollen und nicht wie ein durchgeknalltes Model auf dem Waschtisch vor dem Spiegel am Herrenklo sitzen und dich so endlos passiv ausgreifen lassen. Du hättest etwas tun sollen. Kannst Du Dich denn nicht mehr erinnern wie das geht? Zärtlich sein? Küssen? Am Hals knabbern und lieb lächeln, wenn’s ihm kommt?“ Daniel blieb noch mal stehen und spürte einen Kloß im Hals. „Ich habs gewusst. Ich habs doch mal gewusst.“ Die Straße schwieg. Daniel hustete und spuckte aus. Er ging langsam weiter und bog in seine Gasse ein. Was für ein Januar. Was für eine erstaunlich klare Kälte! Daniel sperrte das schwere Tor auf und trat in den dunkeln Flur. Hier herinnen war es genauso kalt wie draußen. Nur die Finsternis war umfassender. Die durchdringende Kälte versteifte seine Brustwarzen. Und die Brustwarzen rieben innen am engen Ledershirt. Daniel stellte verblüfft fest, dass er alles überdeutlich hörte: Sein Atmen, das Knirschen seiner Lederkleidung, das Pochen des Blutes in seinen Ohren, das Geräusch, das seine Daumen verursachten, als sie über die Hügelchen rieben, die die Brustwarzen durch das Leder drückten. Daniel wurde grausam geil. Er wimmerte und riss sich zusammen. Er ging weiter, rechts hinauf über die weit geschwungene Treppe in den ersten Stock. Gleich zu Hause, bin gleich da, fast da… Mit einer Hand kramte er den Schlüssel aus der Manteltasche, mit der anderen Hand griff er sich schmerzhaft brutal aus. Er sperrte die Wohnung auf und schloss die Tür hinter sich. Daniel hängte den Mantel auf und zog sich die Schnallenstiefel aus. In der Küche blieb er ein paar Minuten bewegungslos stehen und lauschte. Der einsame Sound der Therme. Wusch, wenn sie ansprang. Zuerst: zk zk zk, dann Wusch. Daniel zerrte das Ledershirt aus der Hose und verrenkte sich, während er es auszog. Er ließ es achtlos zu Boden fallen und schnappte sich zwei Teelichter vom Küchenboard. „Seht mich an.“, dachte er wütend und verzweifelt, „Schaut mir zu, Bettler!“ Er stellte die Teelichter im Wohnzimmer auf den Tisch, zündete sie an und wiegte sich lasziv zu einer unhörbaren Musik. Die Musik war das Rauschen seines Blutes, der Takt war sein Puls. Er öffnete den Gürtel, zog ihn aus den Schlaufen und wickelte ihn sich um den Hals. Geübt, professionell und sehr lasziv. Er knöpfte die Lederhose auf und zog sie langsam runter; ein paar Augenblicke später stand er nackt und zitternd vor Kälte und frustrierter Lust im Wohnzimmer und streichelte sich. Die selbstsicheren, selbstverliebten Berührungen hatten sich im Lauf dieser Nacht verwandelt. Daniel spürte, während er sich streichelte und wütend in Lust versetzen wollte, dass die laszive Schönheit seiner Selbstsicherheit erheblichen Schaden genommen hatte. „Seht mir zu.“, flüsterte er zum Wohnzimmerfenster, „Seht mir bitte zu.“, wimmerte er der Gasse zu. Er nahm seine linke Brustwarze zwischen Daumen und Zeigefinger, drehte dran, zupfte dran. Er griff zwischen seine Beine und fummelte lustlos an sich rum: „Seht mich an.“ Es stellte sich nicht die geringste sexuelle Erregung ein. Nicht einmal ein Echo jener Glorie, als er sich aufs Weggehen vorbereitet hatte. Die Wände seiner Wohnung atmeten ihn abwartend und lauernd an: „Na? Wer ist jetzt ein Winterbettler?“ "Ich bin kein Bettler," flüsterte er und seine Augen schimmerten feucht. "Ich bin kein..." Daniel umfasste sich und setzte sich auf die Kante der Couch. Er wiegte sich. Vor und zurück. Vor und zurück. Die Teelichter flackerten in seinem Atem. Er starrte abwechselnd auf die Teelichter und raus zum Fenster. Dorthin, wo die Dunkelheit dem Katzengrau des Wintermorgens wich. Und er konnte nicht aufhören zu betteln bis ihn die Müdigkeit übermannte. [f1][ Editiert von Nathschlaeger am: 23.11.2003 0:17 ][/f]