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enniaG Offline




Beiträge: 10

04.03.2004 17:58
RE: Meine zweite Kurzgeschichte Antworten

Hilflos

Schweißgebadet schreckte Sabine aus ihrem Traum auf. Sie zitterte am ganzen Körper und fand nicht in die Wirklichkeit. Mit wirren Gedanken war sie am Abend vorher eingeschlafen, weil sie an jene Erlebnisse vor geraumer Zeit dachte, die sie auf Schritt und Tritt verfolgten und ständig in ihre Gefühlswelt griffen.
Seit einigen Monaten lebte sie mit ihrer kleinen Tochter Kirsten allein. Getrennt hatte sie sich von dem Ehemann, bei dem sie all’ das durchlitt, das sie selbst jetzt, in ihrem neuen Lebensabschnitt, verfolgte.
Es waren Monate des Leidens gewesen. Sie hatte gemeint, dass so etwas nur in Filmen ablaufen würde.
Sabine, eine lebenslustige, attraktive Frau, arbeitete als Lehrerin an einer Schule einer kleinen Ortschaft. Sie zog mit ihrer Tochter Kirsten aufs Land, weil sie einen Mann kennen gelernt hatte, der ihren Vorstellungen von einem guten Vater für Kirsten und einen verlässlichen Partner für sie entsprach.
Bisweilen wunderte sich Sabine über die Hinweise ihrer Kollegen, die ihr erzählten, dass ihr künftiger Gatte Alkoholiker sei. Sabine hatte bislang nichts davon bemerkt.
Der Termin für die Hochzeit stand fest, Verwandte und Bekannte waren zur Feier eingeladen. Der Bräutigam nahm sich den Abend vor der Hochzeit frei, um seinen Abschied vom Junggesellendasein zu feiern. Die Schwiegermutter und Sabine verbrachten den Abend daheim. Sie waren dabei, noch einige Dinge für die Feier zu bereden, da stolperte Kurt zur Tür herein, lallte und stierte Sabine mit blutunterlaufenen Augen an. Sabine fragte, warum er so betrunken sei und erhielt die Antwort, sie solle ihre Schnauze halten, sonst könne sie morgen grün und blau zur Hochzeit erscheinen.
In Sabines Kopf arbeitete es fieberhaft: Was soll ich nur tun? , dachte sie. Kann ich die Hochzeit noch absagen? Was werden die Verwandten denken? Zurück kann ich mit Kirsten nicht, denn wir haben unsere Wohnung aufgegeben! Ihre Augen füllten sich mit Tränen.Sie konnte es nicht begreifen, dass ihre Kollegen die Wahrheit gesagt hatten. Es gab keinen Ausweg, die Hochzeit musste stattfinden.
Kurt war allein ins Bett gekrochen. Er schien seinen Rausch auszuschlafen.
Sabine hingegen wälzte sich von einer Seite auf die andere und überdachte ihre beengte Situation. Vielleicht war es auch nur ein Ausrutscher bei ihm und es kommt nicht mehr vor - das waren ihre letzten Gedanken, mit denen sie sich in einigen unruhigen Schlaf quälte.
Am nächsten Morgen wachte sie auf und meinte, dass sie alles nur geträumt haben könne.
Sie erblickte neben sich den schlafenden Kurt und erkannte, dass sie nicht geträumt hatte. Ekelerregend roch er nach Schnaps! In Sabine kroch Unentschlossenheit hoch.
Was soll ich nur tun? Frau Schubert, die Standesbeamtin, wohnt im Nachbarhaus, vielleicht wäre es besser, diese Hochzeit abzusagen? , überlegte sie.
In ihr rumorten wirre Gefühle: einerseits kannte sie nun das wahre Gesicht Kurts, andererseits konnte sie hier nicht weg. Sie hatte die Wohnung in ihrem Heimatort aufgegeben und war diesem Menschen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Beim Frühstück benahm sich Kurt so, als sei nie etwas vorgefallen. So fügte sich Sabine in ihr neues Leben. Es schien alles gut zu gehen.
Eines Abends fand sich Kurt nach der Arbeit nicht daheim ein. Sabine wartete und wartete. Plötzlich trommelte es an der Wohnungstür. Irgendetwas plumpste mit dumpfem Schlag dagegen. Sabine versuchte, die Tür zu öffnen. Da lag der stockbetrunkene Kurt, stierte sie mit wirrem Blick an und schrie: „Was glotzte so, blöde Kuh!“ Mit schwerer Zunge lallte er weiter. „Hilf mir hoch, du Schlampe!“ Sabine schleifte ihn mit Mühe in die Wohnung. Im ersten Moment wusste sie nicht, was sie tun sollte. Völlig überfordert schien sie mit dieser Situation zu sein. Hätte sie doch nur auf die Warnungen ihrer Kollegen gehört!
Sie schlich ins Kinderzimmer zu ihrer Tochter, die von alledem nichts mitbekommen hatte und legte sich neben sie. Zur Vorsicht schloss sie das Zimmer ab, denn sie fürchtete sich vor dem betrunkenen Ehemann.
Nachts ging sie ins Bad. Plötzlich griffen sie zwei Hände um das Genick. Sabine schrie vor Schreck und Schmerz.Kurt grölte: „Komm’ her, los, Schlampe“ und zog sie an sich heran. Angewidert versetzte ihm Sabine einen Stoß, so dass es der Länge nach zu Boden polterte. Schneller als vermutet erhob er sich, versetzte seiner Frau einen harten Schlag am Kinn. Sabine schrie vor Schmerz. Es gelang ihr, ein Handtuch zu greifen und es an ihren Kopf zu pressen. Danach verschwand sie, so schnell es ging, ins Kinderzimmer. Fest verriegelte sie die Tür.
Am nächsten Morgen fand, wie üblich, das gleiche Spiel statt: Kurt wusste von nichts. Sabine suchte mit ihren Verletzungen einen Arzt auf. Die starken Prellungen im Gesicht litt sie schweigend, ging weiter zum Dienst und unterrichtete unter Schmerzen. Stets arbeitete Angst in ihr, was sie abends erwarten würde.
Geraume Zeit herrschte familiäre Eintracht, Kurt schien nicht mehr zu trinken.
Eines Nachmittags jedoch kam er wieder völlig blau heim. Er wollte Sabine zwingen, mitzutrinken. Sie weigerte sich. Er öffnete das Küchenfenster und schrie: „Wenn du das nicht willst, dann bekommst du das!“ Der Angetrunkene hielt sie mit seinen mächtigen Pranken fast zum Fenster hinaus. Sabine schlotterte vor Angst. Widerwillig trank sie einen Schluck Schnaps. Ekel schüttelte sie.
In ihr reifte der Entschluss, dass sie dieses Leben nicht mehr so leben wollte. Schließlich litt auch ihre Tochter darunter.
Sie reichte die Scheidung ein und ahnte nicht, welche Lawine sie mit ihrem Handeln lostreten würde.
Eines Abends, ihre Schwiegermutter war zu Besuch, kam Kurt wieder volltrunken heim. Statt sich ins Bett zu begeben, ließ er sich die Badewanne voll Wasser und legte sich hinein. Lange herrschte Ruhe, bis Sabine dazu kam. Entgeistert blickte sie auf den Menschen, der ihr Ehemann war und sagte ihm: „Ich mache das nicht mehr mit. Ich habe die Scheidung eingereicht!“
Kurt zog sich an der Wanne hoch, plumpste zurück, das Wasser trat über den Wannenrand. Er kam schließlich auf den Boden und auf allen Vieren in den Flur gekrochen – nass und eklig – widerwärtig anzuschauen, griff sich seinen Hosengürtel und schrie: „So, jetzt hänge ich mich auf!“ Und das - nackt, wassertriefend, glotzend. Ekel und Angst befielen Sabine und ihre Schwiegermutter. Dem Betrunkenen gelang es, den Gürtel um seinen Hals zu schlingen. Er wollte sich an einem Haken der Garderobe strangulieren, plumpste aber wegen seiner Leibesfülle herunter und lag da wie ein nasser Sack.
Sabine und ihre Schwiegermutter kümmerten sich nicht um ihn, sondern liefen schnell zu Kirsten, die völlig verängstigt an der Kinderzimmertür stand und sicher einiges mit angesehen hatte. Für Sabine stand es fest: Wir bleiben keine Sekunde länger hier!
Sie zogen die Kleine schnell an, packten das Nötigste zusammen und verließen in aller Eile die Wohnung. Für die nächste Zeit würden sie mit Oma zusammen wohnen.
Die Scheidung lief. Sabines Nerven lagen fast blank. Fast täglich klopfte Kurt an die Fenster der Wohnung, die im Erdgeschoss lag, und bat um Einlass. Er versprach das Blaue vom Himmel herunter, bettelte wie ein kleines Kind.
Die junge Frau konnte diesen Zustand nicht mehr ertragen. Sie ging mit Kirsten zurück zu ihm, denn auch körperlich hatte sie sehr gelitten und war abgemagert. Dazu der tagtägliche Unterricht – sie schien am Ende ihrer Kraft!
Wieder trat eine Art Waffenstillstand ein, aber ein Trugbild ...abends erneut diese schweren Schritte, lautes Rülpsen, das Lallen, das Knallen und wüste Worte.
Sabine verkroch sich zu Kirsten ins Zimmer. In Windeseile und mit zittrigen Händen verriegelte sie die Tür, setzte sich an den Schreibtisch und kritzelte mit großen Buchstaben auf einen Papierfetzen: „Hilfe! Polizei! Werde lebensgefährlich bedroht!“ Sie kannte den Jähzorn ihres Ehemannes. Schnell ließ sie den Zettel zum Fenster hinaus flattern.
In diesem Moment trommelte Kurt an die Tür und warf sich mit Wucht gegen diese, dass jene splitterte. In der Hand hielt er eine Kohlenschaufel, mit der er auf Sabine zuging und drohte: „Ich schlage dich tot, du Miststück, du Schlampe, wenn du nicht die Scheidung zurück nimmst!“
Sabine zitterte wie Espenlaub. Ihre Tochter, die alles ansehen musste, hielt sie fest umschlungen. Todesangst befiel sie, ein Zittern schüttelte ihren abgemagerten Körper. Die Zähne klapperten – Eiseskälte und Hitze wucherten abwechselnd in ihr, Panik ließ sie erstarren.
Plötzlich trommelte es an der Wohnungstür. „Öffnen Sie, hier ist die Polizei!“
Im letzten Moment – die Rettung.
Der Widerling wurde in für kurze Zeit in Gewahrsam genommen. Sabine und ihre Tochter konnten etwas ruhiger leben.
Sabine brachte vorausblickend einige Sachen zu der Mutter eines ihrer Schüler, die ihr schon einmal geholfen hatte. Sie ahnte – sie hat nicht lange Zeit dazu, denn früher oder später würde der saubere Herr wieder auftauchen, dann wäre es ihr sicheres Ende.
Gut geplant, denn kaum war Kurt wieder daheim, sperrte er Sabine und ihre Tochter aus der Wohnung aus. Beide wohnten einstweilen bei Marie, der Mutter eines von Sabines Schülern.
Jene kannte die missliche Situation der Lehrerin und war bereit, ihr mit der Unterkunft über die schlimme Zeit zu helfen.
Sabine war körperlich und seelisch zermürbt, fast zerstört. Einzig und allein Arbeit und ihre Tochter verliehen ihr Trost und Kraft.

.
Geraume Zeit verbrachten Mutter und Tochter bei Marie, doch eine Lösung auf Dauer konnte das nicht sein. Sabine benötigte Ruhe für ihre Unterrichtsvorbereitungen. Ihre Tochter brauchte ebenfalls einen geregelten Tagesablauf.
Schließlich gab Sabine den erneuten, inständigen Bitten Kurts nach. Wieder kehrten sie zurück zu ihm, um in gewohnter Umgebung zu sein.
Frauenhäuser wie im Westen gab es in der DDR nicht, und Hilfe von ihren Verwandten erwartete sie nicht, da jene weit entfernt wohnten.
Außerdem zog Sabine den Antrag auf Scheidung zurück, um Kurt eine Chance zu geben, seine Versprechen einzulösen und sich einer Kur zu unterziehen.

An einem frühherbstlichen Tag hielt sich Sabine im Garten auf, der sich etwas entfernt von ihrem Wohnhaus, nahe am Wald, befand..
Sie war schon etwas wärmer angezogen, denn zeitweise war es ziemlich kühl.
Letzte Woche hatte sie sich eine wunderschöne dunkelgrüne Lederjacke gekauft, in der sie sich besonders wohl fühlte und die sie auch sehr gut kleidete. Ganz stolz war sie auf diese Errungenschaft, denn sie hatte diese als sogenannte " Bück dich Ware“ erstanden ( zu DDR - Zeiten bekam man so etwas nicht auf normalem Wege).
Sabine befand sich allein im Garten. Kirsten hielt sich während der Schulferien einige Tage bei ihrer Oma auf, die in einem anderen Ort wohnte.

Sabine war froh, dass sie Kirsten gut versorgt wusste. Sie wollte endgültig mit ihrem Mann ins Reine kommen. In letzter Zeit hatte jener unentwegt zur Flasche gegriffen und Sabine im Vollrausch geschlagen, sogar versucht, sie zu vergewaltigen. In der Gartenlaube räumte sie ein wenig auf, um sich etwas von ihrem Angstgefühl abzulenken. Herbstsonne strahlte. Sabine hatte sie lange nicht genießen können. Sie holte Gartenmöbel aus der Abstellkammer, stellte einen Stuhl vor die Laube und blinzelte in die Sonnenstrahlen, die ihr Gesicht warm streichelten. Sabine dachte an früher, an jene Zeit, als sie noch mit ihrer Tochter allein lebte. Sie schloss eine Weile ihre Augen und atmete den herbstlichen Duft der großen Tannen, die hinter dem Gartengrundstück wuchsen. Innere Unruhe weckte sie aus den Träumen.
Sie öffnete ihre Augen und erblickte die wundervolle, lila Cosmea, die ihre zarten Blätter den Strahlen der Sonne entgegen reckten. Plötzlich sah sie ihren Ehemann angetorkelt kommen.
Sie redete sich leise zu: Zeige keine Angst, sei ganz ruhig – sage ja nichts.
Ihr Puls raste, ihr Herzschlag hämmerte laut, Angst schnürte ihre Kehle zu und lähmte fast ihr Denken.
Sabine hastete in die Laube, schloss die Tür, ihr Herz raste, ihr Atem flatterte. Kurt riss die Tür auf und tappte mit schweren Schritten auf sie zu, sein Blick flackerte, die Augen waren blutunterlaufen.
Er lallte: „Los, komm’ her, du Schlampe. !“ Angewidert wich Sabine in eine andere Ecke der Gartenlaube aus. Plötzlich schlug der Betrunkene die Tür zu, verriegelte jene, dass Sabine wie eine Maus in der Falle saß.
Angeekelt blickte sie in das vom Suff entstellte Gesicht ihres Gatten. Sie roch den Alkoholdunst, den Schweiß, den Kneipengeruch. Ekel stieg in ihr hoch – Ekel und panische Angst - lähmend, gegen die sie keine Macht hatte anzukämpfen, eine Angst, die ihr die Luft zum Atmen nahm...
Kurt hob einen Stuhl, zerschlug ihn und tappte mit einem Stuhlbein auf die zitternde Frau zu.
Sabine hob schützend ihre Hände vors Gesicht, als sie sah, wie er zum Schlag ausholte, wollte wegrennen, kam ins Stolpern... spürte einen derben Schlag und fiel... fiel und Nebel legte sich plötzlich um sie...
Als jener wich, kam sie langsam zu sich und spürte, wie ihr etwas Warmes auf die Lederjacke tropfte. Blut! Sie tastete an der rechten Schläfe eine Wunde und spürte einen stechenden Schmerz, der ihr fast wieder die Besinnung raubte. In panischer Angst zog Sabine sich am Tisch hoch und begriff, dass sie allein war. Die Tür stand weit offen..
Sabine griff sich ein Tuch und drückte es fest auf die Wunde, aber sie merkte, dass sie schwächer und schwächer wurde.
Gedanken schossen ihr durch den Kopf: Was wird mit Kirsten, wenn mir etwas zustößt?
Hilft mir keiner? Soll das mein Ende sein, so früh schon?
Sie presste das Tuch an die Schläfe und stolperte vorwärts. Übelkeit würgte sie. Die Zähne klapperten, kalte Schauer liefen über ihren Rücken. Taumelnd erreichte sie das kleine Gartenlokal und drückte mit letzter Kraft die Tür auf.
Dann - nur noch Nebel, Nebel und sonst nichts...
.
Durch leichtes Rütteln und Rufen ihres Namens kam sie langsam zu sich. Ihr wurde bewusst,
dass sie sich in Sicherheit befand. Es schien wie eine Ewigkeit, bis der Krankenwagen eintraf, der sie in die Notaufnahme einer Klinik brachte.
Nachdem die Wunde genäht war, befragte sie der Arzt zum Hergang des Unfalls.
Sabine sagte nicht die volle Wahrheit und erzählte etwas von “gestolpert."
Sie allein wusste, was ihr von Kurt bevorstand, wenn sie die Wahrheit sagte.
Dieses Mal war sie, so meinte der Arzt, haarscharf dem Tode entronnen, denn die Wunde befand sich millimeterentfernt von der Schläfe – aber... wie würde es wohl das nächste Mal ausgehen?
Fragen ohne Ende, Ängste, Nöte – all’ diese Gefühle saßen tief in ihr fest, sie spürte sie immer, und sie wusste nicht, wohin dieses Leben noch führen würde.
So schwieg Sabine, litt und hoffte, es irgendwann einmal zu schaffen, aus dieser Ehe
auszusteigen.
Lange würde sie dieses Martyrium nicht mehr ertragen können...

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