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karona Offline



Beiträge: 124

13.03.2004 11:29
RE: Das war auch die DDR - Eine Episode zur Wendezeit Antworten

Aus der "Fluch":

Ab sofort gab es für mich nun kein Zurück, aber wegen der anatomischen Veränderungen auch keinen Arbeitsplatz mehr. Seit August wartete ich praktisch krankgeschrieben auf den Termin für den Eingriff. Doch erst im Januar 1990 wurde ich zur Klärung weiterer Formalitäten an die Universitätsklinik Leipzig bestellt. Dort fuhr ich in dem Glauben hin, dass jetzt alles seinen unaufhaltsamen Gang gehen würde. Seinen Gang gehen bedeutete in meinem Fall aber Warteschleife. Der Professor tat mir bei diesem Termin nur kund, dass ich demnächst mit einer Einweisung rechnen könnte. Das war es dann auch schon.

Auf dem Leipziger Hauptbahnhof hatte ich vor meiner Rückreise nach Eisenhüttenstadt noch ein sehr bedenkenswertes, sprich unerfreuliches Erlebnis. Da ich noch reichlich Zeit hatte, suchte ich die Mitropa - Gaststätte im Hauptbahnhof auf und setzte mich dort zu anderen Gästen an einen Tisch. Ich dachte mir nun gar nichts dabei, als ich angesprochen wurde und gab bereitwilligst Auskunft. Plötzlich sprang einer der jungen Männer am Tisch auf und schrie mich an: "Du Preußenschwein wir machen dich platt“ und weiter, „Preußen haben hier nichts mehr verloren"!
Ich bezahlte danach so schnell es ging und wollte mich, nichts Gutes ahnend, aus dem Staub machen. Die drei Sachsen sprangen jedoch gleich, nach dem ich den Tisch verlassen hatte, ebenfalls auf und verfolgten mich mit wüsten Beschimpfungen erst einmal über einige Bahnsteige hinweg. Mir blieb daraufhin, als letzter Ausweg nur die Flucht in einen Eisenbahnwaggon und dort auf die Toilette. Ich schaffte es gerade noch, die Tür zu verriegeln und hatte dann wirklich Angst, dass sie diese, von ihrem Preußenhass getrieben, eintreten würden. Die Randale jenseits der Tür sprachen jedenfalls dafür.
Unvermittelt, von einem Augenblick auf den anderen, herrschte jedoch eine unerklärliche Ruhe, bis Augenblicke später an der Tür mit dem Befehl: "Machen sie auf hier ist die Transportpolizei", gehämmert wurde. Mir blieb nun nichts weiter übrig, als aufzusperren. Eigentlich dachte ich ja, dass ich nun wohlbehütet meinen Zug erreichen konnte. Denkste war angesagt. Ich wurde erst einmal mit zur Wache genommen und dort einem pausenlosen Verhör unterzogen. Das sollte sich, da kam echte Begeisterung bei mir auf, bis in den frühen Morgen hinein erstrecken.
Erstens hatten sie Probleme mit meiner namentlichen Identität und demgegenüber meinem Outfit, was nach ihren Vorstellungen überhaupt nicht zusammen passte. Außerdem gingen sie davon aus, dass ich in eine kriminelle Handlung verwickelt sein würde und mich im Zug vor dem Zoll verstecken wollte. Der Zug war nämlich erst kurze Zeit vorher aus Westdeutschland kommend, im Hauptbahnhof eingetroffen.
Erst nachdem sie sich frühmorgens mit dem VPKA Eisenhüttenstadt kurzgeschlossen hatten, durfte ich endlich gehen. Den Heimatbahnhof erreichte ich, wie sollte es anders sein, fix und fertig erst am nächsten Vormittag.
Die Erklärung für dieses seltsame Vorkommnis liegt meines Wissens darin begründet, dass viele Sachsen auf die Berliner wütend waren, weil diese sich nicht ebenfalls so intensiv wie sie, die Leipziger, an den Demonstrationen beteiligt hatten. Es war hier bekannt, dass in Berlin im Gegenteil dazu, einige Demonstrationen für den Erhalt der DDR organisiert wurden und auch stattfanden. So zum Beispiel die große Demo am 5. November auf dem Alexanderplatz, auf der wahrscheinlich letztmalig Leute das Wort ergriffen, die sich eine DDR unter demokratisierten Bedingungen vorstellen konnten.

Den Tag des Mauerfalls sollte ich Wochen zuvor, zu Hause, vor dem Fernseher erleben. Der Zufall wollte es aber, dass ich am nächsten Tag einen Termin in der Charite hatte und natürlich die Gelegenheit wahrnahm mich in die, in die Tausende gehende Menschenschlange, am Grenzübergang einzureihen. Nun betrat ich genau an der Stelle Westberlin, die ich über die Jahre hinweg vom Fenster der Klinik aus sehen konnte und die eigentlich so nah und doch so fern gewesen ist. Ein eigenartiges Gefühl war es da schon, das in mir aufkam, als ich mich auf dem nahen Lehrter Bahnhof in die S- Bahn setzte und Richtung Bahnhof Zoo fuhr. Von dort aus ging ich zu Fuß zum Kudamm und reihte mich mit der verständlichen Neugier versehen, in das unübersehbare Heer, von, von Euphorie getragenen, DDR Bürgern ein.

Aber noch einmal zurück zu den Leipzigern. Über das Niveau der Leute die mich fast gelyncht hätten, braucht man auch im Nachhinein nicht zu streiten. Das war dieser sprichwörtliche Abschaum, der in Leipzig durch die Ereignisse an die Oberfläche gespült wurde und leider zum Ende der Demonstrationen, zum großen Teil das Sagen hatte. Ich kann mich jedenfalls noch gut an die grölenden Glatzen erinnern, die wahrscheinlich zahlreicher als sonst das Stadtbild Leipzigs prägten.
Da ich nicht erahnen konnte was sich in einigen Köpfen hier in Leipzig abspielte und nun mal den Berliner Dialekt sprach, entlud sich dieser Zorn auf meine Person die es tatsächlich gewagt hatte eine Leipziger Gaststätte zu betreten. Ich bin auch heute noch der Überzeugung, dass mich diese Leipziger wirklich und wahrhaftig und wie angekündigt, platt gemacht hätten.
*
"Der Fluch":

Meine ganz individuelle Sichtweise zur DDR

Zum Schluss noch ein paar Worte zur DDR. In der Zeit ihres endgültigen Untergangs fühlte ich mich von der Staatsoligarchie missbraucht und verraten, denn mein Glauben an sozialistische Ideale war einst echt und von inniger Überzeugung. Ich glaubte einfach daran, dass das sozialistische Weltsystem, wie mir seit frühesten Kindertagen vermittelt wurde, Sieger der Geschichte sein und bleiben würde. Diese Ideologie beinhaltete für mich eine Welt ohne Krieg, Armut, Hass und Unterdrückung.
Die Entwicklung in der Wendezeit lehrte mich jedoch eines besseren. Spätestens seit November 1989 wurde mir, wie fast jedem klar, dass sich eine Unumkehrbarkeit der Ereignisse abzeichnete und damit der Sozialismus zum Verlierer der Geschichte degenerierte. Ich bin ehrlich genug, dass ich im Gegensatz zur euphorischen Masse, ein wenig Angst vor dem hatte, was nun über uns hereinzubrechen drohte. Meine eigenen Erfahrungen und die abertausender DDR Bürger sollten meine Befürchtungen dann auch recht bald bestätigen.
Wie konnte es von der Logik her auch angehen, dass sich vierzigjährige Entwicklung, in total konträren Gesellschafts- und Wirtschaftssystemen, einfach zusammenwerfen ließ, von den betroffenen Menschen einmal ganz abgesehen. Was mich damals ganz besonders schockierte, war die Selbstaufgabe vieler Menschen, die statt im aufrechten Gang an gesamtdeutschen Verträgen mitzuwirken, dem Herrn Bundeskanzler auf allen Vieren folgten, zumindest aus meiner Sicht.
Ich selber konnte allerdings, seit dem Ende der Siebziger Jahre, die Borniertheit unserer Politbüromitglieder ebenfalls nicht mehr nachvollziehen. Vor allem, wenn es um die Grenzanlagen und das Zwangseingesperrt sein in diesem Lande ging. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die Kollegen, die damals in den Westen gereist sind, keine Probleme damit hatten, wiederzukommen. Nicht einer von den zahlreichen Reisenden, aus meinem Bekanntenkreis zumindest, hatte Ambitionen, im Westen zu bleiben. Wenn jeder die nun zu spät eingeräumte Reisefreiheit trotz Grenzanlagen schon viele Jahre vorher hätte nutzen können, wer weiß welchen Verlauf die Entwicklung dann genommen hätte. Ich meine zudem, dass ein paar Hunderttausend Auswanderer zu verschmerzen gewesen wären. Aber hätte und wenn, was soll das! Eins war jedoch allen westwärts Reisenden bewusst, die Garantie auf einen Arbeitsplatz hatten sie nur, und das laut Gesetz, in der DDR.

Seit dem Alter von etwa 30 Jahren fragte ich mich auch immer öfter, ob es das gewesen sein soll. Ein bis in die Rente vorgezeichneter Arbeitsweg, ohne große Veränderungsmöglichkeiten, war schon damals nicht gerade mein Traum gewesen.
Dass in den Betrieben, vor allem materialwirtschaftlich gesehen, oft nicht mehr viel rund lief, war uns indessen bewusst. Manchmal konnten wir nur noch ungläubig staunen. Die Frage stand für mich deshalb so manches Mal an, ob „Die da Oben“ zu blöd sind, das zu begreifen oder allein von Interesselosigkeit beherrscht werden. Ich denke im Nachhinein beides. Zudem gehe ich davon aus, dass sie in der Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“, mehr als eine Märchensendung für Erwachsene sahen und annahmen, dass es dem DDR Volk genauso ging. Fakt ist nämlich und das wusste der Großteil der DDR Bürger, dass die täglichen Wirtschaftsberichte und Reportagen überhaupt nichts mit der Realität, in den DDR Betrieben zu tun hatten. Allerdings fasse ich mir heute noch an den Kopf, wenn ich daran denke, wie sich die Öffentlichkeit am Altenheim Wandlitz regelrecht aufgegeilte. Die hatten ja, im Gegensatz zu hiesigen und heutigen bundesdeutschen Politikern, wirklich nur Schrott in ihren Häusern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dort ein einziger von ihnen eingezogen wäre.
Zur Erinnerung der Hinweis, dass Wandlitz der Wohnsitz der DDR Elite gewesen ist. Unter anderem lebte dort Honecker. Diese selbstgewählte Isolation war natürlich mit ein Grund dafür, weshalb die Kontakte zu den DDR Bürgern, wider aller Logik, vor allem über Phrasen realisiert wurden.

Vor kurzem hatte ich Internetseiten mit folgenden Feststellungen entdeckt. Nachfolgend ein paar Auszüge daraus:
1. Nur in der DDR konnten Frauen und Kinder abends ohne
Angst die Häuser verlassen.
2. Nur in der DDR waren grausamste Verbrechen so gut wie
unbekannt.
3. Nur in der DDR musste niemand vor Hunger sterben oder
im Winter erfrieren.
4. Nur in der DDR hatte nicht nur jeder ein Recht auf Arbeit,
sondern auch tatsächlich Arbeit.
5. Nur in der DDR gab es keine Zwangsräumungen
Nur in der DDR waren Kinder glücklich.

Den Punkt 6 erspare ich mir, wohlwissend, dass er nicht realitätsbezogen ist. Punkt 1 ist nur zum Teil realistisch und beim Punkt 5 kann ich sagen, dass ich hier auch schon glückliche Kinder erlebt habe. Die Aussagen aller anderen Punkte kann ich jedoch nur bestätigen. Ein gesicherter Arbeitsplatz ist nun mal eines der entscheidenden Kriterien bei der Bewertung einer Gesellschaftsordnung. Des Weiteren ist der Umgang mit den Armen, die es so allerdings in der DDR nicht gab, Synonym für ein Staatswesen. Das musste mir Jahre später, selbst die Ministerpräsidentin Schleswig – Holsteins, Heide Simonis, auf ihrer Wahlkampftour zu den letzten Landtagswahlen bestätigen. Anlässlich einer Telefonfragestunde, der Lübecker Nachrichten, hatte ich die Möglichkeit, sie direkt darauf anzusprechen. Mir ging es dabei allerdings weniger um die DDR oder die gerade im Amt befindliche Regierung, sondern um die Positionierung der Parteien bezüglich dieser Fragestellung.

Ich werde wahrscheinlich Zeit meines Lebens nicht begreifen, dass viele jener Genossen, die mir den Sozialismus predigten und denen ich den Fahneneid leistete, wenig später die Ersten waren die in den höchsten Etagen des westdeutschen Kapitals oder der Politik aufgetaucht sind.
Selbst der Bundesnachrichtendienst war sich bekanntlich nicht zu schade, ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit in seine Reihen zu integrieren. Diese Leute werde ich niemals verstehen können. Die Vermutung liegt nahe, dass sie sich profilierten in dem sie andere in den Knast schickten und wohl selber nicht an das glaubten wofür sie jene abstraften. So schnell nämlich, wie bei vielen offensichtlich geworden, hätte eine ehrliche Überzeugung nicht über Bord geworfen werden können. Das macht allerdings das Verwerfliche an zahlreichen Stasimitarbeitern bis in höchste Positionen hinein, aus.
Eins sei jedoch hier und heute nicht vergessen; die DDR war ein souveräner und von der UNO anerkannter Staat, der sich aber letztendlich, unter anderem, wegen unwürdiger und menschenverachtender Grenzgesetze selbst gerichtet hat. Nur eins weiß ich auch, in der ehemaligen DDR hätte ich viele der folgenden Horrorszenarien, die ebenfalls gegen die Menschenwürde verstoßen, nicht erlebt.

Katrin

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