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kruemelkranich Offline



Beiträge: 34

05.04.2004 01:15
RE: Die Geschichte von Fred Antworten

Fred

Es war neblig an diesem Tag, als es passierte.

Fred machte sich auf den Weg zur Wiese. Es war gegen sechs Uhr in der Frühe. Er wollte sich mit einem Jungen treffen. Nicht dass sie Freunde waren, aber wenn sie des Morgens auf dieser Lichtung standen, tief verborgen und geschützt im Wald, so ganz dicht nebeneinander, dem rauschen des Baches zuhörten, über die Hügel schauten und die Trauerweide beobachteten, die so wunderschön traurig ihr Blätterkostüm hängen ließ, der rauhe Wind dazu schaurige Lieder pfiff, dann verband sie etwas, das man wohl Freundschaft nannte.

Doch er hatte keine Freunde. Sein einziger Freund war der Tod. Er wusste sehr viel darüber, wahrscheinlich mehr als jeder Mediziner dieser Welt. Er kannte tausend Arten von Selbstmord.

Angekommen, blickte er sich nach Ralf um. Er war schon da und Fred lief zu ihm hinüber.
Da standen sie nun. Lange nichtssagend, nachdenklich, hingebungsvoll. Versuchend, den Nebel mit Blicken zu durchdringen. Der Regen wischte ihnen die restlichte Müdigkeit aus den Augen.

Fred stieß den Jungen an, der so dicht neben ihm stand.
"Es ist wie im Reich der Toten", flüsterte er.
Ralf bekam eine Gänsehaut. "Sag mal Fred, gibt es für dich noch etwas anderes als den Tod"?
"Der Tod fällt nicht unter meinen Bereich", gab er Ralf zur Antwort. "Wenn es dazu kommt, dann ist das so; es ist das einzige Ding oder Ereignis, das nicht Leben ist. Vergessen, Geschichte abwerfen. Vielleicht. Auf alle Fälle Frieden.
Sie gingen einen Hügel hinab und näherten sich der Trauerweide, aus deren Krone ab und an das schaurige Gekrächze eines Raben zu entnehmen war.
"Du magst diese Jahreszeit wohl sehr gerne, Fred"?
"Ja", antwortete dieser. "Einmal im Jahr vergesse ich all meinen Hass und werde trauriger als der Wind, der durch die Wälder pfeift. Einmal im Jahr begreife ich, dass das Leben keinen Sinn mehr hat. Es ist Herbst. Diese graue, pseudo-romantische Jahreszeit, die selbst den optimistischsten Menschen in ein Psychowürstchen verwandeln kann. Ich liebe diese Jahreszeit, weil es die ehrlichste Zeit ist. Plötzlich ist das Leben für die Menschen nicht mehr selbstverständlich, denn es wird kalt. Die Leute bekommen eher Existenzängste als im Sommer".

Ein Eichelhäher schlug Alarm, als er die Beiden bemerkte. Fred schaute zum Horizont, der Nebel hatte sich etwas gelichtet. Mit seinem traurigen, wehmütigen Blick drehte er den Kopf in Richtung Norden. Und er spürte eine Sehnsucht in sich, weiß Gott welche Sehnsucht. Die Sonnenstrahlen unternahmen erste Versuche, die regenverhangenen Wolken zu durchbrechen, was ihnen zum Teil auch gelang. Sie schienen ewige Weiten gelaufen zu sein.
Fred war wie in Trance, und als er wieder zu sich kam, schaute er sich nach Ralf um, doch er sah ihn nicht. Verwundert machte er sich auf die Suche. Er hatte nicht bemerkt, dass Ralf nicht mehr bei ihm war, so verzaubert war er von den Eindrücken der Natur. Seine Blicke wanderten über die Wiese und durch die kleinen Gruppen von Bäumen, die beisammen standen, so wie Fred und Ralf, wenn sie sich hier trafen. Fred sah auf die Uhr. Er strich sich seine schwarze Mähne aus dem Gesicht. Es waren noch keine zwei Stunden her, das sie sich hier getroffen hatten. Ihm wurde kälter mit jeder Minute, die er nach Ralf Ausschau hielt. Der Nebel wurde dichter und die Sonne war wieder hinter den Wolken verschwunden, als er Ralf fand.

Er schaukelte mit dem Hals am Seil hängend sanft im Wind, und die Trauerweide sang wie immer ihr Lied, leise und vertraut.

Und so erkannte Fred plötzlich, das er einen Freund verloren hatte. Er konnte die Augen nicht schließen und stand da wie gelähmt. Und sein Freund, der Tod, wurde zu seinem Feind.

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