Sie sind vermutlich noch nicht im Forum angemeldet - Klicken Sie hier um sich kostenlos anzumelden  



 

Sie können sich hier anmelden
Dieses Thema hat 0 Antworten
und wurde 338 mal aufgerufen
 Texte aller Art, Gedichte, Lyrik, Kurzgeschichten, Altbeiträge
kruemelkranich Offline



Beiträge: 34

09.04.2004 18:29
RE: Das Nichts Antworten

Plötzlich saß ich mitten im Nichts, auf einem Gesteinsbrocken der nicht existierte. Es umgab mich eine Art von Dunkelheit, die man nicht beschreiben kann. Ich saß da und hatte Angst, obwohl es nichts gab, wovor ich mich hätte fürchten können. So saß ich auf meinem imaginären Stein und starrte ins Nichts.

Wie war ich hier her gekommen? Was sollte ich nun tun? Sollte ich mich durch die dunkle Schwerelosigkeit tasten, durch jenes unbekannte Nichts?

Wo waren all die Menschen hin, wo war die Vertrautheit der Dinge geblieben? Alles um mich herum war weg. Ich war völlig alleine in einer mir unbekannten Dunkelheit.

Plötzlich hörte ich ein Kichern. Es klang zischelnd und giftig. Dann stand er neben mir, und ein weiches Licht ummantelte ihn. "Hier bist Du also gelandet. Im Nichts", sprach er. "Ja ja, alle die sich zurückziehen im Leben, alle Menschen die vereinsamen, landen hier im Nichts. Aber was fangen sie damit an? Nichts!" Er lachte laut. "Dabei hätten sie die wunderbare Möglichkeit sich hier im Nichts eine neue Welt zu schaffen. Denn man kann dem Nichts nichts nehmen aber man kann dem Nichts geben, darauf aufbauen, es füllen."

Wir tasteten uns voran und er erzählte weiter: "Jeder, der die Möglichkeit hatte, sich eine Welt nach seinen Maßstäben aufzubauen, ist immer wieder kläglich daran gescheitert. Willst Du wissen warum?"
Ich konnte ihm nicht mit "ja" antworten, denn er wartete meine Antworten gar nicht ab. Es sprudelte aus ihm heraus und ich spürte seine diebische Freude daran. "Weil der Mensch nicht von seinen alten Vorstellungen ablassen kann. Er kann nur nach einem Schema leben. Das schon einmal Gewesene wiederholt sich. Der Mensch kann sich nicht mehr verändern, seit dem er die erste Welt erbaute. Seit dieser Zeit wird immer wieder das Gleiche getan. Natürlich, hin und wieder traut sich einer kleine Veränderungen vorzunehmen, ts ts ts. Und sofort wurde es Fortschritt genannt. Aber war es denn wirklich Fortschritt?" Er schaute mich mit seinen lustigen Augen an und seine Stirn legte sich in Falten. "Das Wesentliche wird immer vergessen. Das, worauf es wirklich ankommt."

Eine riesige Leinwand tat sich vor mir auf. "Siehst Du", sprach er "kannst du dich daran erinnern?" Ich sah meine Kindheit vor mir ablaufen, die ich nie vergessen hatte. "Oh", sagte er., "du hast es nicht vergessen?" Ich wollte etwas sagen, doch er winkte ab, in einer recht arroganten Art und Weise. "Schau dir den weiteren Verlauf an", mahnte er mich.

Und ich sah mich, wie ich spielte, ungezwungen und frei, voller Phantasie. Und ich sah wie man mich bestrafte, wie man mir Verbote erteilte, wie man mich schlug. Ich sah mich zur Schule gehen, sah mich Dinge auswendig lernen, erkannte, wie man mir die Phantasie raubte. Ich sah mich rechnen und schreiben und begriff, was er mir zeigen wollte. Man lehrte mich die Regeln einer Sprache, die eigentlich vom Herzen kommen sollte, damit mich alle Menschen verstanden. Es ging darum, zu beobachten, die Menschen um mich herum wirklich anzuschauen. Sehen, wenn jemand traurig ist, wenn jemand liebt, Angst hat oder aggressiv ist, ob jemand krank oder gesund ist, hungrig oder durstig, ob jemand Schmerzen hat, oder Leid zugefügt bekommt, es jemandem zu kalt oder zu heiß ist...

Es ging nicht um die Sprache. Die eigentliche Sprache war es, jemanden anzuschauen, zu berühren. Es gab nur eine Sprache auf der Welt. Die Sprache hieß: Beobachten. Aufmerksam sein, den Menschen in die Augen zu sehen. Ja, selbst die Tiere sprachen die gleiche Sprache. Warum musste man immer mit Worten auf seine momentanen Gefühle aufmerksam machen. Es reichte, jemanden anzuschauen. Und man erkannte den Gemütszustand.

"Wie bin ich im Nichts gelandet", fragte ich den Mann, der sich immer noch nicht vorgestellt hatte. "Du selbst warst es, der sich für das Nichts entschieden hat. Du hast dich in die Einsamkeit hineinmanövriert. Wer Einsamkeit lebt, lebt das Nichts. Du hast dich abgewendet von der Menschheit. Du bist blind umher gelaufen. Du hast die Menschen verloren. Du hattest keine Fragen mehr an sie, weil du sie nicht mehr angeschaut hast.
Und nun bau dir eine neue Welt. Denn es ist unmöglich für dich, so weiterzuleben wie bisher. Und denke daran", sprach er und hob den Zeigefinger, "du kannst dem Nichts nichts nehmen, aber darauf aufbauen." Dann löste er sich in Nichts auf und es blieb nur ein seichter Nebel zurück.

So stand ich wieder da. In der Einsamkeit. Alleine. Und ich hatte die schwierige Aufgabe, eine Welt zu schaffen, die dem entsprach, was ich erkannt hatte, Dank des etwas merkwürdigen Herren.

Und so strickte ich mir eine kunterbunte Welt zusammen. Doch etwas fehlte noch. Ich sah nach oben und wünschte mir einen schillernden Regenbogen. Ich erkannte ein Gesicht darin, das so schön war. Ich wollte gerade weinen, denn die Sehnsucht war so groß. Die Sehnsucht nach Wärme, nach Geborgenheit, nach Liebe, als plötzlich ein junger Mann neben mir saß, dessen Gesicht ich eben erst gesehen hatte.
Und wir saßen gemeinsam Hand in Hand auf dem Gesteinsbrocken, der nun Wirklichkeit geworden war.

 Sprung  
Xobor Einfach ein eigenes Forum erstellen | ©Xobor.de
Datenschutz