"Literatur ist dreckig und geschmacklos" Der Wiener Autor Gustav Ernst bildet gemeinsam mit der Übersetzerin Karin Fleischanderl die Jury für den oö. Jugend-Literaturbewerb SPRICHCODE (siehe "Stichwort").
OÖN: Bis 15. Februar können noch Texte eingesandt werden (an sprichcode@leonding.at, Anm.). Lassen sich schon inhaltliche Trends feststellen?
Ernst: Bis jetzt haben wir rund 200 Texte bekommen. Die Themen sind ähnlich wie bei der SPRICHCODE-Premiere vor zwei Jahren. Das hängt mit dem Alter zusammen, dass gewisse Themen im Vordergrund stehen: die Einsamkeit , dass alles borniert, blöd, im Arsch ist. Überwiegend sehen die Schreibenden schwarz. Dagegen gibt es auch nichts zu sagen, seit zwei Jahren sind Krieg und Terrorismus hinzugekommen.
OÖN: Was macht für Sie als Juror einen Text literarisch interessant?
Ernst: Ich wünsche mir von einem Text, dass die Schreibenden ihre eigenen Erfahrungen formulieren, durch Sprache Ordnung ins Chaos des Lebens bringen: Was genau in der jeweiligen Situation produziert Lust, Freude oder Einsamkeit? Das ist nicht nur eine Frage der Wahrnehmung, sondern auch der Sprache. Jede Situation erfordert eine eigene Sprache. Da hoffe ich auf den Mut der Schreibenden, die Sprache erst einmal "schie ßen" zu lassen, ehe es an die Überarbeitung geht.
OÖN: Umgekehrt gefragt: Was macht einen Text uninteressant?
Ernst: Ein Problem habe ich zum Beispiel, wenn jemand unbedingt meint, dass Drogen ein Thema der Jugend sind. Nein! Interessant ist, was mich wirklich betrifft, sonst kommt das Moralisieren rein. Ein Text soll sozusagen nackt und bloß sein, das Unbarmherzige einer Situation zeigen. Das verlangt nach einer unbarmherzigen, kühnen, voraussetzungslosen Sprache, durch die auch der Leser eine Situation direkt empfinden kann. Literatur ist Sprache, und in der Sprache gibt es auch Gesten, Töne, Bilder, Mimik, all das. Wenn ich jemanden anschreie, dann erschrickt der. Genau dieser direkte Ausdruck muss in der Literatur gefunden werden.
OÖN: Und die Angst, sich zu blamieren, sich zu sehr zu entblößen?
Ernst: Ach ja, welche Haltung nehme ich ein, damit ich mit Würde "rüberkomme" ... falsch! Literatur ist etwas Dreckiges, Geschmackloses. Wenn jemand würdevoll anfängt, geht´s schon schief. Dann kommt dieser altkluge Ton, wenn Erfahrungen nicht zugelassen werden, wenn am Herkömmlichen festgehalten wird. Ich muss die Kontrolle weglassen, die dann erst beim Überarbeiten ins Spiel kommt.
OÖN: Was erhoffen Sie sich speziell von junger Literatur?
Ernst: Mich interessiert, wie junge Menschen ihren literarischen Blick einstellen. Was passiert, wenn jemand zum ersten Mal vor der Aufgabe steht, keinen Aufsatz oder Brief zu schreiben, sondern Literatur zu erschaffen. Wobei es nicht nicht darum geht, etwas Neues zu erfinden, sondern um neue Perspektiven, neue Bedeutungen. Ich freue mich auf den jüngsten, unvoreingenommensten, unroutiniertesten Blick auf die Welt.