Sie sind vermutlich noch nicht im Forum angemeldet - Klicken Sie hier um sich kostenlos anzumelden  



 

Sie können sich hier anmelden
Dieses Thema hat 3 Antworten
und wurde 471 mal aufgerufen
 Texte aller Art, Gedichte, Lyrik, Kurzgeschichten, Altbeiträge
Nathschlaeger ( gelöscht )
Beiträge:

26.07.2004 12:53
RE: Vier Brüder Antworten

Im Sommer, tief im
Baumwoll Land, auf Wanderung
kam ich zu alten Gleisen
die in der Hitze bebten – Louisiana,
tief im Süden.
Ich wanderte auf der alten Trasse
und fragte mich, warum
sie nicht befahren ist – eine gute
Strecke, gesäumt von Feldern
und Licht, warmen Lichtungen
und kühlen Teichen –
Und ich fragte mich,
warum in dieser Hitze Schmerz
das erste Wort ist, dass an meinem Gaumen
kleben bleibt.

Irgendwo zwischen zwei hitzewabernden
Punkten in Louisianas Sommer fand
ich eingetrocknete Schlieren auf den
Schwellen und rostbraune Flecken im
Schotter dazwischen – Echos aus alten Tagen.
Und ich fragte mich,
warum in dieser Hitze Angst
das zweite Wort ist, dass an meinem Gaumen
kleben bleibt.
Ich merkte mir die Stelle nahe den
verkrüppelten Eichen (Zum lynchen, nehme ich an)
und ging noch neun Meilen bis zur nächsten Stadt.

Ich sah wohlgesittete Damen und Herren, bleich
in der Hitze und erfüllt von insektenhafter
Zielstrebigkeit, ich fand
ein kleines Motel, alt aus weißgestrichenem Holz
mit netter alter Dame darin und einem
alten Mann in den Schatten der Bar, unter dem
müßigen Ventilator.

Ich bestellte ihm Bier und mir
Cola mit Eis, er grüßte mich
„Pilger“, weil ich den Staub meiner Wanderung
in den Haaren trug.
Ich grinste
Und ich fragte mich,
warum Trauer das größte Wort ist – und
weil mir mein Herz befahl, fragte ich ihn
nach der toten Strecke, südlich von hier.
Er sah mich an und fragte, ob ich
es denn wirklich hören will und ich sagte:
Nein, ich glaube nicht. Ich muss.
Ich fragte ihn
nach der Wahrheit und er fragte mich:
„Welche Mütter erklären ihren Kindern
Liebe und Herzensgröße und welche Väter
vermitteln Anstand und Aufrichtigkeit?“

Es war ein weißes Gericht, ein
Ku-Kux-Klan Gericht das Recht
sprach, 1965, im Jahr als ich geboren wurde, als
4 Brüder verurteilt wurden, 4 junge, schwarze Brüder
von 14 – 19 Jahre alt, weil sie so etwas
wichtiges getan hatten, wie eine Gans zu stehlen. Nein.
Man verurteilte sie nicht zum Tode sondern sagte,
wenn sie das Urteil überlebten, seien sie frei.
Dann band man sie mit Ketten an den letzten Wagon
eines Zuges, ein Salonwagen für noble
Damen und Herren, der Richter
fuhr mit und der bestohlene Bauer samt Sohn, zwei
Männer vom Klan und auch ein paar Frauen
in Sonntagsrobe waren dabei und sie
verschafften sich Luft mit Elfenbeinfächern, als
der Zug losfuhr.
Sie schleiften die 4 Brüder
über 9 Meilen mit und wiesen den Lokführer
an, mit der Kohle nicht zu geizen und sie
schlossen Wetten ab, welcher der 4 Brüder
zuerst in Fetzen von der Kette gerissen würde.
Sie tranken Whisky und Tee, auf der letzten
Plattform und sahen zu und als das Geschrei
anschwoll und zu einem
polyphonen Kreischen wurde, versank der
hitzeflimmernde Tag in schwarzen Schmerzen.

Und man sagte, man hätte noch nie
etwas grauenvolleres gehört.

Nach 9 Meilen waren die Brüder blutige Fetzen
und tot, der Klan war befriedigt
und die Damen ebenso, so wie auch das weiße
Recht im Süden Louisianas.


Ein halbes Jahr später wurde die Strecke
still gelegt, sagte der alte Mann zu mir, und
kein Zug befuhr sie mehr.
Ich weinte, als ich die Bar verließ und am
nächsten Tag sah ich den alten Mann
wieder und sagte, der Schienenstrang
im Süden der Stadt sei das längste Denkmal
der Welt.
Und ich fragte ihn,
ob es etwas bewirkte.
Und er antwortete bloß:
Ich weiß es nicht, Pilger.
Ich weiß es nicht.
Und ich fragte mich, warum Hass
das größte Wort in meinem Herzen
war.



[f1][ Editiert von Nathschlaeger am: 11.08.2004 10:03 ][/f]

Wanderin Offline



Beiträge: 179

10.08.2004 21:38
#2 RE: Vier Brüder Antworten

Hallo Nathschlaeger!

Dein Text hat mich vom Inhalt her sehr angesprochen. Besonders gefallen mir die ersten beiden Strophen mit den beiden Gefühlen Schmerz und Angst, die am Gaumen kleben.
Das Ende ist mir nicht ganz klar, warum fragt das Ich ob der Alte wisse 'DASS es etwas brachte'? Vom Sinn her würde es mir eher einleuchten, dass er fragt 'OB es etwas brachte'. Aber vielleicht verstehe ich es auch falsch.
Nun zu der Form...ich habe oben absichtlich 'Text' geschrieben, weil das für mich kein Gedicht ist, da es aber in Gedichtform ist, irritiert mich das ein bisschen. Vielleicht bin ich da auch zu pingelig, aber ich wüsste gerne, ob es einen speziellen Grund gibt, warum du es in Gedichtform schreibst.

Lieber Gruß,
Wanderin

Nathschlaeger ( gelöscht )
Beiträge:

11.08.2004 10:06
#3 RE: Vier Brüder Antworten

Hallo Wanderin,

Stimmt. Ich bewege mich zwischen den formalen Möglichkeiten, einen Text zu erfassen und nutze gerne alle Wege. Ich sehe das "Lied" als eine Art freirhytmisches Prosagedicht. Die Form ergab sich beim schreiben und war nicht geplant. Ich finde, es gibt dem Text etwas Unmittelbares.

Mit dem "dass es etwas nutzte" hast Du völlig recht. Vielen Dank für den Hinweis. man wird echt manchmal betriebsblind :-)

Ich hab es ausgebessert.

lg/Peter

Wanderin Offline



Beiträge: 179

11.08.2004 15:18
#4 RE: Vier Brüder Antworten

Hallo Nathschlaeger!

Ich finde es auch übersichtlicher in Versen und Strophen. Das gibt dem ganzen eine Gliederung.
Das Wort 'bewirkte' finde ich übrigens viel schöner als 'brachte'.

Lieber Gruß,
Wanderin

 Sprung  
Xobor Einfach ein eigenes Forum erstellen | ©Xobor.de
Datenschutz