Im Sommer, tief im Baumwoll Land, auf Wanderung kam ich zu alten Gleisen die in der Hitze bebten – Louisiana, tief im Süden. Ich wanderte auf der alten Trasse und fragte mich, warum sie nicht befahren ist – eine gute Strecke, gesäumt von Feldern und Licht, warmen Lichtungen und kühlen Teichen – Und ich fragte mich, warum in dieser Hitze Schmerz das erste Wort ist, dass an meinem Gaumen kleben bleibt.
Irgendwo zwischen zwei hitzewabernden Punkten in Louisianas Sommer fand ich eingetrocknete Schlieren auf den Schwellen und rostbraune Flecken im Schotter dazwischen – Echos aus alten Tagen. Und ich fragte mich, warum in dieser Hitze Angst das zweite Wort ist, dass an meinem Gaumen kleben bleibt. Ich merkte mir die Stelle nahe den verkrüppelten Eichen (Zum lynchen, nehme ich an) und ging noch neun Meilen bis zur nächsten Stadt.
Ich sah wohlgesittete Damen und Herren, bleich in der Hitze und erfüllt von insektenhafter Zielstrebigkeit, ich fand ein kleines Motel, alt aus weißgestrichenem Holz mit netter alter Dame darin und einem alten Mann in den Schatten der Bar, unter dem müßigen Ventilator.
Ich bestellte ihm Bier und mir Cola mit Eis, er grüßte mich „Pilger“, weil ich den Staub meiner Wanderung in den Haaren trug. Ich grinste Und ich fragte mich, warum Trauer das größte Wort ist – und weil mir mein Herz befahl, fragte ich ihn nach der toten Strecke, südlich von hier. Er sah mich an und fragte, ob ich es denn wirklich hören will und ich sagte: Nein, ich glaube nicht. Ich muss. Ich fragte ihn nach der Wahrheit und er fragte mich: „Welche Mütter erklären ihren Kindern Liebe und Herzensgröße und welche Väter vermitteln Anstand und Aufrichtigkeit?“
Es war ein weißes Gericht, ein Ku-Kux-Klan Gericht das Recht sprach, 1965, im Jahr als ich geboren wurde, als 4 Brüder verurteilt wurden, 4 junge, schwarze Brüder von 14 – 19 Jahre alt, weil sie so etwas wichtiges getan hatten, wie eine Gans zu stehlen. Nein. Man verurteilte sie nicht zum Tode sondern sagte, wenn sie das Urteil überlebten, seien sie frei. Dann band man sie mit Ketten an den letzten Wagon eines Zuges, ein Salonwagen für noble Damen und Herren, der Richter fuhr mit und der bestohlene Bauer samt Sohn, zwei Männer vom Klan und auch ein paar Frauen in Sonntagsrobe waren dabei und sie verschafften sich Luft mit Elfenbeinfächern, als der Zug losfuhr. Sie schleiften die 4 Brüder über 9 Meilen mit und wiesen den Lokführer an, mit der Kohle nicht zu geizen und sie schlossen Wetten ab, welcher der 4 Brüder zuerst in Fetzen von der Kette gerissen würde. Sie tranken Whisky und Tee, auf der letzten Plattform und sahen zu und als das Geschrei anschwoll und zu einem polyphonen Kreischen wurde, versank der hitzeflimmernde Tag in schwarzen Schmerzen.
Und man sagte, man hätte noch nie etwas grauenvolleres gehört.
Nach 9 Meilen waren die Brüder blutige Fetzen und tot, der Klan war befriedigt und die Damen ebenso, so wie auch das weiße Recht im Süden Louisianas.
Ein halbes Jahr später wurde die Strecke still gelegt, sagte der alte Mann zu mir, und kein Zug befuhr sie mehr. Ich weinte, als ich die Bar verließ und am nächsten Tag sah ich den alten Mann wieder und sagte, der Schienenstrang im Süden der Stadt sei das längste Denkmal der Welt. Und ich fragte ihn, ob es etwas bewirkte. Und er antwortete bloß: Ich weiß es nicht, Pilger. Ich weiß es nicht. Und ich fragte mich, warum Hass das größte Wort in meinem Herzen war.
[f1][ Editiert von Nathschlaeger am: 11.08.2004 10:03 ][/f]
Dein Text hat mich vom Inhalt her sehr angesprochen. Besonders gefallen mir die ersten beiden Strophen mit den beiden Gefühlen Schmerz und Angst, die am Gaumen kleben. Das Ende ist mir nicht ganz klar, warum fragt das Ich ob der Alte wisse 'DASS es etwas brachte'? Vom Sinn her würde es mir eher einleuchten, dass er fragt 'OB es etwas brachte'. Aber vielleicht verstehe ich es auch falsch. Nun zu der Form...ich habe oben absichtlich 'Text' geschrieben, weil das für mich kein Gedicht ist, da es aber in Gedichtform ist, irritiert mich das ein bisschen. Vielleicht bin ich da auch zu pingelig, aber ich wüsste gerne, ob es einen speziellen Grund gibt, warum du es in Gedichtform schreibst.
Stimmt. Ich bewege mich zwischen den formalen Möglichkeiten, einen Text zu erfassen und nutze gerne alle Wege. Ich sehe das "Lied" als eine Art freirhytmisches Prosagedicht. Die Form ergab sich beim schreiben und war nicht geplant. Ich finde, es gibt dem Text etwas Unmittelbares.
Mit dem "dass es etwas nutzte" hast Du völlig recht. Vielen Dank für den Hinweis. man wird echt manchmal betriebsblind :-)
Ich finde es auch übersichtlicher in Versen und Strophen. Das gibt dem ganzen eine Gliederung. Das Wort 'bewirkte' finde ich übrigens viel schöner als 'brachte'.