Als er erwachte, lag sie neben ihm. Die Augen weit aufgerissen, vertrocknete Tränen auf ihrer hellroten Wange. Der warmherzige, vertrauensselige Blick erfüllte ihn mit unendlicher Trauer. Behutsam schloss er ihre zarten Augenlider, er streichelte ihren weichen, noch glühenden Körper, fuhr sanft über ihre üppigen Brüste und verharrte über ihrem Herzen. Sie ließ die Liebkosungen duldsam über sich ergehen, ohne dass er nur ein schwaches Wort des Protestes vernahm. Ein leiser Blutstrom ergoss sich aus ihrem graziösen Körper, silbern spiegelte er sich neben ihrer knochigen Hand, deren bleichen Finger leicht gekrümmt eine Faust bildeten. Ihr dunkles ,gewelltes Haar ruhte ausgebreitet auf den hellen, freundlichen Leinenkissen, es roch nach frischen Holunderblüten. Er beugte sich über ihr Haupt und atmete tief ein, lange, bedächtige Züge, seine Lungen gierten nach dem süßen Saft, der aus den glänzendem Haar der jungen Dame entwich, welche so vor ihm lag, so still und unscheinbar. Ihre dünnen, rissigen Lippen formten stumme Hilferufe, deren flehenden Unterton er nicht überhören konnte. Er antwortete auf dieselbe, lautlose Art und Weise und beruhigte sein an seinen Motiven zweifelndes Gewissen, das ihn an der idyllischen Stätte ihres Niedergangs verbleiben ließ. Die junge Dame mit dem blassen Teint, den ehemals funkelnden, nun aber erloschenen Sommer-sprossen, deren weiblich geformter Körper keinen Makel erkennen ließ, rührte sich nicht mehr. Sie entschwand plötzlich, ehe er die Fülle ihrer Schönheit begreifen konnte. Ein Wermutstropfen perlte von seiner Stirn, der berauschende Duft umnebelte seine wirren Gedanken, drang tief in sein Herz, dessen Pochen merklich an Kraft verlor und stach in sein unbeflecktes Seelenleben. Der Schmerz tat seinem Innersten weh , denn der Abschied von ihren smaragdgrünen Pupillen, die trotz ihres leidenden Fleisches eine ansteckende Fröhlichkeit ausstrahlten, fiel ihm schwer. Sein Blick fiel auf ihre schlanken, sonnengebräunten Beine, deren verkümmerten Muskeln und bläulich durchschimmernden Venen er schlicht übersah. In wüsten Erinnerungsfetzen sah er ,wie sie ihre kleinen, behenden Füße über mundendes, wohlig riechendes Gras frisch gemähter Wiesen trugen. Sie lachte unbekümmert und vergaß um sich herum die Welt der Qualen, nur manchmal, wenn sie sich überschätzte und stürzte, sah er einen dunklen Schatten über ihr bezauberndes Antlitz huschen, der ihr zeigte, dass die Unbeschwertheit dieser Augenblicke nur grausame Fassade war. Er half ihr so gut es ging das Werk des Teufels aufrechtzuerhalten, damit ihr Feuer nicht erlöschte, welches in ihren Augen brannte, das er so liebte. Mit einem Ruck entfernte er sich von ihrem wohlgeformten Körper, erhob sich und trat mit leisen Schritten hin zum Fenster. Zögernd ließ er die Jalousien herunter, das wärmende Sonnenlicht verschwand augenblicklich und wich einer spürbaren Todesstarre, deren Kälte ihn fröstelte. Ein flüchtiger Blick auf den reglos daliegenden , allmählich verwesenden Leichnam, ein verächtliches Naserümpfen ob den nach faulen Fleisch und Maden riechenden Ausdünstungen, ein unsichtbarer Befehl seines Herzens, der jegliche Erinnerungen an das zarte, nun zu kaltem Marmor erstarrten Gesicht auslöschte – und er überquerte den Raum mit hastigen Bewegungen, die einer Flucht gleichkamen. Begab sich in Richtung Ausgang – grußlos – den schwarzen Lederhut tief in die Stirn gezogen, fast den ebenso schwarz wie Nacht gefärbten Kragen berührend, so dass sein mit tiefen Furchen gezeichnetes Gesicht verborgen blieb. Seine ausgemergelten Finger umkrampften den länglichen Gegenstand in seiner Manteltasche und seine Mundwinkel zuckten. Er konnte nicht mehr länger warten.
(c) Felix Welzenbach
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Nach langer Zeit wieder mal eine Kurzgeschichte, die unbedingt verändern wollte (ein paar Ungereimtheiten weg), momentan stecke ich etwas im Umzugsstress,da ich bald nach Innsbruck ziehen werde (Studium) - je näher aber der Semesterbeginn rückt,desto mehr kribbelt es in meinen Fingern - ich werd mich also wieder öfters hier blicken lassen ;-)
"Es war Zeit Abschied zu nehmen" (oder so ähnlich), wie du in deiner ersten Fassung geschrieben hast, hat mir besser gefallen. Ich finde dadurch kommt der Schluss besser zur Geltung. Ansonsten dickes Lob für die eindrucksvolle Beschreibung (hab ich dir aber glaub schon bei der ersten Variante gechrieben )
genau das wollte ich vermeiden, denn es ist zu offensichtlich an den Titel der Geschichte angelehnt. Ich finde inzwischen,dass man den "Abschied" anhand des gesamten Textes nachvollziehen sollte - dann braucht es keinen eindeutigen Fingerwink mehr. Der Schluss ist zwar ebenso eindeutig wie offen, lässt aber bereits erahnen, dass es sich um einen ähnlichen Protagonisten wie in Patrick Süßkinds "Das Parfüm" handeln müsse, im Klartext: eine Art Vampir, der junge Frauen, die positive Energien ausstrahlen, aussaugt und sich den nächsten zuwendet.