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Dieses Thema hat 0 Antworten
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 Texte aller Art, Gedichte, Lyrik, Kurzgeschichten, Altbeiträge
Gast ( gelöscht )
Beiträge:

26.08.2004 22:30
RE: Daran denken Antworten

"Ich könnte genauso sein, wie er es wollte. Ich weiß ja, was er will. Klar, seine Augen reden von nichts anderem. Ich könnte die Seite in mir anheuern, die er so liebt. Ich könnte zu ihr sagen: komm raus, heute Nacht, bitte, ich werde dich gut behandeln und er wird dich lieben. Und je mehr diese Seite nach außen käme, desto selbstverständlicher wäre sie und ich wäre dann sie, die anderen Seiten würden in Dornröschenschlaf fallen. Aber ich habe mal überlegt.
Ich werde sie ruhen lassen. Und mich dabei fühlen, als wäre ich mein eigener Herr. Als könnte ich Stürme beeinflussen und Wolken und Regen. Ich würde so tun, als wäre ich mein eigener Diktator. Und über mich lachen, weil ich mich so lächerlich fände.
Er liebt mich doch gar nicht. Ich bin ihm doch viel zu durchsichtig. "Ich bin ihm zu" ist mittlerweile zu einer magischen Formel geworden, die ich auf jeden anwenden kann, der mir begegnet. Es ist zum Lachen. Kein verzweifeltes. Haha."

Solche Dinge hat man damals in ihrem Tagebuch gelesen. Man müsste davon im Plural sprechen, denn die besaß mehrere Tagebücher, sehr viele. Ihren Kindern wollte sie sie schenken, wenn sie so alt wären, wie sie, als sie die Einträge geschrieben hatte. Sie würde mit ihnen darüber sprechen, wenn sie wollten. Sie würde ihnen zeigen, wer sie gewesen war.
Sie konnte keine Kinder bekommen. Das sagte ihr Arzt einmal. Sie sagte Aha und nocheinmal Aha, nickte mit dem Kopf, bewegte die Lippen nicht, ging dann in den Park. Sie las in einem Tagebuch (eines hatte sie immer dabei) und wollte ein bisschen weinen, aber sie konnte nicht.
"Ich werde sein, wie er mich haben möchte." stand dort. "Er ist das Ideal, das eigentlich niemand erreichen dürfte. Dass es ihn dennoch gibt, macht mich wütend. Es darf doch keine realen Ideale geben. Das ist ein Widerspruch, der nicht existieren darf. Jetzt, wo er aber da ist, werde ich mich an ihn binden, um ihm ein kleines bisschen Ideal zu entziehen, um selbst ein wenig idealer zu werden."
Sie lachte unter nicht geweinten Tränen. Sie war siebzehn damals. Siebzehn. Das klang wie feiner Sand, der im Sommer im Meer lag. Damals fühlte sie sich nicht so. Eigentlich niemals. Irgendwas war seitdem in ihr verloren gegangen. Etwas kleines nur, eine kleine Dissonanz, die sie damals so besonders machte. Sie sah sich heute an.

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