Birgit Ritter sah ihren Mann mit funkelnden Augen an. „Du bist ein Versager!“ schrie sie. „Ein elender Nichtsnutz, der zu überhaupt nichts gut ist. Ich habe es ein- für allemal satt!“ Thomas Ritter stand da und blickte seine Frau stumm an. Er fragte sich, was nur aus der Frau geworden war, die er vor zwanzig Jahren geheiratet hatte. Damals war sie schön gewesen, eine intelligente, humorvolle Frau, die er über alles geliebt hatte. Heute war von ihrem Liebreiz nichts mehr übrig. Sie war zu einem Drachen geworden, eine mürrische, unzufriedene Frau, deren Lieblingsbeschäftigung darin bestand, ihren Mann mit ihren Vorwürfen zu attackieren. „Du bist und bleibst eine Flasche!“ fauchte sie. „Meine Mutter hatte Recht, als sie mich damals vor dir warnte.“ „Warum hast du nicht auf sie gehört?“ entgegnete Ritter voller Bitternis. Er hatte es so satt, sich von seiner Frau beleidigen zu lassen. Ihre ewige Nörgelei bei allem, was er tat, ging ihm schon seit langem gegen den Strich. Er wußte, daß er etwas gegen sie unternehmen mußte. Der heutige Streit unterstrich diese Notwendigkeit. Das Problem war, daß sie das ganze Geld mit in die Ehe gebracht hatte. Ihr gehörten die Mietshäuser, die Strandvilla an der Nordsee, die Jacht und das Bankvermögen. Ihm gehörte nichts. Ein Ehevertrag stellte sicher, daß er im Falle einer Scheidung nichts bekommen würde. Er empfand das als Ungerechtigkeit. Schließlich hatte er jahrelang unter ihr gelitten. Nach seinem Empfinden stand ihm ein beträchtlicher Teil des Vermögens zu. „Weißt du was?“ fuhr sie ihn plötzlich an. Ihre Augen funkelten vor Haß. „Ich werde mich von dir scheiden lassen! Dann bleibt dir nichts. Du kannst wieder in der schäbigen Autowerkstatt arbeiten, in der ich dich einst aufgelesen habe. Ich suche mir jemand anderen. Männer wie dich gibt es wie Sand am Meer.“ Sie stürmte aus dem Zimmer und ließ ihn stehen. Thomas Ritter kniff nachdenklich die Augen zusammen. Daß sie ihm mit Scheidung drohte, bestärkte ihn in seinem Vorhaben, sie loszuwerden. Die Entscheidung dafür war bereits vor Wochen gefallen. Alles war vorbereitet. Jetzt mußte er nur noch seinen Plan in die Tat umsetzen. Ritter mußte an Tim Göbel denken, seinen besten Freund. Die beiden kannten sich seit frühester Kindheit. Inzwischen war aus Göbel ein bekannter Fernsehmoderator geworden. Gleichzeitig war er aber auch ein notorischer Frauenheld, der einen großzügigen Lebenswandel pflegte. Dieser Lebenswandel kostete viel Geld und hatte ihm einen Haufen Schulden eingebracht. Genau diesen Umstand hatte sich Ritter für seinen Plan zunutze gemacht. „Alles, was ich brauche, ist ein Alibi“, hatte er Göbel erklärt. „Ich töte meine Frau und erbe das ganze Geld. Du bekommst eine Million Euro von mir. Alles, was du dafür tun mußt, ist, der Polizei zu erzählen, daß wir zum Tatzeitpunkt zusammen bei dir zu Hause waren und Schach gespielt haben. Die Polizei wird an deiner Aussage nicht zweifeln. Immerhin bist du ein bekannter Fernsehstar, der bei allen Menschen beliebt ist. Mit der Million kannst du deine Schulden bezahlen und dein großzügiges Leben fortsetzen.“ Göbel hatte ohne zu zögern ja gesagt. „Kein Problem. Schließlich sind wir ja schon seit Kindheitstagen die besten Freunde. Ich verschaffe dir gern dein Alibi. Außerdem ist die Million auch nicht zu verachten.“ Daran mußte Thomas Ritter denken, während er sich ein Messer aus der Küche holte und damit bewaffnet in das Zimmer seiner Frau schlich. Birgit Ritter war gerade dabei, einen Koffer zu packen. Wütend stopfte sie ihre Kleidung in den kleinen Kasten, ohne auf ihre Umgebung zu achten. „Dieser elende Versager!“ fluchte sie leise vor sich hin. „Diese elende Null, dieser Mistkerl! Ich hätte es besser wissen müssen. Ich hätte es einfach besser wissen müssen!“ Thomas Ritter lächelte. Gleich würde er seine Frau in ihrer Einsicht bestärken. Er würde ihr zeigen, was für ein elender Mistkerl er war. Er trat hinter sie und riß die Hand nach oben. Zischend durchschnitt das Messer die Luft, als Ritter seinen Arm nach unten gleiten ließ und seiner Frau die Klinge in den Rücken rammte. Birgit Ritter schrie mit schmerzerfüllter Stimme auf. Mit letzter Kraft schaffte sie es, sich umzudrehen und in das hämische Gesicht ihres Mannes zu blicken. Dann fiel sie vornüber und glitt tot auf den Boden. Ritter nickte zufrieden. Er wischte die Fingerabdrücke vom Messergriff und packte den Koffer seiner Frau wieder aus. Anschließend ging er nach unten und setzte sich ins Wohnzimmer. Er hatte mit Göbel ausgemacht, daß er nach der Tat zwei Stunden warten würde. Er wußte, daß die Polizei in der Lage war, die Todeszeit eines Mordopfers minutiös zu bestimmen. Genau für diese Todeszeit aber würde sein Freund Tim Göbel ihm ein Alibi verschaffen. Ein hieb- und stichfestes Alibi. Die beiden hatten Schach gespielt, die ganze Zeit. Ritter grinste und schaltete den Fernseher ein. Halbherzig lauschte er den Stimmen, die aus der Lautsprecherbox drangen. Sein Herz pochte vor Aufregung. Er fragte sich, wieviel Geld er wohl erben würde. Waren es zwanzig Millionen? Oder gar noch mehr? Ein Lächeln trat auf sein Gesicht. Er hatte es getan. Endlich hatte er getan, was er schon seit Jahren hatte tun wollen. JA, er war ein Mistkerl, wahrscheinlich der Schlimmste von allen. Nur würde Birgit ihm das ab jetzt nicht mehr vorhalten können. Sie war tot, und nichts und niemand auf der Welt konnte sie wieder lebendig machen. Er blickte zur Uhr. Die zwei Stunden waren schneller vergangen, als er gedacht hatte. Er griff zum Telefon und wählte die Notrufnummer der Polizei. Eine freundliche Frauenstimme meldete sich am anderen Ende der Leitung und fragte ihn, wer er sei und was er wolle. „Ich möchte einen Mord melden“, erklärte Ritter, bemüht, seiner Stimme einen möglichst traurigen Tonfall zu verleihen. „Mein Name ist Thomas Ritter. Meine Frau wurde ermordet. Ich habe ihre Leiche eben in unserem Schlafzimmer gefunden.“ Er hörte, wie die Frau am anderen Ende der Leitung tief durchatmete. „Wo genau befinden Sie sich jetzt?“ „Ich bin in unserem Wohnzimmer“, antwortete Ritter wahrheitsgemäß. „Bitte kommen Sie schnell!“ „Ja, natürlich“, entgegnete die Frau. „Wir sind gleich bei Ihnen. Wo genau wohnen Sie?“ Ritter nannte ihr die Adresse. „In Ordnung“, sagte die Polizeibeamtin. „In fünf Minuten wird ein Einsatzwagen bei Ihnen sein.“ Ritter bedankte sich und hängte ein. Er rieb sich die Augen, um sie rot und verweint aussehen zu lassen. Vielleicht würde er es ja sogar schaffen, einige echte Tränen zu vergießen, wenn die Polizei da war. Für unmöglich hielt er es nicht. Schließlich war er ein guter Schauspieler. Gedankenverloren blickte er zum Fernseher hinüber. Mit dem Alibi, das ihm sein Freund verschaffte, würde man ihm nichts nachweisen können. Er, Thomas Ritter, hatte den perfekten Mord begangen. In der Ferne war nun eine Polizeisirene zu hören. Ritter lächelte und machte sich bereit, den trauernden Ehemann zu spielen. Er griff zur Fernbedienung, um den Fernseher auszuschalten, als plötzlich das Bild seines Freundes Tim Göbel auf dem Bildschirm erschien. „Und hier noch eine Eilmeldung“, verkündete der Nachrichtensprecher mit trauriger Stimme. „Wie soeben gemeldet wird, ist der bekannte Fernsehmoderator Tim Göbel vor einer Stunde bei einem Autounfall tödlich verunglückt. Göbel, der als einer der begabtesten Journalisten der Fernsehlandschaft galt, war...“ Den Rest hörte Ritter nicht mehr. Ein Schauer des Entsetzens schoß durch seinen Körper. Er ließ die Fernbedienung aus der Hand gleiten und sank zitternd zu Boden. Im selben Moment hörte er die quietschenden Reifen des Polizeifahrzeuges, das vor seinem Haus hielt. Dann begann Ritter heftig zu kichern. Es war das Kichern eines Wahnsinnigen, und er wußte, daß es ihn niemals wieder loslassen würde.
dein Krimi hat mir sehr gefallen. Du kannst gut schreiben, dein Schreibstil gefällt mir sehr. War flüssig zu lesen und zu keiner Zeit langweilig. Toll. Ich würde gerne mehr von dir lesen, wenn du noch mehr solche tollen Geschichten auf Lager hast.
Kleine Anmerkung: Am Anfang hast du öfter vergessen, nach der wörtlichen Rede ein Komma zu setzen, wenn der Satz danach weiterging. Ansonsten wie gesagt prima, weiter so!
@ Anke dieser Kurzkrimi gefällt mir noch besser, als der zuvor gepostete. Dürfen wir dich bei uns auf der Homepage vorstellen? Mail an Schreiberling@aol.com
toller Krimi. Tja, wenn Du die bist, die ich denke, daß Du es bist, dann ein herzlicher Gruß. Toll, daß sich jemand wie Du in einem Forum sehen läßt. Viele machen das ja nicht.
danke für die vielen netten Komplimente. Noch ein kleiner Hinweis, da hier im Forum an anderer Stelle über Plagiatismus diskutiert wurde. Die von mir hier eingestellten Krimis wurden alle bereits ein- oder mehrmals in verschiedenen Zeitschriften oder Magazinen veröffentlicht. Deshalb sollte (natürlich) jeder Versuch des Plagiats tunlichst vermieden werden.
Herzliche Grüße an alle Literaturfreunde, die sich hier regelmäßig treffen. Noch ein Hinweis an ROSENBLÜTE: Ich vermute, Du hast Recht. Liebe Grüße,