Er saß ganz ruhig da, auf seiner Wolke. In der einen Hand hatte er eine weiße Rose und in der anderen die Fäden einer Marionette. Schon lange hatte ich ihn beobachtet. Er mich auch. Langsam ließ er sie ihre Hand heben und winken. „Komm her!“, schien sie mich aufzufordern. Lange zottelige Haare hingen an seinem Kopf, als seien sie fehl am Platze. Um das liebliche Gesicht der Marionette schmiegten sie glatte blonde Haare.
Sein Mund wirkte zu groß, seine Nase zu klein und seine Augen zu aufdringlich. Dunkelblau starrten sie mich durchdringend an. Sie dagegen hatte Rehaugen, sanfte rosa Lippen und eine niedliche Stupsnase. Die Marionette gab mir ihre Hand. Kühl und klein war sie. Ich blickte von ihr zu ihm und auf seine Hände. Dreckige Fingernägel schmückten die Pranken und eine Narbe zierte den Handrücken. Unwichtig.
Die Rose duftete süß. Ich schnupperte verträumt und sofort nahm die Marionette die Rose aus seiner Hand um sie mir zu reichen. Ein Lächeln flog über mein Gesicht. Sie machte eine Verbeugung. Er blieb beinahe bewegungslos sitzen. Kein Wort kam über seine Lippen. Er strich ihr über ihr seidiges Haar während sie ihn anlächelte. Ich setzte mich neben ihn auf die Wolke. Sie blickte zu uns beiden auf aus ihren hübschen verträumten Augen. Er schüttelte sich und seine Mähne wurde noch wilder. Sie neigte den Kopf und ließ ihr seidiges Haar aufblitzen. Unsicher versuchte ich, mich möglichst bequem hinzusetzen. Vergeblich.
„Wolken sehen nur bequem aus. Sie sind Meister des Schauspiels und der Maskierung“, sagte er plötzlich. Ich sah mich um. Entdeckte eine, die aussah, wie ein Regenbogen und eine Wolke, aus der scheinbar Füße rausschauten. So watteweich schienen die Schäfchenwolken. Und ich verstand. Er schwieg wieder. Ein Wunder, dass er etwas gesagt hatte. Nur selten durfte ich seine leise raue Stimme genießen. Die Marionette betrachtete mich und bewegte sich vorsichtig auf mich zu. Aber sie setzte sich auf seinen Fuß und begann zu schaukeln.
Die Wolke war vollkommen eingehüllt von dem Duft der Rose. Ruhe breitete sich in mir aus. Ich blickte ihm zum ersten Mal genau in die Augen, versank in dem tiefen Blau. Er sah so einsam aus, wie er da saß. Sogar die Puppe sah verlassen aus, festgeklammert an seinem Stiefel. Ich legte meine Hand auf seine. Er starrte mich an, sie starrte mich an. Ein kühler Wind rauschte durch die Wolke. Ich hielt die Luft an. Bemerkte, dass er überhaupt nicht atmete. Die eben noch so faszinierende Stille war verscheucht von Unruhe.
Er blickte hinunter auf seine Marionette. Sie sah hoch zu mir. Ich sah rüber zu ihm. Meine Hand hatte ich nicht bewegt. Er seine auch nicht. Ich öffnete den Mund, aber wagte es nicht, die Stille zu durchbrechen. Die Puppe legte einen Finger auf ihren Mund. Wie geübt er sie durch ihre Fäden spielen ließ. Sie schien zu leben, zu denken, zu fühlen. Und doch wusste ich, er war es. Er dachte, er lebte. Er fühlte. Er zeigte es nicht. Sie war seine Maske, seine Wolke. Wolke.. Ich sah, wie er verschwand. Ich spürte die aufsteigende Leere. Ich sah in das entsetzte Gesicht der hübschen Puppe. Ich betrachtete sein regungsloses Gesicht, wie es langsam verblasste. Ich fühlte, wie sich die Wolke auflöste. Ich wollte ihn festhalten. Er schloss seine Augen.
Ich breitete meine Flügel aus und ließ mich fallen. Drehte mich im Flug um und sah die Puppe sanft winken. „Bis zum nächsten Mal!“, schien sie zu flüstern. Die weiße Rose sperrte ich in mein Herz. Dort blieb sie, zwischen tausend anderen Blumen, in alle Ewigkeit. „Bis zum nächsten Mal“, murmelte ich und flog zurück zum Mond.