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Dieses Thema hat 4 Antworten
und wurde 463 mal aufgerufen
 Texte aller Art, Gedichte, Lyrik, Kurzgeschichten, Altbeiträge
Felios Offline



Beiträge: 416

29.03.2005 04:23
RE: Weg [Kurzgeschichte] Antworten

Weg

Meine Gedanken überschlagen sich. Panik ergreift mich. Nebel senkt sich über meinen Verstand hernieder. Die Vernunft wird ausgeschalten. Ich zittere. Ein Beben durchfährt meinen Körper. Innerlich schalte ich mich einen Narren. Aber mit der unerschütterlichen Gewissheit, dass es bald vorbei sein würde, ertrage ich das Leid, das mich jetzt ereilt. So ist es doch nichts gegenüber dem, was ich bis dahin erdulden musste. Die Krämpfe werden stärker. Meine Füße sind kalt. Ich kann die Zehen nicht mehr bewegen. Ich will es auch nicht mehr. Ich blicke mich um. Vertrautes. Natriumgelbes Kerzenlicht kontrastiert die lähmende Kälte, die sich langsam in meinem Körper ausbreitet. Der Ofen brennt. Strahlt Wärme und Geborgenheit aus. Eine trügerische Sicherheit. In der ich mich lange Zeit wog. Flucht aus der Realität. Eine Illusion, die plötzlich zerplatzte, als... für einen Moment bin ich weggetreten. Ist es etwa schon... ? Doch ich kehre wieder zurück. Wie so häufig. Der Geist ist abwesend. Ich war in einer anderen Welt, einer anderen Zeit, ein anderes Leben? Dann – mit einem Schlag packt mich jemand, ergreift meine Seele und zieht sie zurück. Wo ich hingehöre. Ich bin wieder da, aber was ist geschehen ? Die Erinnerung ist wie ausgelöscht, als wolle mich jemand vor größerem Schaden bewahren. Dieser jemand, ist er...? Wie Eisklötze fühlen sich meine Füße an. Ich spüre keinen Schmerz. Die Kälte ist beinahe wohltuend, als wolle sie der unablässig ausstrahlenden Ofenwärme ihre guten Absichten absprechen. Das Kribbeln hat derweil meine Oberschenkel erreicht. Ich genieße es. Ich bin alleine. Niemand wartet auf mich. Dafür habe ich gesorgt. Eine Notiz liegt auf dem Schreibtisch. Darauf stehen drei Worte von Trauer begleitet. Mit schwer leserlicher Handschrift dahingekritzelt. Im Gedanken wiederhole ich sie. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. Bald wird es soweit sein. Die letzten Wochen habe ich viel geschlafen. Ich wollte nichts mehr sehen und hören. Meinem Chef hatte ich zuvor gekündigt. Von einem Tag auf den anderen. Er verstand mich so wenig wie meine restliche Umwelt. Ich ließ ihn mit verdutztem Gesichtsausdruck in der Tür seines Büros stehen und ging. Unterwegs sprach ich kein Wort. Früher führte ich oft Selbstgespräche, brabbelte vor mich hin. An jenem Tag aber blieb ich stumm. Auf dem Nachhauseweg eilte ich nicht. Ich ging zu Fuß. Ich war nicht mehr gut zu Fuß, die Schmerzen waren höllisch. Doch das störte mich nicht mehr. Das Allernötigste – Wasser und Brot – besorgte ich während jenen Spaziergangs, es sollte mein letzter werden. Dann schlief ich den ganzen Tag. Vollgepumpt mit Drogen. Zeitweise war der Schlaf komatös. Ich habe es genossen, traumlos in ein bodenloses Loch zu fallen. Das mich innerhalb kurzer Zeit aufsaugte und erst nach längerer Zeit wieder preisgab. Das brennende Holz im Ofen flackert. Der Schein spiegelt sich in der Glasvitrine an der gegenüberliegenden Wand wieder. Dort lagern meine Erinnerungen. Vergilbte Bilder. Schwarze Brandflecken, die von einigen Aussetzern herrühren, die ich in der Vergangenheit häufiger hatte. Der Raum, in dem ich mich aufgebettet habe, ist finster. Die Rolläden sind geschlossen, die Vorhänge zugezogen.
Dort, wo das Feuer die Stimmung nicht zu erhellen vermag, gähnt ein schwarzes, offenes Maul. Insgeheim wundere ich mich, dass der Prozess so lange dauert. Ich habe es mir kürzer vorgestellt. Nichtsdestotrotz ist es eine erstaunliche Erfahrung, wie die Glieder langsam absterben. Mein Chef mochte mich nicht. Die Kollegen auch nicht. Ich nahm die Arbeit notgedrungen an, da ich nirgendwo sonst dergleichen fand. Ich mochte meine Arbeit und die Arbeit meinte es gut mit mir. An jenem Morgen, als ich dem Chef meine Kündigung überbrachte und ihn mit verdutztem Gesichtsausdruck in der Türe seines Büros stehen ließ, suchte ich zum letzten Mal meinen Arbeitsplatz in der Firma auf. Niemand bemerkte den Diebstahl. Mein Unterleib wird taub. Ich verliere das Gleichgewicht. Die schwarze Ledercouch, die mir so oft Trost spendete, federt meinen Sturz ab. Automatisch stütze ich mich mit den Armen ab, die Hände sind ebenfalls taub geworden. Ich merke, dass es schneller voran geht. Nein, ich bin nicht unschuldig. Im Gegenteil. Einmal überfuhr ich einen Hasen. Er zappelte noch an den Hinterläufen, obwohl sein Kopf deformiert und blutüberströmt war. Ich nahm einen großen Stein und schlug ihm auf den Rücken, anstatt ihn an Ort und Stelle den Gnadenstoß zu geben. Ich weiß nicht ,wie er starb. Mein Geist war abwesend. Ich befürchte , noch viel schlimmeres getan zu haben, während ich so oft weggetreten war. Unentschuldbares. Schlimmeres, als einen Hasen zu quälen. Mein Herz schlägt langsamer. Das Gift entfaltet seine volle Wirkung. Ich habe an viele Wege gedacht , mich umzubringen. Doch nur dieser ist am Ungefährlichsten. Für meine Umwelt. Ich kenne meine Unvernunft. Den dicken Nebel, der sich hernieder senkt. Ich kenne sie nur zu gut, wenn ich die Kontrolle verliere. Nur noch mein Instinkt das Handeln übernimmt, der keine Gerechtigkeit kennt. Wie ich mir Schaden zufüge. Damals, als ich mir in den Rücken stach... Wie ich anderen Schaden zufüge. Sie grundlos niedermachte. Und dabei noch lächelte. Stechen in meiner Brust. Meine letzten Atemzüge. Das Leben weicht mir aus dem Körper. Ich dämmere so vor mich hin. Das schwarze Maul, das Kerzenlicht, das lichterloh brennende Holz im Ofen – alles verschwimmt vor meinen Augen. Nur noch im Unterbewusstsein registriere ich, wie die Tür meines Zimmers aufgebrochen wird. Uniformierte Hasen drängen herein. Sie kommen, um mich zu holen.

© Felios - 29. März 2005

Papillon1 ( gelöscht )
Beiträge:

06.04.2005 19:53
#2 RE: Weg [Kurzgeschichte] Antworten

Hallo Felix,

also...Wow. Wow.
Ich glaube, das war bisher das Beste, was ich von dir gelesen habe. Das habe ich schon mal an anderer Stelle gesagt, aber ich habe den Eindruck, dass du dich gesteigert hast. Erinnert mich an "Veronika beschliesst zu sterben" von Paul Coelho. Die Protagonistin nimmt Schlaftabletten und wartet darauf, dass sie stirbt. Wobei sie ein wesentlich angenehmerer Weg in den Tod erwarten würde als das. Frage: Was ist das, was die beschrieben Person da genommen hat? Bei der Vorstellung, dass einem die Gliedmassen absterben... Brr.
Ein paar kleine Schreibfehler, aber nicht tragisch. Bei

Zitat
Nebel senkt sich über meinen Verstand hernieder


bin ich mir nicht sicher, ob man hernieder sagen kann. Oder kann man es weglassen?

Zitat
Er zappelte noch an den Hinterläufen, obwohl sein Kopf deformiert und blutüberströmt war. Ich nahm einen großen Stein und schlug ihm auf den Rücken, anstatt ihn an Ort und Stelle den Gnadenstoß zu geben.



War für mich die gruseligste Stelle. Zum Gänsehaut kriegen.

Zitat
Ich weiß nicht ,wie er starb. Mein Geist war abwesend. Ich befürchte , noch viel schlimmeres getan zu haben,



Unangenehme Vorstellung, diese Ungewißheit!

Zitat
Ich ließ ihn mit verdutztem Gesichtsausdruck in der Tür seines Büros stehen und ging.



Da würde ich noch ein wenig ausbessern. Das hört sich nicht mehr an wie eine Reflexion des Vergangenen, eher gestellt. Weißt du, was ich meine? Inhaltlich muss es so bleiben, aber es wäre gut, wenn es "sich anders anhört". Also das das LI mit seinen Gedanken allein ist und sie dem Leser nicht "erklärt".

Zitat
Nur noch im Unterbewusstsein registriere ich, wie die Tür meines Zimmers aufgebrochen wird. Uniformierte Hasen drängen herein. Sie kommen, um mich zu holen.



Den Schluss finde ich genial, dieses halluzinöse Bild der Hasen in Verbindung zu dem, den das LI überfahren hat.
Man spürt die Angst und den eintretenden Tod.

Fand ich sehr gut, wirklich! Weiter so!
Den Titel finde ich etwas allgemein gehalten, aber das ist meine subjektive Meinung.

LG
Bianca

Felios Offline



Beiträge: 416

06.04.2005 21:18
#3 RE: Weg [Kurzgeschichte] Antworten

Hallo Bianca ,

danke für Deinen Kommentar - freut mich wirklich sehr :-)

"Frage: Was ist das, was die beschrieben Person da genommen hat? Bei der Vorstellung, dass einem die Gliedmassen absterben... Brr."

Ich dachte an ein Gift wie es beispielsweise bei dem Film "Anatomie" vorkam. Eine genaue Bezeichnung kann ich Dir leider nicht nennen, mir fällt aber bestimmt noch was ein ;-)



"Nebel senkt sich über meinen Verstand hernieder
bin ich mir nicht sicher, ob man hernieder sagen kann. Oder kann man es weglassen? "

"Nebel senkt sich über meinen Verstand nieder." - wäre eine Alternative.




Ich ließ ihn mit verdutztem Gesichtsausdruck in der Tür seines Büros stehen und ging.



Da würde ich noch ein wenig ausbessern. Das hört sich nicht mehr an wie eine Reflexion des Vergangenen, eher gestellt. Weißt du, was ich meine? Inhaltlich muss es so bleiben, aber es wäre gut, wenn es "sich anders anhört". Also das das LI mit seinen Gedanken allein ist und sie dem Leser nicht "erklärt".

Ich verstehe ,was Du meinst - ich überlege mir etwas anderes.



"Fand ich sehr gut, wirklich! Weiter so!"

Danke :-)

"Den Titel finde ich etwas allgemein gehalten, aber das ist meine subjektive Meinung."

Ich denke darüber nach.Irgendetwas mit "Hasen" , ohne dass ich den Schlusssatz aufgreife.

lg,Felix

Papillon1 ( gelöscht )
Beiträge:

09.04.2005 00:09
#4 RE: Weg [Kurzgeschichte] Antworten

Zitat
"Nebel senkt sich über meinen Verstand nieder." - wäre eine Alternative.



Besser! Ich hab auch immer "hernieder" benutzt, aber das klingt künstlich, find ich.

Frege89 Offline



Beiträge: 11

28.05.2005 23:52
#5 RE: Weg [Kurzgeschichte] Antworten

hey Felios!

Ich bin vollends beeindruckt, wirklich.
In dem Forum in dem ich mich vorher so rumgetrieben habe, fand man nich mal Texte die annährend so gut sind und wenn ich mir es so recht überlege, ich steh grad ziemlich in deinem Schatten. *g*
Aber ich muss wirklich sagen, dass diese Kurzgeschichte echt der hammer ist!

Freue mich schon darauf, deine anderen Texte zu lesen!

Deine Frege89

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