Langsam rinnt das Leben aus ihr. Sie kann es spüren. Sie sieht es. Rote Blutbahnen laufen ihre Arme hinab und tropfen auf den Boden. Die Leute, die sie finden, werden viel Zeit damit verbringen müssen, den Boden zu säubern. Ein weißer Boden ist eben sehr empfindlich. Einen Moment überlegt sie, ob es doch nicht besser gewesen wäre, ins Wohnzimmer zu gehen. Dort war ein dunkler Boden, das Blut wäre nicht so gut zu sehen. Doch dieser Raum war zu gut einsehbar. Und sie wollte nicht gesehen werden. Wollte nicht gestört werden. Nicht jetzt, nie mehr. Natürlich hatte sie daran gedacht, Schlaftabletten zu nehmen, um ein Blutbad zu vermeiden, hatte versucht an welche heranzukommen ohne Verdacht zu erregen. Doch diese Dinger waren verdammt schwer zu besorgen. Und das letzte, was sie wollte, war, dass ihr Plan vor seiner Vollendung aufgedeckt würde. Auch hatte sie noch andere Todesarten in Erwägung gezogen, doch sie waren ihr allesamt so brutal erschienen.
Fasziniert beobachtet sie die Tropfen ihres Blutes, die auf die weißen Fliesen laufen und seltsame Gebilde hinterlassen. Sie fühlt, dass ihre Sinne zu schwinden beginnen. Bald wird es so weit sein. In Gedanken sieht sie nochmals die letzten Wochen vor sich. Die schlimmsten Wochen ihres Lebens. Jedenfalls hat sie sich noch nie so schlecht gefühlt. ‚Ein Übel kommt selten allein’, heißt doch das Sprichwort. Irgendetwas Wahres scheint dran zu sein. Zuerst wird sie von ihrem Chef gefeuert. Er ist nicht mehr mit ihr zufrieden. Sie leistet nicht mehr so viel wie früher. Sie ist nutzlos für den Betrieb. Eine rührende Abschiedsfete und das war’s dann. Weg ist die Karriere, weg ist alles, was sie aufrechtgehalten hat. Dass sie wochenlang krank im Bett gelegen ist und immer noch nicht ganz genesen ist, scheint niemanden zu interessieren. Sie versucht einen neuen Job zu bekommen. Sie muss ja, das Leben geht eben weiter. Von einer Cafeteria bis zu einer Agentur, die Putzfrauen eine Arbeitsstelle vermittelt, hat sie alles durchgekämmt. Nichts. Entweder hat sie nicht die nötigen Bewertungen oder es gibt einfach keine freie Stelle. Schwamm drüber, irgendwann wird alles wieder besser. Sie meldet sich Arbeitslos, wird vom nun vom Staat versorgt. Darauf folgt der Auszug aus ihrer Wohnung. Ist auch zu verkraften, Heimat ist austauschbar. Dann die schreckliche Diagnose: Lungenkrebs. Sie hat nie selbst geraucht. Alex, ihr erster Ehemann hat geraucht wie ein Schlot. „Passivraucher sind häufig Opfer“, sagt der Arzt. Sie macht die Behandlung mit: Chemotherapie, Operation. Es zeigt Erfolg. Endlich geht es bergauf. Als es ihr besser geht, die Haare zu einem modischen Kurzhaarschnitt gewachsen sind und sie ein neues Leben aufzubauen beginnt, stirbt ihre Mutter. Herzversagen. Sie weiß nicht mehr ein noch aus. Keiner steht ihr bei. Familie hat sie kaum, ihre Freunde sind beschäftigt und die Scheidung mit ihrem zweiten Mann läuft gerade. ‚Was dich nicht umbringt, macht dich stark’, sagt sie sich immer wieder, doch es hilft nichts. Sie fühlt sich schlecht. Sie isst nicht mehr und magert infolge dessen ab. Trauer umwölkt ihre Gedanken. Sie liegt immer nur im Bett, will nicht mehr aufstehen. Der Arzt diagnostiziert wieder Lungenkrebs. „Rückfälle sind wahrscheinlich“, erklärt er. Das ist der Zeitpunkt, als sie beschließt, Schluss zu machen. Was hat das Leben denn noch für einen Sinn? Wofür lebt sie noch? Das Leben ist erbarmungslos. Manchmal scheint die Sonne, wenn das Leben einem Glückspilz gut gesinnt ist, doch die anderen verbringen ihr Leben im tiefen Nebel ohne einen Lichtstrahl zu sehen. Sie rafft sich auf. Geht wieder einkaufen und besucht Freunde. Sie will nicht, dass sich jemand um sie sorgt, weil sie sich nicht mehr meldet. Keiner soll ihren Plan vom Sterben durchkreuzen. Sie will dem Leben nicht mehr in sein hässliches Antlitz sehen. Einfach in die Ewigkeit eingehen, nichts mehr zu spüren, das wünscht sie sich. Sie beginnt Tagebuch zu schreiben, um zu erklären warum. Sie beschreibt ihre Gefühle hemmungslos ins kleinste Detail. Sie erklärt den erbarmungslosen Schmerz, der in ihrer Brust sitzt, der sie lähmt, ihr die Kraft raubt. Sie kann nicht weinen, nicht schreien. Sie ist gefangen in einem ewigen Teufelskreis. Ihr Hirn ist unfähig zu vergessen. Immer wieder erinnert sie sich an die Dinge, die ihr schlechtes widerfahren sind. Sie fühlt sich klein, unbedeutend. Allein in einer riesigen Welt, die sie Tag für Tag aufs Neue verschlingt, und unfähig ihr zu entkommen, fristet sie ihr Leben auf einem kleinen Stückchen Erde, das nicht mal ihr eigen ist. Alles, was ihr etwas bedeutet, hat man ihr genommen. Grausame Zufälle häufen sich. Sie fragt sich, was wohl als Nächstes kommen mag. Und sie weiß, dass sie den Ansturm eines neuen Übels nicht mehr standhalten kann. Sie beschreibt ihren Kampf, Tag um Tag zu überleben, als ein Gefecht zwischen ihrem Heer, das nur aus ihr selbst besteht und einem hundert Mann überlegenen Gegner, der sie versucht in die Knie zu zwingen. Bald schon wird sie vernichtet von den Waffen und der Übermacht. Keiner ist da, um ihr zu helfen. Sie hat das Gefühl allein auf der Welt zu sein. Die Menschen auf der Straße sind nur Marionetten, sie werden bewegt, damit die Illusion einer heilen Welt noch erhalten bleibt. Doch sie sieht hinter die Täuschung. Sie sieht die Welt zersplittert in Abertausende von Splittern. Oder ist es ihr Herz, das so zerstört vor ihr liegt? Sie erkennt, dass der Begriff ‚Leben’ neu definiert werden sollte. Leiden, Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit sollten damit assoziiert werden. Nicht etwa Schönheit und Glück. Sie schreibt alles nieder, was ihr in den Sinn kommt. Sie hofft, dass die Menschen verstehen, warum sie es getan hat. Warum sie nicht mehr mit der Täuschung leben kann. Einen geeigneten Zeitpunkt für ihr Vorhaben zu finden, war nicht schwer gewesen. Arbeit hat sie keine mehr und ihre Freunde sind Montag bis Freitag mindestens von 8 bis 16 Uhr mit ihrem Job beschäftigt. Reichlich Zeit um zu Sterben. Sie wählt einen Montag. Montag ist der Beginn der neuen Woche. Für sie wird es der letzte sein, gleichzeitig jedoch der erste Tag in der Ewigkeit. Extra für diesen Anlass kauft sie sich ein neues Kleid. Damit will sie beerdigt werden. In einem weinroten Seidenkleid. Es hat all ihre Ersparnisse aufgefressen, das Kleid. Aber es sieht wunderschön aus. Es schmeichelt ihrem Körper. Die weiblichen Rundungen kommen sehr gut zur Geltung. Ihre zarten Schultern werden von den hauchdünnen Trägern speziell noch betont. Damit sie nicht so blass aussieht, wenn sie erst einmal tot ist, legt sie noch Make-up auf. Zum ersten Mal seit Wochen fühlt sie sich wieder attraktiv. Und sie hat richtig Ausgehlaune, doch sie traut sich nicht, auszugehen. Zu schnell könnte ihr jemand auf die Schliche kommen. Außerdem kann sie nicht länger warten. Es muss jetzt geschehen. Hier muss es geschehen. Das Messer hat sie auch schon ausgesucht. Es ist ein Fleischmesser. Mühelos reißt es ihre Haut auf und dringt Tief in die Handgelenke ein. Sie lacht dabei. Der physische Schmerz ist eine willkommene Abwechslung zu dem unerträglichen Schmerz in ihrem Inneren.
Sie ist nahe an der Bewusstlosigkeit. Ihr Körper fühlt sich so leicht an. Sie könnte fliegen, wenn sie wollte, so scheint es ihr. Ihr ganzes Denken ist nun darauf gerichtet, möglichst schnell zu entgleiten. Sie spürt eine Freude ähnliche Erwartung. Gleich wird es so weit sein. Von weit her hört sie das Telefon schellen. Doch der Klang verklingt bereits. Ein schwarzer Strudel reißt sie mit sich. Innerhalb weniger Minuten fließt ihr letzter Lebenstropfen aus ihrem Leib. Ein letzter Atemzug hebt ihre Brust. Dann liegt sie still. Zurück bleibt nur noch ein Stück totes Fleisch, lächelnd, noch rosig, auf einem kalten weißen Fußboden, überschwemmt von Blut.
Du hast eine makabere Kurzgeschichte geschrieben. Sie enthält drei Teile. Die Einleitung, der Hauptteil und der Schluss. Das ist Dir gut gelungen. Stilstische Fehler sind wenige enthalten. Dafür aber ein kolossaler Brocken. In deinem Hauptteil machst du eine Rückblende und erklärst ihre Lage, wie alles begann usw. das kann man machen, wenn auch Rückblenden nicht gerne gesehen werden. Wenn man aber von der Vergangenheit schreibt, muss man das entsprechend berücksichtigen. Du hättest in der vollendeten Vergangenheit schreiben sollen, Plusquamperfekt. Beispiel: „Passivraucher sind häufig Opfer“, sagt der Arzt. Hier müsste es heißen: hatte der Arzt gesagt. PS Warum man keine Rückblenden schreiben sollte können Interessierte auf meiner HP im Seminar nachlesen. www.peters-buchladen.de
Hallo, danke für die Kritik. Stimmt, da ist noch einiges in der Geschichte, das noch verbessert werden müsste. Ich werd dran arbeiten Liebe Grüße, creativeGirl