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 Texte aller Art, Gedichte, Lyrik, Kurzgeschichten, Altbeiträge
Lizzie ( gelöscht )
Beiträge:

11.08.2005 08:13
RE: Text von Lizzie Antworten

Hi, Schreiberling,

ich stelle mal einen Ausschnitt aus einem meiner Manuskripte hier herein. Der Titel des gesamten Romans lautet: Die Seelendiebin

Gruß Lizzie


Statt eines Rates oder einer Erleuchtung hatte Fen Mei im Tempel ein etwa fünf oder sechs Jahre altes Mädchen gefunden - also in einem Alter, in dem es nur eine zusätzliche Belastung für eine schwer arbeitende Frau darstellte. Natürlich nahm jede Kupplerin ein vielversprechendes Mädchen gerne auf. Aber die Kleine war noch nicht einmal hübsch gewesen. Sie hatte einer der rundköpfigen, langnasigen Tempelkatzen geglichen, wie sie manchmal von Händlern aus westlicheren Ländern mitgebracht wurden, und zusammengerollt wie eine Katze hatte das Kind zu Füßen von Shirliang Pos großem Standbild gelegen, als fühle es sich bei ihm wie zu Hause.
Als Fen Mei das Kind versehentlich geweckt hatte, war es ganz selbstverständlich auf sie zugegangen und hatte sich wie ein junges Kätzchen an sie geschmiegt, mit weit offenen Augen, in denen Vertrauen stand und beständiges Staunen. Fen Mei hatte dann unter seinen aufmerksamen Blicken ihr Opfer gebracht und ihre Gebete gesprochen. Dann war sie ihrem Gefühl und nicht ihrem Verstand gefolgt und hatte das offensichtlich ausgesetzte Ding mitgenommen.
Ob es nun an Opfer und Gebet lag oder daran, daß sie sich des Mädchens angenommen hatte, wußte Fen Mei später nicht zu sagen. Jedenfalls war es von dem Tag an mit ihrem Freudenhaus wieder kräftig aufwärts gegangen. Trotz vieler Schwierigkeiten, die ihr die Konkurrenz und die Beamten des Königs machten, hatte das Glück sie seitdem nicht mehr verlassen. In diesem Gefühl hatte sie ihrer kleinen Pflegetochter vieles nachgesehen und sie mehr verwöhnt, als dem kleinen Ding guttat.
Das Mädchen war ihr in den ersten Wochen und Monaten auf Schritt und Tritt gefolgt und ständig den Gästen und den Mädchen zwischen die Füße gelaufen. Da auch sein winziges Gesicht dem eines Kätzchens glich, rief jedermann es nur 'Kätzchen'. Für Fen Mei war die schöne Kurtisane das auch bis heute geblieben, trotz der dicken, bunten Tünche ihres Berufes.
Kätzchen war das liebste und freundlichste Wesen, welches sie je aufgezogen hatte, aber gleichzeitig so tapsig, eigenwillig und verspielt wie ihre Namensvetterinnen. Mit Anmut und Leichtigkeit lernte sie alles, was sie zu ihrer späteren Profession brauchte. Doch ihr fehlte jede Ausdauer. Immer wieder setzte sie das Haus in Aufregung, weil sie sich nachts aus dem Schlafsaal stahl, um bei Mondschein im Park spazierenzugehen, und weil sie fremde Katzen anschleppte und sich von den dürren, struppigen Dingern nicht mehr trennen wollte. Ja, sie schrie selbst mit der maunzenden Stimme einer Katze, wenn ihr etwas nicht paßte oder jemand ihr weh getan hatte.
So war Fen Mei trotz des Glücks, das Kätzchen ihr gebracht hatte, froh gewesen, als ihre Ausbildung abgeschlossen war und sie in die Reihen der Kurtisanen aufgenommen werden konnte. Nun hatten in erster Linie nur die Freier unter ihrer Eigenwilligkeit zu leiden. Doch Kätzchen war schön und liebenswürdig und selten wirklich launisch, so daß ihr niemand ernsthaft böse sein konnte.
Als 'Bunte Tigerin' wurde Kätzchen in einer selten aufwendigen Zeremonie den reichsten Freiern der Stadt vorgestellt, und sie war von Anfang an ein großer Erfolg. Sie verschmähte keinen Gast und beleidigte auch keinen. Sie wurde mit der Zeit nur sehr wählerisch, aber das war auch ihr gutes Recht. Selbst wenn sie statt eines Geldgeschenks eine weitere, kostbare Löwenkatze von einem Freier annahm, verübelten es ihr höchstens die Diener wegen der Mehrarbeit.
Der einzige große Ärger, den sie dem Blumenhaus bescherte, war der Wirbel, den ihr offizieller Name verursachte, und den mußte Fen Mei sich selbst ankreiden. Einige Hofbeamte bemäkelten die Wahl, weil sie angeblich den Tiger, den wilden König der Berge, beleidigt hatte, dessen Namen man nicht unnötig aussprechen sollte. In Wahrheit fühlte sich ein Adelshaus gestört, welches seine Abstammung auf einen sagenhaften Tigergeist zurückführte.
Fen Mei änderte Kätzchens offiziellen Namen in Goldene Katze ab, ließ sie als Jin Mau in die Liste der ausgebildeten Kurtisanen eintragen und gab zu diesem Anlaß ein weiteres großes Fest. Danach schien alles in schönster Ordnung zu sein, so lange jedenfalls, bis dieser junge Fürst kam und Kätzchen total den Kopf verdrehte. Das sagte sie ihr jetzt auch; dabei versuchte sie, ihr ein wenig Vernunft zu predigen.
"Also sieh bitte den Tatsachen ins Gesicht", beendete sie ihren Vortrag. "Du wirst sehen, er kommt nicht mehr!"
Jin Mau sah ihre Kuppelmutter mit leuchtenden Augen an und lächelte unbeschwert, als hätte sie ihr nur Komplimente gemacht. "Nein, Mama Fen! Ich weiß, daß er kommt. Schau, wir hatten bisher selten einen Dauergast, der regelmäßige Verpflichtungen bei Hofe hat. Der König sieht es nun einmal nicht gerne, wenn seine adeligen Höflinge und seine Beamten hierherkommen."
"Das ist es ja, was ich befürchte!" rief Frau Fen. "Vielleicht ist bei Hofe schon bekannt geworden, daß der junge Fürst mehr als nur ein flüchtiges Verhältnis zu dir hat. Der Kanzler hat ihm gewiß schon verboten, sich weiter mit dir zu treffen!"
Jin Mau erblaßte und griff so hart in das Fell der grauen Katze, daß diese kreischend und fauchend zu Boden sprang. Die Kurtisane bückte sich sofort und streichelte das Tier, bis es um ihre Beine strich und schnurrte. Dann richtete sie sich auf und hatte ihr Lächeln zurückgewonnen.
"Nein, nein, das glaube ich nicht. Zhong Tie Hu wird nur durch die Zeremonie im Palast abgehalten worden sein, sofort zu mir zu kommen. Wenn der König oder sein Kanzler ein solches Verbot ausgesprochen hätten, wäre der alte Waffenmeister Buku, der ihn immer begleitet, schon hier gewesen und hätte mir eine Nachricht gebracht. Wir haben uns schon auf diese Situation eingestellt. Sollte Fürst Zhong um meinetwillen Ärger bekommen, wird er ein Haus im Viertel der kleinen Händler mieten und mich in einer Sänfte dort hinbringen lassen, wenn er mich sehen will. Ach, Mama Fen, schau doch nicht so verdrießlich! Auch wenn du mich irgendwann ganz an ihn verlierst, wird es dein Schaden nicht sein.
Mein Fürst wird mich zu seiner zweiten Frau machen, wenn er erst eine rechtmäßige Ehefrau gefunden hat, die seinem Haus vorsteht und Mutter seiner Söhne sein wird! Zhong Tie Hu ist ein guter, ehrlicher Mann. Er wird dir einen hohen Preis für mich zahlen, denn er ist nicht nur freundlich, sondern auch reich und großzügig. Er wird dir dann in jedem Jahr zu Neujahr die Geschenke schicken, die der Familie einer Nebenfrau zustehen, denn schließlich nimmst du nach Sitte und Gesetz die Stelle meiner Mutter ein. Ich werde dich auch besuchen kommen und du wirst dich stolz die 'kleine Schwiegermutter' eines Fürsten nennen dürfen!"
"Ja, so lange, bis die erste Ehefrau eifersüchtig wird, dir das Gesicht zerkratzt und dich in Schande aus dem Haus werfen läßt. Dann kommst du arm und abgerissen wie eine streunende Katze hierher zurück und kannst froh sein, wenn du für jede Nacht einen Freier findest!"
Kätzchen lachte übermütig. "Aber nein, Mama Fen, das wird bestimmt nicht geschehen! Dafür sorge ich schon. Ich habe da einen guten Plan. Komm, hör mir zu, denn du wirst mir dabei helfen müssen!"
"Oh, nein! Jin-Jin, mein Kätzchen, hör auf! Ich kenne deine krausen Ideen nur allzu gut. Nun, was hast du jetzt schon wieder für einen Streich ausgeheckt?"
"Keinen Streich, kleine Mama. Ich möchte nur eine Heirat einfädeln, und ich habe auch schon eine Kandidatin für meinen Fürsten!"
"Was sagst du da? Du willst einem Herrn von Stand und hohem Adel eine rechtmäßige Ehefrau aussuchen? Eine Erste Frau, die seine gesetzliche Gattin und die Mutter alle seiner Kinder sein wird? Eine, die selbst die Söhne, die du ihm gebären willst, ihr eigen nennen wird? Kind, schäm dich! Du vergißt, wer du bist!"
"Mama Fen, ich bin immerhin zum dritten Mal zur Blumenkönigin gewählt worden und gelte damit als die erste Kurtisane dieser Stadt! Und ich weiß von einer Dame ..."
"Bitte, Jin-Jin, mein Kleines - sprich nicht weiter. Es gehört sich nicht, im Freudenhaus über ehrbare Frauen zu reden! Das ist ein schlimmer Verstoß gegen die Sitten. Willst du, daß man dir schlechtes Benehmen nachsagt? Willst du, daß ich mich deiner schämen muß?"
"Nein, Mutter Fen, das will ich nicht. Ich habe bisher auch kein Wort zu irgend jemandem gesagt. Ich habe nur unseren Gästen zugehört, und die halten sich leider auch nicht immer an die guten Sitten, wie du weißt."
"Pst, Kind. Ein Blumenmädchen kritisiert auch keine Gäste!"
"Kleine Mama, ich weiß, daß du deinen Ehrgeiz daran setzt, nicht nur die schönsten, sondern auch die wohlerzogenen Blumenmädchen zu haben, obwohl unsere Gäste uns selten ein gutes Beispiel geben. Aber laß mich bitte jetzt ausreden. Wenn ich nicht mit dir über diese Dinge sprechen kann, mit wem soll ich es denn sonst tun? Ich habe keine Tante und keine sonstige Verwandte, die mir helfen könnte. Außerdem sind wir hier ganz allein. Niemand hört uns zu."
"Nur der Wind in den Zweigen, und der ist schwatzhaft genug!"
Jin Mau winkte ab. "Ja, hinter den Wolken oder auf dem Kunlun-Berg mag er schwätzen. Mögen Geister und Gespenster zuhören, es ist mir gleich. Es geht um mein Glück und das kann mir nur von Menschen genommen werden! Hör zu, Mutter Fen. Ich habe von einem Mädchen gehört, das gerade die Nadel der Heiratsmündigkeit in ihr Haar gesteckt hat und für das die Verwandten einen nachsichtigen Ehemann suchen."
"Einen nachsichtigen Ehemann?" fragte die Kupplerin schockiert. "Was hat sie getan? Ist sie ein Edelstein mit Flecken? Hat sie einen Fehltritt begangen, der vertuscht werden soll?"
"Nein, nein, sie hat keinen heimlichen Liebhaber oder so etwas Ähnliches! Sie ist ein richtiges Fräulein Tausendgoldstück und sehr ehrpusselig und prüde. Dabei ist sie gebildet wie ein Gelehrter und ebenso geschickt mit der Nadel wie mit dem Schreibpinsel."
"Ach, ich weiß, wen du meinst. Es handelt sich um das Fräulein Vier aus der Familie des Grafen Yü! Das Mädchen muß ein selten heiligmäßiges Wesen sein."
"Du kennst sie, kleine Mama?" fragte Kätzchen neugierig.
"Die Kupplerin Hama, die auch als Heiratsvermittlerin tätig ist, erzählte mir von ihr. Sie möchte sich gern den Batzen Geld verdienen, den die Verheiratung der vierten Yü-Tochter ihr einbringen würde. Aber die Familie ist von sehr altem Adel und mehr als heikel.
Leider sind die Yü beim Hof schon lange in Ungnade gefallen und gelten als verfemt. Deswegen bekleidet der alte Graf auch kein Hofamt. Das macht es ihm unmöglich, für seine Tochter einen ebenbürtigen Gemahl zu finden, und von selbst kommt kein Höfling auf einen Grafen ohne gesellschaftliche Verbindungen zu, besonders dann nicht, wenn die Tochter als Literatin und Philosophin gilt. Da ist nicht mehr modern in diesem Land. Vor fünfhundert Jahren wäre das noch anders gewesen. Da hätten sich die gebildeten Männer um sie gerissen und wären stolz auf sie gewesen."
"Vor fünfhundert Jahren! Mama Fen, du bist lustig. Wer interessiert sich noch dafür, was vor fünfhundert Jahren war, außer einigen verstaubten Schriftgelehrten? Mich interessiert, was heute ist. Meinst du, der Fürst könnte um die Hand von Fräulein Yü Vier anhalten und würde sie bekommen? Sie scheint eine Frau zu sein, die sich außer für Literatur und Philosophie nur für den Haushalt interessiert, und sie soll tatsächlich einen guten Charakter haben. Heiraten muß der Fürst, das steht fest. Das wird auch am Hof erwartet, aber er sagte mir, solange er noch kein offizielles Amt bekleidet, kann er zu seiner ersten Frau nehmen, wen er will. Ich glaube, wenn ich ihn überredet hätte, hätte er sogar mich dazu gemacht."
Die Kupplerin begann zu lachen. "Jin Mau, du träumst! Kein Mann von seinem Rang darf ein Blumenmädchen zu seiner rechtmäßigen Gattin machen. Er würde sofort in Ungnade fallen und für immer vom Hof verbannt werden!"
"Ja, ja, ich weiß. Das ist es ja, was Tie Hu schon überlegt hat. Ich gebe zu, er war sehr schwermütig an jenem Tag, aber er meinte es ernst. Er sagte, der Hof brächte ihm Unglück. Jetzt, wo er auch die richtigen Menschen, die Leute außerhalb des Hofstaats und des Palastgeländes, kennengelernt hat, fühlt er sich zwischen all den glattzüngigen Adeligen und hochnäsigen Beamten nicht mehr wohl.
Er ist, glaube ich, in seinem Inneren doch mehr Krieger als Höfling. Er schreibt keine Gedichte, denen die Prinzessinnen und Hofdamen hinter Bambusvorhängen lauschen, und kann auch nicht lobhudeln, wo es erwartet wird. Er sagte mir einmal, er stände lieber einem wilden Tiger Auge in Auge gegenüber als dem Kanzler Ding Wanzi, und am liebsten würde er für immer am Fuß des Glockenberges leben und jeden Tag auf die Jagd gehen."
"Das sagte er dir?" rief Fen Mei und klatschte verwundert in die Hände. "Der junge Mann wird sich noch einmal um Kopf und Kragen reden! Der Kanzler bekämpft unnachsichtig seine Gegner, und die, die er dafür hält. Dazu spinnt seine Frau, die königliche Schwester ersten Ranges Prinzessin Lien, meisterhafte Intrigen. Sie nutzt ihre und seine Stellung weidlich aus, und macht ihrem Namen, der ja auch Bescheidenheit bedeutet, keine Ehre.
Du hast von der bigotten Clique bei Hofe gehört, die am liebsten alle Freudenhäuser schließen und uns mit Ruten aus der Stadt treiben lassen würde. Die Frau des Kanzlers gehört mit dazu. Wenn ihr nur ein Wort von eurem Gerede ans Ohr dringt, wird sie an uns ein Exempel statuieren lassen!"
"Nun, von mir wird es niemand erfahren. Ich bin keine Schwätzerin", sagte Kätzchen empört.
Die Kupplerin wiegte den Kopf und griff auf einen ihrer Mahnsprüche zurück. "Das Blumenhaus und der Palast haben eins gemeinsam, das mußt du beherzigen und auch deinem Fürsten beibringen: Hier wie dort haben die Mauern scharfe Ohren! Du solltest deswegen auch mir nicht erzählen, was der Fürst dir anvertraut!"
"Ach, kleine Mama, du hast ja so recht", gab Jin Mau zu, und die Kupplerin wußte im Augenblick nicht ob sie es ehrlich meinte oder spottete. "Du bist ein Born der Weisheit, und ich will versuchen, deine Ratschläge zu befolgen. Wenn Zhong Tie Hu mit meiner Brautwahl für ihn einverstanden ist, können wir dann Frau Hama als Brautwerberin zur Familie Yü schicken?"
"Frau Hama? Aber Kätzchen, warum willst du dieser alten, nach ranzigem Fett riechenden Vettel das Vermittlergeld zukommen lassen? Wer weiß, was dieses Weib alles falsch macht! Ich werde das natürlich selbst für deinen Fürsten tun, wenn er einverstanden ist!"
Jin Mau klatschte vor Freude in die Hände, und aus dem Hintergrund kam eine sanfte Stimme. "Was wollt ihr für mich tun, Mutter Fen?"
Die beiden Frauen sprangen auf und verbargen ihre Verwirrung hinter einem Kniefall mit tiefer Verbeugung. Ganz rot im Gesicht richtete sich die Kupplerin wieder auf, während der Fürst die Goldene Katze in seine Arme nahm und sie ganz vorsichtig und behutsam zurück auf die Bank setzte, so als ob er etwas unendlich Kostbares sanft betten wolle.
Fen Mei beobachtete die beiden scharf. Sie sah ihr Kätzchen vor Seligkeit dahinschmelzen, und sie merkte sowohl den verliebten Blick des Fürsten wie auch sein Lächeln, das deutlich zeigte, daß er ebenso die Anbetung der schönen Frau wie die Gunst der teuren und berühmten Kurtisane genoß.
Fen Mei verschloß einen tiefen Seufzer in ihrer Brust. Sie ahnte nichts Gutes für Jin Mau. Jetzt war Fürst Zhong Tie Hu unsterblich in den Traum aller Männer in dieser Stadt verliebt. Oder vielmehr bildete er sich dies ein, weil Kätzchen in Mode und trotz ihres Ranges sehr liebenswert war.
Viele junge Männer schmachteten unter dem Fenster einer berühmten Kurtisane, überboten einander in Geschenken und Heldentaten und ließen sich von ihr bestickte Bänder als Liebespfand schenken, um dann im Kreis der Freunde damit anzugeben. Der Fürst war von etwas empfindsameren Charakter und nahm alle Rücksicht auf die Gefühle seiner Geliebten. Dafür sonnte er sich in ihrer Anbetung und trug sie auf Händen. Eines Tages aber würde er dieser Sache müde werden, sich auf seine Pflichten besinnen, oder diese als Grund vorschützen, um die Goldene Katze von einem Tag auf den anderen zu vergessen.
Würde es sich nicht um Jin Mau handeln, die ihr mehr ans Herz gewachsen war, als die später von ihr gekauften und aufgezogenen Mädchen, würde sie sich nicht sonderlich darüber aufregen. Die meisten Kurtisanen kamen schnell wieder zur Besinnung und trösteten sich mit einem kleinen Haus und einer Truhe mit Seide und Silber, die bis zu ihrem Lebensabend für den Unterhalt reichen sollte, und deren Inhalt sie doch in wenigen Jahren für Liebhaber und Firlefanz verschwendeten.
Jin Mau aber war nur äußerlich die habgierige und unersättliche Kokotte, die sie darstellen mußte. Innerlich war sie weich und zimperlich, und sie hatte mehr das Zeug für eine treue Ehefrau als für ein Blumenmädchen. Viel zu oft zeigte sie dem Fürsten ihr wahres Gesicht. Fen Mei mochte sich nicht vorstellen, was aus Kätzchen werden würde, wenn er ihr eines Tages wirklich den Rücken kehrte.
Schon jetzt vernachlässigte Jin Mau immer öfter ihre Pflichten als Blumenkönigin. Sie machte sich für die anderen Freier auch auf den Festlichkeiten rar und übersah alle Huldigungen. Bei so viel Mißachtung würden sich die Gäste bald um eine andere Schönheit scharen und die Goldene Katze vergessen. Wenn der Fürst sie nicht gut versorgte, würde sie dann in die Masse der zweit- und drittklassigen Kurtisanen absinken, die froh waren, wenn sie einmal einen wohlhabenderen Bürger oder Bauern fanden, der sie für einige Zeit aushielt.
Die Kupplerin nahm sich vor, am nächsten Tag doch noch ein ernstes Wort mit Kätzchen zu reden und in Zukunft strenger mit ihr zu sein. Jin Mau mußte vernünftig werden. Diesen Tag aber sollte sie noch unbeschwert genießen dürfen.
Fen Mei verneigte sich ein weiteres Mal vor dem Fürsten und sagte: "Verzeiht dem törichten Mädchen und der dummen, alten Frau. Wir haben leeres Zeug geschwatzt, um uns die Zeit zu vertreiben. Darf ich Euch eine Erfrischung anbieten? Oder habt Ihr schon im Palast gespeist? Im Päonien-Pavillon steht eine kleine Mahlzeit für Euch bereit. Jin Mau wird euch Gesellschaft leisten und Euch unterhalten!"
Der Fürst lachte. "Mutter Fen, ich kenne eure 'kleinen Mahlzeiten'. Außerhalb Eures Hauses nennt man sie die großartigsten Festmähler aller fünf Himmelsrichtungen! Ich sage nicht nein und nehme dankend an. Bitte kümmert Euch um meinen Burschen, der unten in der Halle wartet. Der arme Kerl hat seit dem Sonnenaufgang noch kein Stück trockenes Brot gekostet."
"Einen Burschen habt ihr mitgebracht? Ist Euer ehrenwerter Waffenmeister Buku nicht bei Euch? Ich hatte ihm einige Krüge eines ganz besonderen Reisweins versprochen, wie er in meiner Heimat zubereitet wird. Er hat uns doch vor vier Monaten so mutig gegen den jungen Wa und seine Randalierer verteidigt."
"Ach, macht kein Aufhebens darum, Mutter Fen. Die kleine Prügelei hat dem Alten doch nur Spaß gemacht. Leider hat der Getreue auf dem Glockenberg-Gut zurückbleiben müssen, um anstelle eines unehrlichen Verwalters nach dem Rechten zu sehen. Er wird es sicher sehr bedauern, Euren Wein nicht kosten zu können. Wenn Ihr Eure Großzügigkeit so weit treiben wollt, Mutter Fen, dann übergebt den Wein meinem Burschen. Er soll ihn gut verpacken und dem Boten mitgeben, der morgen zu meinem Landgut aufbricht, um noch einiges Gepäck für mich zu holen."
"Aber natürlich! Ich bringe den Jungen in die Küche, lasse ihn verköstigen und verpacke die Krüge eigenhändig für die Reise." Fen Mei strahlte. Sie wußte nur allzu genau, daß er ihr den Wein mehr als gut bezahlen würde, wie auch das Mahl und die Gesellschaft der Goldenen Katze. Er war wirklich großzügig und sich seines Ranges und seines Rufes wohl bewußt, ohne aber verschwenderisch zu sein. Diese Sorte Freier war ihr lieber, als die, die das Geld verschleuderte und die sich schließlich mit leeren Taschen in Schnorrer verwandelte und lästig wurde.
Sie verabschiedete sich mit mehreren Verbeugungen, die der Fürst mit einem Nicken zur Kenntnis nahm, und eilte schnaufend die Treppe hinunter. Am späten Nachmittag sah sie, wie er und Jin Mau mit gelösten, strahlenden Gesichtern den Pavillon verließen und ganz verträumt zu einer Prunkbarke wanderten, um gemeinsam den Höhepunkt des Herbstseefestes zu erleben.
Mutter Fen blickte den beiden nach und schöpfte wieder Hoffnung. Wahrscheinlich hatte Jin Mau doch recht, und er würde sie zu seiner Nebenfrau machen. Selbst wenn er ihrer nach einigen Jahren dann doch überdrüssig würde, hätte das Kind ausgesorgt und sie selbst mit ihm, als Kätzchens Pflegemutter und somit einzige Verwandte.
Sie nahm sich vor, doch nicht so streng zu ihrer Kleinen zu sein. Im Lauf der Zeit würde sie ihr die notwendige Vernunft und Berechnung noch beibringen, dessen war sie sich sicher. Vielleicht kam Jin Mau sogar von selbst darauf, daß man als Frau und besonders als Blumenmädchen immer zuerst an sich selbst und an das Geld und dann erst an einen Mann denken durfte, denn von der Liebe allein wurde kein Reisnapf voll.
4.
Die Füchsin entdeckt ein unerwartetes Hindernis.

Die Sonne stand schon tief im Westen, die Stunde des Hahns war schon beinahe vorüber, als Mochin Shao begann, die Geduld und den scheinbaren Gleichmut ihrer Pflegetochter zu bewundern. Haokan Hei saß unter dem Baldachin im Mittelteil der Barke, hörte den Musikern zu und spielte mit ihren Zofen Domino und Stäbchenspiele, ganz wie es sich für eine brave Haustochter gehörte.
Mit anmutiger Gelassenheit verstand sie es, über die übermütigen jungen Adeligen hinwegzusehen, die mit allen Booten, die ihren Weg kreuzten, ihre wilden Scherze trieben und mit jeder hübschen Frau anzubandeln versuchten. Haokan Hei blickte nur dann auf, wenn der Bootsführer ihrer Barke langsam an den Flößen entlangsteuerte, auf denen die von bunten Lampions eingerahmten Bilder der Wassergötter standen. Den meisten anderen Sehenswürdigkeiten, den wundersamen Menschen und Tieren aus fremden Ländern und den buntgekleideten und fratzenhaft geschminkten Künstlern, schenkte sie kaum einen Blick.
Sie kümmerte sich auch nicht um die beinahe unglaublichen Verrenkungen der Gaukler und Akrobaten. Nur einmal ließ sie kurz bei einem Floß anhalten, auf dem ein bekanntes Theaterstück gegeben wurde. Es handelte sich um ein Drama, das sich um eine verliebte Geisterfüchsin und einen armen Studenten drehte. Mochin Shao stockte der Atem, denn sie hatte in Haokan Heis Gegenwart doch ständig Angst vor Entdeckung. Aber das Stück ging gerade zu Ende, und Haokan Hei ließ die Barke weiterfahren, ohne den Schauspielern eine Schnur mit Kupfermünzen zugeworfen zu haben, wie es eigentlich Sitte war.
Das verriet Mochin Shao, daß es unter dem glatten Gesicht der schwarzen Füchsin brodelte. Drei Stunden hatten sie schon auf dem See verbracht, ohne eine Spur des Fürsten Zhong zu entdecken. Wenn dieses Fest zu Ende war, würde es wesentlich schwerer werden, eine unauffällige Begegnung mit ihm herbeizuführen. Bei den wenigen Anlässen bei Hofe, bei denen Männer und Frauen zusammentrafen oder nur durch dünne Perlen- oder Bambusvorhänge voneinander getrennt an den Tafeln saßen, wurden die unverheirateten jungen Herren immer ganz an das andere Ende der Halle verbannt.
Haokan Hei behauptete zwar, Zeit genug für ihre Pläne zu haben, doch das war nur zum Teil richtig. Sie mußte dem Fürsten Auge in Auge gegenübertreten, um ihn in ihre Netze ziehen zu können, und das schon recht bald.
Das geeignetste Opfer für eine Geisterfüchsin war ein junger Mann zwischen siebzehn und fünfundzwanzig Jahren, der sich mit dem Feuer der Jugend in die Beziehung mit einer schönen Frau stürzte und sich dabei selbst verlor. Ältere Männer pflegten viel von ihren Frauen zu verlangen, aber selbst nur noch wenig zu geben. Sie hielten ihren Verstand und ihre Seele fest, und eine Füchsin hatte dabei das Nachsehen.
Ein scharfer Ausruf unterbrach Mochin Shaos Grübeln, und spitze Fingernägel gruben sich in ihren Arm.
"Tante Shao, da kommt er! Aber wer ist diese Dirne an seiner Seite? Das ist doch ein Blumenmädchen, oder?"
Mochin Shao reckte sich, um das Paar zwischen den vielen Blumen überhaupt erkennen zu können. Dann zuckte sie mit den Schultern. "Natürlich ist das ein Blumenmädchen. Ja, und? Das ist sogar eine der teuersten Kurtisanen der Stadt, soviel ich weiß. Es ist die Goldene Katze, die diesjährige Blumenkönigin. Dieser Zhong Tie Hu hat einen sehr teuren Geschmack. Nur das Beste scheint ihm gut genug zu sein. Ich glaube, du wirst bei ihm Erfolg haben. Er ist doch nicht anders als andere Männer."
"Ja, das ist schon möglich ... Aber schau doch nur, wie selbstvergessen er diese kleine Hündin ansieht! Das fehlt mir gerade noch, daß er sich Hals über Kopf in eine Kurtisane verliebt hat!"
Mochin Shao lachte spöttisch. "Alle gesunden, jungen Männer verlieben sich irgendwann einmal in ein Blumenmädchen. Das ist doch so Sitte bei den Menschen. Beim nächsten schönen Gesicht, das ihn anlacht, hat er sie sofort wieder vergessen! Schau, daß wir seinen Weg ein paar mal kreuzen, wie du es geplant hast. Dann kannst feststellen, ob dein Liebeszauber stärker ist als ein angemaltes Kurtisanen-Gesicht!"
"Tantchen, du weißt nicht, wovon du sprichst! Du mußt wirklich zum Berg der sanften Stille, um zu lernen. So wird nie eine Füchsin mit neun Schwänzen aus dir! Die Liebe, selbst die Liebe zu einer käuflichen Frau, ist der beste Schutz gegen den Zauber einer Geisterfüchsin. Das weiß doch schon jedes Menschenkind!
Natürlich dürfte es von seiner Seite ein Strohfeuer sein. Aber es ist sicher eines, das jetzt lichterloh brennt und noch ein paar Jahre brennen kann. Schau doch, wie dieses Biest ihn anhimmelt! Sie spielt ihm die übergroße Liebe vor, und er glaubt es. Ich muß zuerst etwas gegen die kleine Hure dort unternehmen, bevor ich mich ihm widme. Er muß sich restlos von ihr abwenden und sie vergessen, sonst wird er mir nie mit Haut und Haaren verfallen! Vergiß nicht, ich will ihn nicht einfach nur als Liebhaber in meinem Bett haben, sondern mir seine Seele und seine Lebensessenz einverleiben. Daran komme ich aber nur, wenn er sich vor Sehnsucht nach mir verzehrt und keine andere Frau mehr ansieht!"
"Oh, du willst ihn wirklich aussaugen? Heute morgen hatte ich den trotz deiner Worte den Eindruck, du hättest dich in sein schönes Gesicht verliebt und es dir anders überlegt!"
"Unsinn! Vom Verlieben in ein hübsches Gesicht bekomme ich keine göttliche Kraft. Natürlich muß ich ihn im Lauf der Zeit vernichten. Aber bis dahin will ich ihn genießen. Er gefällt mir ausnehmend gut, das muß ich zugeben, und er ist das richtige Spielzeug für mich, so auf ein paar kurze Jahre. Ich kann mir vorstellen, eine Weile an seiner Seite bei Hofe zu leben und weiterhin die brave Hofdame zu spielen. Du weißt, ich kann mir Zeit nehmen. Warum soll ich dann nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden?"
Mochin Shao klatschte vor Vergnügen in die Hände. "Ja, das ist ein Wort! So gefällst du mir schon wieder besser, Hei-Hei!" rief sie. "Ich befürchtete schon, du würdest den Kopf verlieren und ..."
"Still, Tantchen! Ich ... Sag dem Bootssteuerer, er soll der Barke des Fürsten folgen, aber unauffällig."
Mochin Shao wollte widersprechen, aber Haokan Hei hob abwehrend die Hand und neigte lauschend den Kopf. Für den Hauch eines Augenblicks richtete sich unter ihrer menschlichen Maske ein Fuchsohr steil auf, und ihr Gesicht zeigte den Ausdruck unverhüllten Hasses.
Mochin Shao winkte dem Bootssteuerer, der Barke zu folgen, die jetzt langsam in dunklere, stillere Teile des Sees abdriftete. Es gab genug Boote, die mit Liebespaaren an Bord den großen Lichterkreis verließen, daher fielen sie nicht auf. Aber es machte sie rasend, daß sie nicht verstand, was sich dieses Pärchen dort drüben so eifrig zuflüsterte. Haokan Hei hatte durch ihre magischen Studien auch ein zauberhaft scharfes Gehör erworben und schien jedes Wort zu verstehen.
Um sich abzulenken scheuchte Mochin Shao die schon neugierig gewordenen Zofen umher und ließ sie das Abendessen vorbereiten. Dabei fing sie manchen bösen Blick ihrer immer noch schier zu Stein erstarrten Pflegetochter auf, die sich offensichtlich von der Unruhe gestört fühlte. Aber Mochin Shao wußte, daß eine Barke, die lautlos dahintrieb, sehr schnell die Aufmerksamkeit anderer auf sich zog. Sie hatte die Lehren aus ihrer Kindheit in Wald und Feld noch nicht vergessen und pflegte immer alles so unauffällig wie möglich zu tun.
Doch die Mühe Mochin Shaos und der Zofen war vergebens. Nach einer Weile völliger Regungslosigkeit sprang Haokan Hei mit einem Satz auf, ballte die Fäuste und sah sich wild um. Dann packte sie den reich gedeckten Tisch und schleuderte ihn über Bord.
"Zum Anlegesteg - sofort!" befahl sie dem Bootsteuerer. "Ich will auf dem schnellsten Weg nach Hause! Und ihr", wandte sie sich den Zofen zu, "haltet den Mund. Wenn ich ein Wort von euch höre, fliegt ihr auch ins Wasser!"
Die Zofen duckten sich und hielten zitternd die Ärmel vor die Gesichter. Mochin Shao schüttelte den Kopf, blieb aber auch still, denn sie hatte auch keine Lust, das nächste Opfer des Wutausbruches ihrer Pflegetochter zu sein. Sie konnte warten.

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