Die beiden Frauen saßen auf der Veranda, trotzdem dem kalten Herbstwind, der die Wolken nach Westen schob und tranken Tee. Die Ältere strickte an einem Schal. Nicht, weil sie Lust dazu hatte oder weil irgendwer einen Schal brauchte, sondern aus dem gleichen Grund, warum manche Männer bei jeder Gelegenheit mit ihrem Schlüsselbund spielten. Die jüngere Frau wärmte ihre Hände an der dampfenden Teetasse und schaute traurig über die abgeernteten Felder hinüber zu dem kleinen, gelben Licht ihres Küchenfensters, knapp einen Kilometer von hier. Sie saßen auf weißgestrichenen Korbstühlen, die inzwischen die Farbe von altem Staub angenommen hatten. Über ihren Köpfen hingen aus Korb geflochtene Blumenampeln mit Herbstgestecken. Der Wind rührte an ihnen und an den beiden hölzernen Windspielen, die melodiös klapperten. „Wie geht es Gus?“ fragte die ältere Frau. Sie sah kurz zu ihrer jüngeren Freundin. Beide hatten die Gesichter von Frauen, die auf Farmen groß geworden waren. Sie hatten die Art zu schauen, die Farmersfrauen zueigen ist: Ein Blick, der in der Ferne das Wetter deuten kann, im Zug der Vögel den Wechsel der Jahreszeiten erkennt. Blicke, die frische Luft gewohnt sind. „Gus geht es soweit wieder ganz gut. Seine Wade war brandig. Wird aber wieder.“ „Wird er das Pferd erschießen? Lelant ist doch ein guter Gaul und…“ „Hat wohl kaum einen Sinn mehr, ihn zu erschießen, was?“ Die ältere Frau nickte bedächtig, legte ihr Strickzeug auf den Schoß und nippte an ihrem Tee. „Rachel?“ Die jüngere Frau sah die stämmige Farmerin an und zuckte mit den Schultern. „Wann sagten sie, kommt er?“ Rachel schwieg eine Weile, nippte an ihrem Tee und schaute dann auf ihre Armbanduhr: „In zehn Minuten kommt er hier vorbei, Eve.“ Sie deutete in den Himmel. Sie lehnten sich zurück, schwiegen und tranken Tee. Nach einer Weile holte Rachel eine zerdrückte Schachtel Zigaretten aus der Tasche ihrer Strickweste und schüttelte sich eine Zigarette heraus. Sie klemmte sie zwischen die Lippen, zündete sie an und inhalierte gierig; unterdrückte ein Husten. Eve grinste, griff über den Tisch und legte ihre Hand auf Rachels Unterarm. „Ein bißchen spät, um sich Lungenkrebs einzufangen, was?“ Rachel lachte schrill auf und äscherte auf den Verandaboden. Sie stand auf und ging zu der Treppe. Eine einfach gekleidete Frau, um die Vierzig, mit grauen Strähnen im rotblonden Haar. Sie sah nach Osten, wo der Himmel klar war und so dunkel, daß man ihn sehen konnte: Ein rötliches Flackern am Sternenhimmel; eine Illusion von Wärme und Geborgenheit. „Ich wollte dich das nicht fragen, aber egal. Solltest du nicht bei Gus und deinem Sohn drüben sein? Phil ist erst vierzehn und er wird sich fürchten, wenn er kommt…“ „Wir alle fürchten uns. Ja, das tun wir. Ich fürchte mich jedenfalls. Nein, ich sollte nicht da drüben sein. Sie kommen ohne mich bestens zurecht. Sie sind Männer und sie werden dem allem, was da kommt, wie Männer begegnen müssen. Was auch immer sie glauben.“ Das Flackern wurde größer und heller. Und nun schien ihn ein Klang zu begleiten, den nur die Erde hören konnte und den sie als niederfrequentes Brummen wiedergab. Drei Militärjets bissen sich von Norden her in den Himmel – eine sinnlose Geste der staatlichen Funktionalität. Der Wind griff ihnen böig und kalt ins Haar. Von drinnen hörten sie eine alte und gebrechliche Stimme: „Eve! Komm rein und mach die Tür zu. Sonst geht noch was kaputt hier, wenn er kommt. Eve, hörst du mich? Mach Bretter vor die Fenster und schließ die Tür ab.“ Eve lächelte Rachel liebevoll an. Rachel sagte: „Ich bin hier, weil ich hier am glücklichsten war. Hier hatte ich alles, was ich brauchte, um zu wissen, warum ich lebe. Und das ist alles, was ich mitnehmen will. Meine glücklichen Erinnerungen.“ „Wie Peter Pan ins Nimmerland? Um zu fliegen?“ Rachel nickte. Dann verzog sich ihr Gesicht vor Gram, als das Fauchen der am Horizont verschwindenden Jets von einem unangenehmen, feurigen Röhren übertönt wurde. „Da ist er. Wolf Biederman.“ Eve nickte, wickelte sich in ihren Anorak und stand auf. Das Strickzeug fiel mit einem leisen Klappern zu Boden. „Armer Wolf Biederman. Wenn alle Welt seinen Namen nur wegen seiner Entdeckung kennt. Und diese Entdeckung kommt um alles zu…“ „Ja. Wir hatten es gut hier. Wir hatten unsere Momente… „Unsere Stunden und Tage…“ „Als wir grillten und die Männer einfach Väter und die Kinder einfach Söhne waren…“ „Die Kinder da am Hof, Phil und Cynthia und David…“ „Achja, der kleine David, schade um ihn… er war ein so ein netter Junge. Scheiß Irakkrieg. Scheiß Minen.“ „Ja. Und jetzt ist er ein Krüppel…“ Das Röhren zerbiß die Dunkelheit und verdrängte die Stille an den Rand der Welt. Wolf Biederman knatterte und röhrte und donnerte über den Nachthimmel, Staubteufel stiegen auf und spiralten trunken in den Himmel; er fraß sich in die westlich gestauten Wolken. Das Wolkennest schien aufzuatmen, als seine Glut sich an den Wolkenbergen mästete – wie ein rötliches Herz, das langsam schlägt. Das Donnern verlor sich im Westen und am Himmel drehte sich eine gedrillte Rauchspur. „Wann?“ Eve kam zu Rachel und umarmte sie. Sie küßten sich auf die Wangen und rochen die Frische allen Lebens. „Wir hatten gute Tage.“ „Ich weiß." Ihr Gesicht drückte reine Bitternis aus: "Und alles wird gut.“