Die Tür fiel hinter mir ins Schloss. Es hatte etwas endgültiges. Einen Moment noch blieb ich stehen. Zitternd und bebend vor Wut. Meine Hand klammerte sich um den Träger meiner Tasche und ich wusste, dass da noch etwas war, das ich tun musste. Verschwinde! Verschwinde und lass dich hier nie wieder blicken! Das hatte sie gesagt. Nun gut. Wenn ich mich hier nie wieder blicken lassen soll, dann werde ihn auch nicht mehr brauchen…, dachte ich. Einen Augenblick noch überlegte ich, ob ich nicht doch wieder hinein gehen und versuchen sollte meiner Mutter zu beruhigen. Schließlich war das nicht das erste Mal, dass sie mich während einer ihrer Wutausbrüche grundlos rausschmiss. Nein! Es war genug! 17 Jahre lang hatte ich versucht ihr immer alles recht zu machen, nur um dann doch angeschrieen oder sogar geschlagen zu werden. Nachdenklich strich ich mir über die immer noch brennende Wange. Und das alles nur, weil sie nicht mit sich selbst fertig wurde und mir die Schuld daran gab, dass mein Vater sie verlassen hatte. Wenn sie dann auch noch – wie heute – begann sich zu betrinken, verschwand auch noch der letzte Rest Beherrschung, der ihr geblieben war. Also… was hielt mich noch? Mit seltsam steifen Fingern öffnete ich den Reißverschluss meines Rucksacks, nahm den Schlüssel heraus und warf ihn ohne einen weiteren Blick darauf zu werfen in den Briefkasten. Dann ging ich. Ich lief einfach drauf los. Ohne mich noch einmal umzusehen. Ohne zu wissen, wohin ich denn gehen sollte. Die Zeit verging merkwürdig langsam. Ich schien die Welt auf einmal auf eine völlig andere Weise wahrzunehmen und ich fühlte mich – frei. Obwohl ich wusste, dass ich nicht mehr als 5 Euro in der Tasche hatte und dass dies nicht einmal eine Woche reichen würde. Es war mir egal. Ich war frei. Den ganzen Tag lief ich ziellos durch die Stadt. Gelangweilt die Schaufenster betrachtend ohne auch nur das geringste Bedauern zu spüren, dass ich mir so etwas nun nicht mehr leisten konnte. Meine Füße trugen mich immer weiter. Fort aus meinem alten Leben. Fort aus der Hölle, in der ich jahrelang gelebt hatte. Die Hände in den Hosentaschen meiner Jeans vergraben, schlenderte ich über die Brücke. Als ich in der Mitte war, erinnerte ich mich an eine Szene aus meiner Kindheit. Ich hatte mich über das Geländer bebeugt, um den Fluss sehen zu können. Prompt hatte ich dafür eine saftige Ohrfeige von meiner Mutter bekommen. Ein Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus, als ich mich über das Geländer lehnte und in den Fluss spuckte. Drei Mal. Einmal für meine Mutter, die mich nie geliebt hatte. Einmal für meinen Vater, der mich und sie im Stich gelassen hatte. Und einmal für mich. Dafür, dass ich mir das alles hatte jahrelang gefallen lassen. Mit zusammengekniffenen Lippen starrte ich auf den Fluss unter mir. Trotz der Entfernung konnte ich mein verzerrtes Spiegelbild auf seiner Oberfläche erkennen. Da ich sowieso kein bestimmtes Ziel hatte, beschloss ich am Fluss entlang weiterzulaufen. Ich genoss die frische Luft und freute mich an der Stille, die nun herrschte. Ab und zu kam mir jemand entgegen, der einen Hund an der Leine führte oder wie ich einfach nur spazieren ging. Nur sie würden wieder nach Hause zurückkehren. Ich nicht. Ein Gefühl tiefster Verzweiflung suchte mich heim. Die Sonne begann bereits unterzugehen und ich hatte noch immer keine Ahnung wo ich diese Nacht verbringen sollte. Meine Hände zitterten, als ich mein Zigarettenpäckchen aus dem Rucksack kramte und mir eine in den Mund steckte. Ich wühlte weiter nach einem Feuerzeug, doch ich konnte keins finden. Ein unanständiger Fluch kam über meine Lippen und ich stopfte die Zigarette wieder in das Päckchen zurück. Ja, mein Leben als Heimatlose begann wirklich toll. Ich besaß noch nicht einmal ein Feuerzeug. Obwohl es erst August war, strich ein kalter Wind über meine nackten Arme. Ich hatte noch nicht einmal eine Jacke mitgenommen. Was würde ich denn erst im Winter machen? Die Tränen kamen. Sie liefen mir einfach über das Gesicht. Und ich versuchte nicht einmal sie zu verstecken. Aber vor wem denn auch? Ich war allein. Ganz allein. Meine Sicht verschwamm und ich ließ mich einfach auf die Bank fallen, die da stand. All diese Worte, die heute zu mir gesagt worden waren… sie umschwirrten meine Gedanken wie lästige Insekten und stachen ab und zu heftig in mein Herz. Obwohl ich mir eingeredet hatte, dass mir alles egal sei, wurde mir bewusst, dass es eben nicht so war. Ich öffnete erneut die Tasche meines Rucksacks und suchte nach Taschentüchern. Doch wieder ohne Erfolg. Gerade wollte ich die Tasche vor Wut ins Gebüsch schleudern, als mir jemand ein blau kariertes Taschentuch unter die Nase hielt. Ich wusste nicht, wann er gekommen war. Und auch nicht, wie er es geschafft hatte, sich unbemerkt neben mich zu setzen. Doch ohne Zweifel saß da jemand. Erschrocken blickte ich in ein paar hellblauer Augen. „Nimm es ruhig.“ Mit einem Lächeln und einem aufmunternden Nicken wedelte der junge Mann mit dem Taschentuch vor meiner Nase herum. Schüchtern ergriff ich es, trocknete mir die Tränen und schnäuzte kräftig in es hinein. Aus den Augenwinkeln betrachtete ich ihn: Er war ziemlich groß, hatte etwa schulterlanges dunkles Haar, Jeans und einen weiten Sweatpulli. Niemand, der einem in der Menge besonders auffällt. Nur diese Augen… diese blauen Augen. Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Wie konnte ich in meiner jetzigen Situation nur anfangen für einen Kerl zu schwärmen? Ohne auch nur ein Wort zu sagen zerknüllte ich das Taschentuch zwischen meinen Fingern und starrte auf den Fluss, der sich träge dahinbewegte. Immer in die gleiche Richtung. Schon seit Jahrhunderten. Ein paar Enten dümpelten vor sich hin und versuchten die letzen Sonnenstrahlen einzufangen, die sich auf dem Wasser silbern spiegelten. Der Kerl neben mir kramte aus seiner Tasche etwas hervor: Der unbeschreiblich leckere Geruch eines Cheeseburgers stieg mir in die Nase. Mein Magen rumorte und der braunhaarige blickte mit einem Lächeln auf mich herab: „Hast du Hunger?“ Ich errötete und schüttelte den Kopf. Einen Moment lang betrachtete er mich verunsichert, packte den Burger dann aus und biss herzhaft hinein. Ich betrachtete ihn dabei. Nicht minder verunsichert. Mir gefiel, wie die Sonne auf seine Haare schien und ihnen einen rötlichen Schimmer verlieh. Nun verzog er das Gesicht und betrachte den Burger in seinen Händen: „Schon kalt“, murmelte er enttäuscht. Ich konnte mir ein Lächeln nicht mehr verkneifen. Aus eigener Erfahrung wusste ich, wie ekelhaft das Essen von McDonalds’ schmeckte, wenn es erst einmal kalt war. „Und du magst wirklich nichts?“ Erneut hielt er mir den Cheeseburger unter die Nase. Ich konnte plötzlich nur noch daran denken, dass noch eben seine Lippen den Burger berührt hatten und biss hinein. Auch ich verzog das Gesicht. Die blauen Augen funkelten belustigt und er nahm mir den Burger wieder ab. „Vielleicht freuen die sich ja mehr darüber!“ Mit diesen Worten zerbröckelte er ihn und warf ihn in den Fluss. Sofort kam ein ganzer Haufen schnatternder Enten heran und stürzte sich gierig darauf. Ich weiß nicht wie es dazu gekommen ist, doch plötzlich stand ich neben ihm. Und meine Hand befand sich in seiner. Zusammen beobachteten wir, wie die Sonne unterging. Und als sie vollends verschwunden war, setzen wir uns zurück auf die Bank und lauschten dem leisen plätschern der Wellen, die sanft an die Böschung schlugen. Erneut liefen mir die Tränen über das Gesicht und dieses Mal nicht aus Verzweiflung, sondern aus tiefster Glückseligkeit. Sein Arm legte sich um meine Schulter: „Du zitterst ja.“ Ich lächelte: „Mir ist nicht kalt.“ Auch er lächelte und zog dann entschlossen den Pulli aus: „Aber warm ist dir auch nicht.“ Herausfordernd blickten diese blauen Augen mich an. Diese Augen… klar und doch zugleich unergründlich. Wie der Fluss. Geschlagen streifte ich mir den Pulli über und kuschelte mich an seine Schulter. „Danke“, sagte ich. Dann schlief ich ein. Das laute Schnattern einer Ente weckte mich. Erschrocken fuhr ich hoch. Ich fühlte mich steif und mir war kalt. Verwirrt blickte ich mich um. Dann fiel mir wieder alles ein. Von dem Kerl von gestern war nirgendwo eine Spur zu sehen. Niedergeschlagen stütze ich den Kopf in die Hände und starrte auf den Fluss. Doch das erinnerte mich nur noch mehr an ihn. Er war also fort. Und er hatte mir noch nicht einmal seinen Namen gesagt. Ich war wieder allein. Aber was hatte ich denn erwartet? Dass er für immer bei mir bleibt und mir ein Taschentuch gibt, wenn ich heulen muss? Ich spürte, dass ich erneut den Tränen sehr nahe war. Wie gestern begann ich in meinem Rucksack nach Zigaretten und Feuerzeug zu kramen, als mir ein Zettel in die Hände fiel. Mit kribbelnden Fingern faltete ich ihn auseinander. Eine kurze Notiz. Aber in diesem Moment war es für mich das schönste, das ich je gelesen hatte: „Guten Morgen! Ich musste um 7 Uhr leider zur Arbeit. Ich wollte dich nicht wecken. Wenn du mich wieder sehen willst… Hier ist meine Nummer… PS: ich weiß nicht, wie ich es sagen soll… ich habe mich in dich verliebt….“ Mit Tränen in den Augen und geröteten Wangen steckte ich den Zettel in die Taschen des Sweatpullis, den ich immer noch trug. Der Arme hatte die ganze Nacht neben mir im T-shirt gesessen… Ich betrachtete das Zigarettenpäckchen , das ich immer noch in der Hand hielt …dann warf ich es in den Fluss. Eine Weile lang trieb es noch auf dem Wasser, dann versank es. Jetzt war ich frei.
Hallo Katrin, eine schöne Geschichte, mir gefällt sie. Nur die Formatierung macht das Lesen schwer. Versuche den Text in Absätze zu gliedern. Viele Grüße vom Schreiberling
Schöne Geschichte, sehr schön geschrieben und unglaublich atmosphärisch...
Ich komm im Moment überhaupt nicht zum schreiben, irgendwie raubt der relative Stress im Studium die Kreativität... Bist du eigentlich noch abundzu am WE in ICQ? Vielleicht "sieht" man sich ja demnächst mal wieder.
vielen dank für die nette kritik.. ich habe diese geschichte wieder für den fabulierwettbewerb in hanau geschrieben. das thema ist hanau - die stadt am fluss... ich weiß nicht ob ich die stadt vll hätte erwähnen sollen ... aber ich versuche das jetzt wenigstens für den wettbewerb noch irgendwie zu machen... naja wünscht mir glück, ja? zum schreiben komme ich im mom auch nicht sehr oft. ich habe dieses jahr prüfungen und es entscheidet sich nun ob ich nächstes jahr in die oberstufe darf oder nicht... @patrick: ich versuch mich mal wieder im chat blicken zu lassen... bin nur nicht mehr so oft da weil ich da dauernd von gewissen nervigen idioten zugelabert werde.. @schreiberling: das mit den absätzen ist wirklich nervig. Kannst du da als Admin vll was machen?
achja .. ich habe an meiner homepage einiges geändert... habe jetzt auch endlich ein forum... der rest ist noch in der bearbeitung... schaut doch mal vorbei: www.gollumanta.de
ich finde die Geschichte auch sehr gelungen. Ist der Wettbewerb schon vorbei? Und wenn ja: Hast du etwas gewonnen? Würde mich nicht wundern, denn ich denke, die Geschichte hat gut Chancen anzukommen.
Hallo Etty, nein, der wettbewerb ist noch nicht vorbei. meine geschichte wurde mit zwei anderen jetzt erst einmal abgeschickt.. also habe ich die erste runde schon mal bestanden *froi* naja ich bin mal gespannt, ob ich was gewinne... letztes Jahr hab ich den 2.Platz gemacht.. Diese steht auch in meinem Profil (Katrin - Isabell Schmidt)