Ihr Blick ist nach unten gerichtet. Bewegungslos. Keine Regung geht durch ihren Körper. Nur die Tränen rollen an ihren Wangen hinab. Jetzt kann sie weinen. Die Tränen der Trauer und Verzweiflung, der Wut und Enttäuschung, der Hilflosigkeit und der Endgültigkeit. Der Grabstein wird unter ihren Blicken noch kleiner und noch lebloser. Die goldenen Buchstaben auf dem schwarzen Untergrund strahlen von den Sonnenstrahlen die den Stein liebevoll streichelten. Dieser Moment verdeutlicht Maria nur noch mehr, wie groß ihre Schmerzen sind. Ihr Leid, dass Tanja ihre Entscheidung getroffen hat, unabhängig von ihr. Ihr Gesicht glitzert von den Tränen die sich ihren Weg gesucht haben. Sie war nicht mehr wütend, nur noch resigniert. Langsam faltet sie den Brief auseinander. Er war immer noch in dem roten Umschlag gewickelt. Nur das er heute schon etwas abgenutzt war. Unzählige Male hatte Maria in sich durchgelesen und nach versteckten Zeichen, die für sie bestimmt waren, gesucht. Sie ließ sich auf den Grabstein nieder, streicht über die Buchstaben und beginnt ein weiteres Mal den Abschiedsbrief zu lesen. Meine liebe Maria, in dem Moment, wo du diesen Brief lesen wirst, werde ich nicht mehr bei dir sein. Ich flehe dich an, mir zu verzeihen, denn ich weiß, verstehen kannst auch du mich nicht - niemand kann das, denn meine Lösung ist zu abnorm von den Regeln und Gesetzen. Bitte, zeige diesen Brief niemand anderen, den er ist einzig allein für dich bestimmt. Ich habe bewusst mich nur in schriftlicher Form von dir verabschiedet, denn alles andere hätte mein Vorhaben in Gefahr gebracht. Du denkst mit Sicherheit ich bin egoistisch und ich gebe dir Recht. Ja, das bin ich, doch ich wusste keine andere Lösung. Vielleicht denkst du, dass ich mich für die leichte Lösung entschieden habe, doch sich für die Endgültigkeit zu entscheiden, ist nie leicht. Ich vertraue auf dein Herz, dass du diese Einsicht bekommst, aber ich weiß, dass deine Wahrnehmungen von dem Schmerz der dir bleibt gehemmt wird. Doch, ich flehe dich an, verzeihe mir. Du warst mir immer eine sehr gute Freundin, die beste die ich je hatte und du musst jetzt stark sein. Ich werde immer bei dir sein, so lange du an dein Herz glaubst. Wenn du in den Himmel abends schaust, wirst du den neuen Stern erkennen, der dazu gekommen ist. Wenn du die Luft einatmest, wirst du meinen Atemzug fühlen. Wenn du die Augen schließt und mit dem Herzen siehst, wirst du meine Stimme hören. Vertraue mir, bitte. Vertraue in dich. Du kannst es schaffen. Doch ich bin dir auch nicht böse, wenn du sagst, dass du ein bisschen Zeit für dich brauchst. Ich habe jetzt ewig Zeit, dir diese zu gewähren. Nehm dir die Zeit zu trauern oder dich zu verabschieden. Wenn du meinst du brauchst Zeit nur für dich, dann werde ich warten bis du mir verziehen hast. Ich könnte noch viele lange Worte so schreiben, doch ich wollte dir nur zeigen, dass du es schaffst und dass ich, wenn du möchtest, immer bei dir sein kann. Dich umarmen, mit dir weinen, dich trösten und mit dir lachen kann, wenn auch auf einer anderen Ebene.
Alles liebe, deine dich umarmende beste Freundin Tanja
Tränen tropfen ihr vom Gesicht. Sie weinte lautlos und doch hemmungslos. Sie will schreien, doch der Schmerz schnürt ihr die Kehle zu. Kein Laut verlässt ihre Lippen, nur die Augen zeigen den Schmerz. Azurblaue Augen in denen ein stummes warum zu lesen ist. Stunden später steht sie auf und geht. Morgen würde sie wieder kommen und erneut nach dem warum fragen.
ist ja schon etwas länger her, dass du dies hier geschrieben hast... muss sagen mich hat das doch sehr ergriffen, mir ist nur nicht recht was eingefallen dazu zu schreiben.
Nun... der Tod ist immer endgültig und gerade desshalb ist es einfach nie eine legitime Lösung sich zu verabschieden - weil man keine Antwort mehr zulässt, weil das "warum" viel mehr Menschen als man sich dachte ewig Schmerzen bereiten wird...
Wirklich treffend in eine Geschichte verpackt und sehr ergreifend.
Tod ist in dieser Gesellschaft immer noch ein Tabuthema, über das niemand gerne spricht - verständlich, aber selbst wenn man nicht darüber redet, passiert es.
Du sprichst mir aus dem Herzen, Coline! Der Tod ist tatsächlich ein Tabuthema - leider! Wenn sich die Gesellschaft stärker mit diesem Thema auseinandersetzen würde, dann wären wir eher vorbereitet auf das Unvermeidliche. Unsere Gesellschaft schmückt sich immer so mit Offenheit, dabei hat sie es nicht einmal begriffen, dass der Tod mit dem Leben eine Einheit zu bilden scheint. Irgendwann trifft es halt jeden. Und wie soll man denn richtig trauern, wenn man sich noch nie zuvor darüber Gedanken gemacht hat?
Auf jeden Fall spricht Dein Text dieses Tabuthema an und das finde ich gut und auch nötig!