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Dieses Thema hat 0 Antworten
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Finn mit dem Hut Offline



Beiträge: 1

11.04.2006 10:15
RE: Nein Antworten

Ich sollte singen und ich sang. Vorsichtig stimmte ich mein Lied an. Ich hatte mir ‚Junimond‘ ausgesucht, obwohl sich die Jury eher einen amerikanischen Titel statt einen Rio-Reiser-Hit gewünscht hätte. Es war mir egal, ich liebte dieses Lied und so kamen die ersten Zeilen von meinen Lippen.
Schon nach dem ersten "Bye, Bye" unterbrach mich jemand aus der Jury und ich erwartete eine Wiederholung der zwei Wörter.
Mit einem monarchischem Lächeln sagte einer der Plattenproduzenten: "Mensch du siehst gut aus, hast eine gute Stimme. Es wäre ein Fehler dich einfach so laufen zu lassen. Du bist in unserer Boygroup!" Es war ein Schock.
Warum? Warum sagte er das?
Konnte er nicht einfach sagen wie scheußlich ich sang und, dass ich nicht für einen Popstar geschaffen war?
Stattdessen sagte er so etwas. Aber ich wollte keine Veränderung. Alle aus der Stadt gingen hier hin, viele hatten sehr hart dafür gearbeitet um dann hier enttäuscht zu werden. Ich war nur so mitgekommen. Nur um später erzählen zu können, dass ich einmal vor Ludwig Perlmann, DEM Plattenboss weit und breit, gestanden war.
Ich passte einfach nicht in ihre Boygroup.
"Du passt einfach gut in die Rolle des Schüchternen. Das ist perfekt. Nach so etwas haben wir lange gesucht", meinte Herr Perlmann, ich konnte schon die Dollarzeichen in seinen Augen sehen.
"Nein. Ich möchte nicht in die Band."
Anstatt zu meinen Freunden zu rennen und mit ihnen zu feiern kam so etwas aus mir heraus.
"Bist du dir da sicher? Diese Chance ist einmalig. Schließe dich unserer Boygroup und wir machen dich reich und glücklich."
Ich wusste nicht genau was es war, aber irgendetwas hinderte mich daran auf diesen Vertrag einzugehen.
Auf den Schock folgte Herzrasen, ich war verzweifelt.
Ich flüchtete aus dem Castingraum, es war einfach zu viel für mich. Ich hatte eben einen Sechser im Lotto und hatte dann den Glücksboten nicht die Tür aufgemacht. Ich wusste nicht was mit mir los war.
"Hey Paul. Alles okay?" - Plötzlich bemerkte ich, dass ich mit meinen Gedanken und Gefühlen nicht komplett in meine Welt verschwunden war. Die Anderen konnten erkennen, was ich fühlte.
"Das ist doch nicht der Weltuntergang. Viele von uns wurden nicht genommen."
Jetzt begriff ich noch mehr. Sie sahen meine Gefühle, aber interpretierten sie so wie es am wahrscheinlichsten war. Ich war durchgefallen. Niemand würde je davon erfahren, das war mir jetzt klar. Selbst wenn ich es erzählen würde, würden es alle für einen Witz halten. Verdammt!
"Und gleich gibt es einen Looser mehr", behauptete Edgar.
Er war ein guter Freund von mir und anscheinend als nächstes an der Reihe.
Edgar nahm das Casting genauso wenig Ernst wie ich am Anfang, allerdings ging er mit einer positiven Einstellung in den Castingraum, was man schon an seiner Körperhaltung erkennen konnte. Er glaube nicht irgendetwas verlieren zu können.
Während er nun der Jury ‚Feel‘ von Robbie Williams vorträllerte, setze ich mich auf die Bank zwischen die enttäuschten männlichen Gesichter. Sie schauten genauso wie ich herüber zu den erwartungsvollen, fröhlichen Mädchen schauten, die an der Tür zu dem Raum standen, wo ich kurz zuvor so eine Dummheit begangen hatte. Sie hofften es würde irgendwann heute ein Star aus der Tür kommen, den sie dann anhimmeln konnten. Die Verlierer, also bisher alle, wurden nur noch getröstet und dann nicht weiter beachtet.
Irgendwie war ich hier doch fehl am Platz. Warum war ich auf der Verliererbank? Ich hatte nichts verloren, ich hatte immer noch alles was ich wollte, alle Träume, einfach alles.
Nach wenigen Minuten stürmte Edgar in die Wartehalle. Allerdings nicht so wie ein flüchtender, enttäuschter Versager, nein, wie jemand, der gerade Mitglied einer Boygroup geworden war, die höchstwahrscheinlich demnächst die Charts erobern würde. Hatte er es etwa geschafft? Oder tat er nur so? Er konnte gut aus einer Niederlage den Hauptpreis machen.
"Ich komm' in die Band!" - Nein das war nicht gespielt, man konnte es an seiner Stimme erkennen. Außerdem schimmerten seine Augen vor Glück, jeden Moment würde eine kleine Träne sein Auge verlassen und über seinen linken Wangenknochen laufen.
Dann liefen noch mehr Tränen, allerdings nicht bei Edgar sondern bei den Mädchen. Ihre Gefühle spielten verrückt und sie wurden vollkommen hysterisch. Sie himmelten ihn nun an und waren wahrscheinlich für immer seine Fans und er hätte jede von ihnen haben könne. Auch Mira. Sie waren nun alle Kletten und hingen an ihm wie an einem wolligen Pullover. Aber warum sie? Es hatte sich doch nichts verändert, Edgar war immer noch derselbe. Ich hatte Mira sehr gemocht, aber sie hatte sich nie für mich interessiert und jetzt schwärmte sie dort für Edgar, der ihr vorher auch nicht genug war.
Ich verließ die Halle, ich hatte hier nichts mehr zu suchen. Langsam trottete ich nach Hause, ich war niedergeschlagen. All das hätte ich auch haben können und noch viel mehr. Ich kam an der ‚Feuerstein‘ vorbei, einer alten gemütlichen Kneipe, zuerst wollte ich hineingehen um mir das alles schön zu trinken, aber ich wollte jetzt lieber allein sein. Also schlenderte ich weiter und sah auch kurz darauf meine Haustür, wobei Haustür zuviel gesagt ist, es war eine Tür, die über ein Treppenhaus zu meiner Wohnung führte. Neben der Tür war ein kleiner Zeitungskiosk und ich schaute noch kurz auf die Titelseite der Bildzeitung, die dort auslag. Mein Herz begann wieder regelmäßig zu schlagen. Ausnahmsweise machte sie mich glücklich, denn ich sah dort einen Grund, der mir sagte, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Als ich oben in meiner Wohnung angekommen war, legte ich mich auf mein Bett. Es wurde mir nun klar, dass ich Edgar niemals wiedersehen würde.

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