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Dieses Thema hat 1 Antworten
und wurde 479 mal aufgerufen
 Texte aller Art, Gedichte, Lyrik, Kurzgeschichten, Altbeiträge
Mirko Stauch Offline



Beiträge: 3

26.04.2006 16:21
RE: Gewinner Antworten

Gewinner sein

von Mirko Stauch

Nenn mich einen Verlierer. Geht klar, Kumpel, kein Problem, geschenkt. Sieh dir mal die Gewinner an. Die einen Gewinner sind große Nummern. Volles Konto, totsicherer Job, großes Auto und all das übliche Zeug. Davon gibt es nur wenige.
Von diesen wenigen kenne ich tatsächlich drei oder vier und einer von denen ganz besonders.
Aber seit zwei Jahren ist er hinter der Frau her, mit der ich zusammen bin. er hat sie verlassen und als er merkte, daß alle anderen ihn nur verarschen, wollte er zurück. Zu spät, Bruder.
Um mir eins reinzuwürgen, nennt er mich jetzt, ganz cool: Looser. das
ist okay für mich, denn ich bin mit seiner Traumfrau zusammen.
Es gibt die smarten Gewinner, in ihren Anzügen, die sie sich im Supermarkt
gekauft haben, damit sie überhaupt einen Anzug haben, der wie ein teurer
aussieht, damit sie einfach was her machen. Ich kenne ihre billigen Anzüge,
die teuer aussehen. Ich habe selbst zwei davon. Wenn du schwitzt, dann geht der Geruch nicht mehr raus aus dem billigen Zeug. Meine Anzüge trage ich nicht mehr, manchmal die Jacken noch, aber die sind abgewetzt, ein bißchen dreckig und eine ist mir zu eng. Ich werde langsam fett, vielleicht weil ich ein Verlierer bin.
Die drahtigen Gewinner tragen ihre billigen Anzüge. Ich kann sie riechen, denn
sie schwitzen vor Angst. Ihre Anzüge stinken nach kaltem Schweiß. Sie haben Angst, daß der Chef oder ihre Freunde erkennen, wo sie ihre Anzüge her haben und daß sie billig sind. Die Gewinner, mit ihren Haarschnitten, die sie für teuer und modern halten, sind nur kleine Kreaturen in billigen Anzügen am Anfang der Nahrungskette. Sie kaufen sich Uhren, die aussehen, als wären sie teuer.
Benutzen Imitationen : Parfum, Shirts, Zeugs. Auf dem Trödelmarkt oder in der Türkei kannst du das alles kaufen. Sieht aus wie echt. Als so ein Linkmichel meinen Vater damit übers Ohr hauen wollte, brüllte ich ihn an, warf ihm eine Bierdose vor die Füße und drohte ihm eine Tracht Prügel an. Nicht mit uns, Kumpel.
Aber die Gewinner drohen nicht, sie prügeln sich nicht, sie atmen nur ganz
flach. Flacher als ich mit meinen 23 Zigaretten am Tag, die ich schon für heftig halte. Aber lachhaft, andere rauchen mehr. Die Gewinner, sie wissen alles, vor allem, wo man das billige Zeug kauft, das aussieht wie teuer. Ich muß mal einen von denen fragen.
Sie sind nicht smart genug, um in diesem Haifischbecken oben zu schwimmen. Sie wollen es sein, sehen sich Filme an, in denen es harte Typen gibt, die immer den richtigen Spruch parat haben, wenn ihnen einer krumm kommt. Sie wollen harte Typen sein. Aber die wirklich harten Typen, die mit den teueren Anzügen, werden sie übel zusammendrücken, wenn sie wieder schwitzend vor ihnen stehen und dann gefragt werden, warum stinkt es hier nach Schweiß?
Arme Kerle. Sie tun mir leid, obwohl sie mich immer von oben herab behandeln und mich scheel anschauen, weil ich meine Hemden über der Hose trage und immer etwas müde aussehe. Dann klimpern sie mit den Wagenschlüsseln in der einen Hand, halten ihr Handy in der anderen und hoffen, daß endlich jemand anruft, damit sie ihre Freisprechkabel zeigen dürfen. Als ich den ersten Krampfkopf mit so einem Ding durch die Straßen laufen sah, immer in dieses kleine Kabel reinredend, habe ich mich gewundert. Ich dachte wirklich, er rede mit sich selbst. Hat lange gedauert, bis ich’s endlich kapiert habe. Knopf im Ohr und dann warten sie auf einen Anruf.

Da gibt es noch die Gewinner, die dir eins erzählen wollen. Die kennst du auch. Die sind immer so strapazierend sozial und engagiert, daß es für drei oder mehr reicht. Verdammt politisch korrekt.
Sagen wir, du arbeitest in einem Laden, Papierwaren, Bücher oder sowas. Sie kommen rein und finden die verdammte Kasse nicht, weil sie einen Computerbildschirm nicht von einer Kasse unterscheiden können. Laß diese Typen einfach stehen, geh zur Kasse und sieh dir ihre dummen Gesichter an. Dann warte einfach und irgendwann kommt die Frage, ob das hier die Kasse sei. Und kurz darauf wirst du wieder gefragt, wie seit zehn Jahren zweimal die Woche, ob du der Sohn des Chefs bist. Ich jedenfalls sage mittlerweile nur noch, daß ich der Sohn bin, ohne näher zu sagen, wessen Sohn. Dann ist Ruhe.

Wie lange soll man das durchhalten. Denn zu den ganzen Gewinnern kommen noch mehr. Da gibt es auch die besonders Schlauen, die das Geräusch der Türglocke nachmachen, wenn sie in den Laden kommen. Jedesmal dröhnt einer von diesen Fischen: ding-dong. Das ist besonders geistreich, finden sie wahrscheinlich. Diese Hohlköpfe in ihren bunten Jacken und mit ihren
Altenpflegerkurzhaarfrisuren haben es drauf. Sie sind furchtbar engagiert und
helfen jedem über die Straße, ob derjenige das will oder nicht, notfalls mit
Gewalt. Das sind Gewinner. Ich habe diese Spinner schon auf dem Gymnasium nicht ausstehen können. Bei allen Diskussionen dabei. Einer von diesen Typen wurde schließlich Kabarettist. Es gibt sogar Leute, wie man mir
gesagt hat, die über ihn lachen sollen. Ich fand ihn nie lustig. Als ich einmal
betrunken war, habe ich mir sein Zeug im Fernsehen gesehen. Immer noch politisch korrekt und immer noch ökologisch abbaubar. Er schrieb auch damals nette Kurzgeschichten. An eine kann ich mich vage erinnern. Irgendwas mit Buchstaben, die in eine Kneipe gehen und alle irgendwie modisch und hip waren, bis Null reinkam und keiner wollte was mit Null zu tun haben, weil Null so anders war. Null waren Typen wie ich, die einfach durch das Gymnasiumsraster fielen. Mir war es damals schon egal. Der einzige, der beim Abschlußball fehlte, war ich. Ich lag betrunken im Bett und hörte Jazz.
Aber der Kerl war ein Gewinner. Vater Arzt und Menschenfreund. Sie luden sich sonntags immer die schwarzen Asylanten nach Hause ein, nach der Kirche, zum Essen. Was sollte das sein? Wollten sie den Schwarzen zeigen, wie gut man es hat und sich dabei ein Platz im Himmelreich sichern? Top, gewonnen. Das war vor ein paar Jahren richtige Mode. Man lud sich die Schwarzen ins Reihenhaus und aß mit ihnen, vorher durften sie das Tischgebet sprachen. Als dann die kleinen albernen Dorfnazis böse guckten, zogen alle Ärzte, Lehrer, Bioladenbestizer, Architekten, Künstler und was weiß ich für Leute die Schwänze ein und luden die Schwarzen wieder aus, ließen sie in ihrem Asylantenheim sitzen und spendeten stattdessen ein paar Kröten mehr an Weihnachten für Brot für die Welt. Nur die Anwälte hatten keine Angst vor den Dorfnazis. Die wissen schon, wie man einen rund macht.
Jedenfalls sind diese Clowns immer noch aktiv und es ist kein Spaß und keine
Erfindung von mir, daß die Eltern einfach einen bestimmten Betrag an die Schule spendeten und schon war das Abitur sicher. Dann kann man schon mal Kabarettist werden. Auch wenn ich ihn und seine kleine scheinheilige Truppe nicht lustig fand, in den politischen Diskussionen war er immer engagiert und mit abgeklärter Übermenschlichkeit dabei. Das fand ich schon sehr witzig. Am besten sind die Gewinner, die einen wie mich auch noch ernst nehmen.

Da sitze ich also in meinem Stammcafé, zwischen all den anderen Gewinnern und sehe mir das an. Warum sitze ich immer noch in diesem Café der Gewinner?
Ich bin nur noch hier, weil immer kurz nach mir Markus Brody kommt und alle verklagen würde, wenn sie mich rauswerfen, weil ich kein Gewinner bin.

Gewinner sehen gut aus. Ihre Kleidung ist modisch, ihre Haarschnitte grenzen an Körperverletzung und sie sind jung. Zu jung. Sie werden bald schon zu den Gewinnern gehören, die schwitzen. Dann ist ihre Kleidung nicht mehr ganz so hip. Oder sie werden geborene Gewinner. Sie sind immer gut drauf.
Nichts davon trifft auf mich zu. Ich schlage mich gerade so mit dem durch, was ich als Verkäufer verdiene und mit dem, was ich schreibe. Das reicht noch nicht mal für billige Anzüge, in denen man schlechter schwitzt. Ich habe das Gefühl, aus dem Schwitzen nicht mehr rauszukommen. Für den Rest meines Lebens, laut Statistik noch etwa 44 Jahre, werde ich schwitzen und ein paar Texte schreiben. Dann war's das. Dann habe ich endgültig verloren. Aber ans Verlieren habe ich mich gewöhnt. Ich bin kein Gewinner. Das müssen die kleinen Gewinner mir erstmal nachmachen.
Neulich habe ich mal wieder mit Hank darüber gesprochen. Wie immer sagte er
nichts dazu, sondern deutete nur auf sein leeres Glas. Ich bestellte uns zwei neue.

creativeGirl Offline



Beiträge: 37

27.04.2006 20:15
#2 RE: Gewinner Antworten

Hallo,
ich denke, solche Typen kennt jeder von uns. Die Möchtergerns, die doch nichs sind. Ich finde die Beschreibung sehr zutreffend. Mir gefällt die Geschichte.

Liebe Grüße,
Girl

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