Der Grund, warum ich dies hier niederschreibe, sind persönliche Erfahrungen seit vier Jahren mit dem Medium Internet und Chats im Besonderen. Aus anfänglicher Neugier und Faszination gegenüber diese Art der Kommunikation entwickelte sich rasch eine Onlinesucht - welche übrigens vergleichbar mit Alkoholsucht, Drogensucht, Eifersucht und anderen Süchten ist. Die zwischenmenschliche Kommunikation verlagerte sich immer mehr ins Internet, um Defizite in der realen Welt auszugleichen. In all dieser Zeit hab ich verschiedenste Facetten des Internets mit all seinen Vorteilen und Nachteilen kennengelernt, die ich im folgenden Artikel reflektieren möchte. Vielleicht kann der ein oder andere seine Schlüsse aus meinen Schilderungen ziehen und abwägen, welch Stellenwert die Internetkommunikation in seinem Leben einnehmen soll.
A Welche Chats gibt es ? Es gibt verschiedene Möglichkeiten des zwischenmenschlichen Austauschs über das Internet ,wobei das Zwischenmenschliche hierbei sich mehr auf das zwischenbildschirmliche beschränkt, aber dazu später mehr. Foren bilden ein Spezialfall,auf den hier nicht näher eingegangen werden soll. 1. Emails Die einfachste und weit verbreiteste Austauschform sind E-Mails. Jeder , der einen PC mit Internetanschluss besitzt, hat auch eine Email-Adresse. Die Vorteile liegen auf der Hand - anstelle eines möglicherweise teuren Anrufs ist eine E-Mail schnell geschrieben, unmittelbar und ermöglicht Zusatzfunktionen wie den Anhang wichtiger Dokumentationen oder Illustrationen. Über E-Mail fällt es kontaktscheuen oder allgemein soziophobischen Menschen leichter, mit Behörden in Kontakt zu treten, Termine auszumachen, vor allem mit fremden Menschen einen Dialog zu beginnen. Die Hemmschwelle ist daher relativ niedrig, eine kurze Mail zu schreiben, dennoch weist die äußere Form oft dieselbe wie die in einem Brief aus Papier auf. Anrede, Du groß geschrieben, Gruß am Ende, evtl. noch die Adresse + Tel. Im Gegensatz zum echten Brief kommt die Mail sofort an und braucht keine Tage.
Der Nachteil liegt darin, dass man immer häufiger auf Anrufe oder reale Treffen verzichtet, da einen das Mail praktischer und komfortabler erscheint. Der Mensch war und ist jedoch ein soziales Wesen, das nur in einer Gemeinschaft glücklich werden kann. Menschen,die in vollkommener Einsamkeit glücklich leben können, bilden eher die Ausnahme. Aus diesem Grund sind reale Zusammenkünfte sehr wichtig, um sich gegenseitig zu respektieren, um Kontakte mit der Außenwelt zu schließen und ein Teil der Gemeinschaft zu bleiben. Es ist eine gute Übung, lieber den unangenehmen , direkten Weg zur Behörde zu gehen als ein austauschbares Individuum mit einer Mailadresse eine Mail zu schreiben. Ein persönliches Erscheinen wird im Allgemeinen lieber gesehen und lädt eher zum raschen Bearbeiten der gestellten Forderung oder Aufgaben ein als ein rein formales in Kontakt treten.
2. Themenchats. Eine weitere Möglichkeit zur Kontaktaufnahme sind Chats , die über IRC oder einfache Chat-Seiten laufen. Meist handelt es sich um Themenchats. Es gibt Flirtchats, Chats für Wetterbegeisterte, für Autoliebhaber, für Haustierbesitzer, für psychisch Kranke und für vieles mehr. Diese Chats bieten gerade bei exotischen Hobbies oder Krankheiten die Möglichkeit, sich auch trotz entfernter Wohnsitze mit Gleichgesinnten austauschen zu können. Sie ermöglichen wie bei E-Mails , trotz Kontaktscheue sich mit anderen anonym zu unterhalten, ohne Gefahr zu laufen, erkannt zu werden. Gerade bei Menschen,die sonst völlig von der Außenwelt abgeschnitten sind, wie zum Beispiel bei panik- bzw. angstgestörten Menschen, ist der Chat oft die einzige Möglichkeit, an der Gemeinschaft teilzunehmen und sich mitzuteilen. Gegen einen derartigen Austausch spricht zunächst grundsätzlich nichts - es ist jedenfalls besser als alleine zu bleiben und sich immer tiefer in Depressionen zu verstricken. Jedoch sollte man auch berücksichtigen, dass es ein vermeidendes Verhalten darstellt. Jemand, der via Chat mit anderen redet, sieht in der realen Kontaktaufnahme keine Notwendigkeit mehr und je länger er diese nicht mehr getätigt hat, umso mehr wird er all seine Kommunikation auf das Internet verlagern. Es ist vergleichbar mit der Abhängigkeit von Drogen oder Medikamenten. Einem jahrelangen Raucher fällt die Rückkehr zur Abstinenz viel schwerer als jemand, der vielleicht eine Woche geraucht hat. Wenn er nicht zwischendurch sich selbst immer wieder Raucherpausen auferlegt, wird er es später sehr schwer haben, mit dem Rauchen aufzuhören,sofern ihn nicht eine raucherbedingte Krankheit dazu zwingt (z.B. Lungenkrebs).
Daher ist es wichtig, sich eine Balance aus Internetkommunikation und realer Kontaktaufnahme zu schaffen. Das Internet als regelmäßiges Medium zum Kontakt mit Gleichgesinnten ist vertretbar, sofern man sich nicht ausschließlich darauf beschränkt. Alternativen sind Vereine , Verbindungen oder Gruppen, die sich regelmäßig zu festen Zeiten verabreden, z.B. Chor, Bands, Studentenverbindungen, Sportvereine, literarische Treffen,etc. Meist ergeben sich auch über die spezifischen Tätigkeiten hinaus feste soziale Kontakte, auf die man in einem Notfall zurückgreifen kann. Natürlich soll dies die Kontaktaufnahme zu weit entfernten Bekannten oder Freunden nicht ersetzen, die man auf realem Wege nicht ohne Kostenaufwändigkeit erreichen kann. Dennoch sollte es auch dies Wert sein, da ein Chat mit einem Freund niemals ein reales Gespräch ersetzen kann.
3. Kommunikationssoftware Dies führt uns zur dritten Möglichkeit, nämlich über Kommunikationssoftware wie Messenger oder ICQ. Sie verfügen über sogenannte Emotion-Icons , mit denen man Gefühle oder Empfindungen ausdrücken kann, z.B. ein Lachen, ein Weinen, die Müdigkeit, die Wut oder Zuneigung. Die Mehrheit der Internetnutzer besitzt diese Software, um sich entweder mit Gleichgesinnten oder Bekannten und Freunden auszutauschen, die oftmals weit entfernt vom Wohnort leben. Wenn es darum geht, mit jemand zu chatten,den man täglich oder zumindest regelmäßig real trifft, dann stellt das ICQ oder der Messenger eine praktische Einrichtung dar, um Arbeitsdokumente auszutauschen oder Verabredungen zu machen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Gerade jene, die im realen Leben einen festen Bekannten- oder Freundeskreis haben, sind ohnehin nicht onlinesucht-gefährdet, da sie genügend Alternativen ausleben können und in einem holding environment (ein Begriff aus der Psychotherapie von Winicott, der damit ein soziales Auffangnetz beschreibt) leben. Sprich, selbst wenn eine Kontaktaufnahme über Internet aus technischen oder sonstigen Gründen nicht mehr möglich ist, geht für sie die Welt nicht unter, da sie zu ihren Freunden oder Bekannten, Familie oder sozialen Einrichtungen ausweichen können, welche sie "auffangen". Psychisch kranke Menschen, die aus negativen Erfahrungen mit der realen Welt kein holding environment besitzen, haben diese Sicherheit nicht. Es fällt ihnen daher umso schwerer, an der Internetkommunikation Verzicht zu üben und sie geraten rasch in ein Suchtverhalten, das sich bei Abstinenz mit den üblichen Begleiterscheinungen wie Panik,Unruhe, Gereiztheit, Verlustangst, etc. äußert. Die oft einzige Kommunikation zur Außenwelt über das ICQ oder den Messenger verleitet rasch dazu, die niedrige Hemmschwelle zu überschreiten. So wird rasch etwas ausgesprochen oder dem anderen vorgeworfen, was in der Realität niemals von Angesicht zu Angesicht über die Lippen gekommen wäre. Worte des Trostes verfehlen oft ihre Wirkung, da der reale zwischenmenschliche Kontakt dadurch nicht ersetzt werden kann. Ein trauriger Mensch erlangt viel eher Geborgenheit , Sicherheit und innere Wärme, wenn ihn jemand umarmt, ihn jemand mit einem Blick signalisiert, dass er verstanden wird oder wenn ihn jemand mitnimmt, um gemeinsam etwas zu unternehmen und damit von der Traurigkeit ablenkt.
Ein Ausheulen vor dem Bildschirm sieht der Gegenüber nicht - und auch ein Emotional Icon kann die Tränen nicht so vermitteln wie es vis-à-vis möglich und nötig wäre. Im Gegenteil - oftmals heucheln wir uns und dem Gegenüber mit einem lachenden Smilie eine Stimmung vor, die gar nicht existiert. Der Gegenüber kann nicht nachprüfen, ob es seinem Dialogpartner tatsächlich so gut geht,wie er behauptet oder durch das Icon simuliert. Wenn wir einen betrübten Menschen treffen, der sagt, dass es ihm gut geht, bemerken wir das hingegen sofort. Seine Stimme leise und zittrig, seine Schultern hängen herab, die Mundwinkel nach unten gerichtet, der Blick gesenkt, die Augen weichen dem taxierenden Blick des Gegenübers aus. Seine Gangart verrät oft das Gegenteil von Selbstsicherheit. Über einen Chat gehen all diese non-verbalen Informationen verloren. Übrig bleibt lediglich das, was man lesen kann, aber es muss noch lange nicht der Wahrheit entsprechen. Im Grunde handelt es sich hier um eine äußerst oberflächliche Kommunikation, die niemals das bieten kann, was ein reales Gespräch vermag. Ein *tröst* und *drück* und *ich mag dich* wird niemals das ersetzen können, was über ein persönliches Treffen geschaffen werden kann. Ein *tröst* oder *drück* wirkt viel eindringlicher, wenn der Gegenüber seine Hand auf die des anderen legt oder ihn in den Arm nimmt. Ein *ich mag dich* wirkt viel ehrlicher, wenn es mit einem warmen Lächeln und leuchtenden Augen ausgesprochen wird, das der andere mit dem Auge gleichzeitig aufnimmt. Über einen Chat kann es hingegen passieren, dass jemand ein *drück* schreibt, während er nebenbei in irgendwelchen Sachforen liest, spült oder etwas anderes macht, das ihn von dem verbalen Ausheulen des Gegenüber völlig ablenkt und er nur oberflächlich erfasst, wo eigentlich dessen Probleme liegen. Über einen Chat besteht die Gefahr, Geschriebenes nicht so ernstzunehmen, da die stimmliche Betonung des Geschriebenen bzw. non-verbale Gesten wie eine unterstreichende Handbewegung fehlen. Jemand schreibt etwa, dass es ihm sehr schlecht geht, aber da man das schon öfters von ihm gelesen hat, nimmt man es als Mitteilung wie viele anderen auf. In Wirklichkeit ist der Gegenüber am Boden zerstört und spricht einen Hilferuf auf, den sein virtueller Dialogpartner gar nicht als solchen wahrnimmt.
Fazit: Es ist also allgemein festzuhalten, dass Chats als Kommunikationsmittel, die dazudienen, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, solange vertretbar sind, solange der reale zwischenmenschliche Kontakt nicht zu kurz kommt. Regelmäßige persönliche Treffen sind daher sehr wichtig, um sich immer wieder daran zu erinnern, dass hinter dem Bildschirm auf der anderen Seite der virtuellen Leitung ein Mensch mit realen Gefühlen und Empfinden sitzt, die nicht durch Emotional Icons vermittelbar sind. Wenn es sich um eher sachlichen, oberflächen Austausch, gemeinhin auch Smalltalk genannt, handelt, und/oder beide virtuelle Gesprächspartner ein reales holding environment aufweisen, dann wird die Internetkommunikation selten zu Missverständnissen, unnöten Streitereien oder starken Verlustgefühlen beiderseits führen. Ist dies jedoch nicht der Fall, geht es also um tiefergehende Kommunikation, die die Oberfläche verlässt, um in den Menschen hineinzusehen, dann ist das Risiko von Missverständnissen und Streitereien sehr groß, die bei realen Treffen mit verbaler und nonverbaler Kommunikation erstens kaum aufgetreten wären und wenn, dann sofort gelöst werden können. Leider tritt im fortschreitenden Zeitalter der globalen Vernetzung , medialer Technisierung und der hohen Bedeutsamkeit des Zeitfaktors die reale zwischenmenschliche Kommunikation immer mehr in den Hintergrund. Der Mensch als technisches Wesen, das auf reale soziale Kontakte weitgehend verzichten kann, ist jedoch eine Utopie. Selbst Menschen,die die Isolation selbst gewählt haben, geht es selten über längere Zeit geht, sondern geraten in Depressionen und wissen sich oft nicht alleine aus dem Teufelskreis zu befreien. Gewöhnlich empfindet jeder Mensch, der mit einem ihm vertrauten oder befreundeten Menschen etwas unternimmt, ein Gefühl der Erleichterung, der Freiheit und des Glücks, das auf positive Weise süchtig macht. Internetkommunikation kann diese positive Sucht niemals befriedigen , so sehr man sich das auch einzureden vermag. Das Verlangen nach realem Austausch bleibt immer bestehen und muss gestillt werden, um sich wieder als soziales Wesen zu identifizieren.
Hm, und was willst du uns jetzt sagen? Also nehms mir nicht böse aber... das sind zu 50% Sachen die nun mal einfach klar sind, und ansonsten auch viele Sachen wo ich ganz klar nicht zustimme.
Durch Mail&ICQ habe ich viele Leute erst kennengelernt, die ich dann in Reality getroffen habe. Und das Mail unpersönlich ist, ein Smiley kein wirkliches Gefühl vermittelt usw... das sind eben so die Argumente aus den Unterstufenaufsätzen wo sich die Lehrerinnen freuen, die sowieso nur begrenzte Affinitäten zu dem Medium haben.
Ich empfinde das eigentlich ganz gegenteilig - gerade der Chat bietet die Möglichkeit überhaupt einmal ganz offen und ehrlich zu reden, was einem in reality viel eher unangenehm wäre / man sich nicht trauen würde - und das gerade auch mit den Menschen die mit man in reality kennt. Ich würde es so sehen, man sieht den Menschen auf einer anderen Ebene seines Wesens im Chat, wo seine Persönlichkeit einfach ein anderes Bild abgibt - ich würde sagen ein möglichst authentisches Bild einer Persönlichkeit erhält man wenn man ihn/sie in Chat und Reality kennt.
Das wäre doch mal ein interessantes Thema - wie die Persönlichkeit im jeweiligen Medium wirkt, bzw. wie der Mensch überhaupt Möglichkeiten hat seine Fassade im jeweiligen Medium zu basteln.