Manchmal schreibe ich Dinge, die ich fühle, aber NICHT umsetzen werde. Ich schreibe sie auf und lebe sie in diesem Moment:
Grenzen öffnen
Liebe Sandra,
ich weiß, wenn du das hier liest bist du zu Tode traurig und geschockt. Vielleicht nicht ansprechbar, wütend, wahrscheinlich gegenüber anderen Menschen aggressiv. Ich weiß, in diesem Moment denkst du, dass deine Seele diesen Schmerz nicht überwinden kann.
Doch diese tiefe Melancholie wird vorbeigehen und ich möchte dir dabei helfen, mich zu verstehen. Genau jetzt guckst du bösen Blickes vor dich hin und denkst dir „Nein, die Zeit heilt keine Wunden. Und Worte können die Vergangenheit auch nicht rückgängig machen.“ Und diese beiden Aussagen kann ich auch nicht widerlegen, aber du bist eine sehr gute Freundin, diejenige, die mich immer verstehen wollte und die in jeder Situation zu mir hält. Deswegen bitte ich dich inständig, mir eine Chance zu geben, dir diesen unsagbar schweren Schritt zu verdeutlichen.
Wie ich mich in den letzten Monaten fühlte, dass wusstest du ganz genau. Diesen bedrückenden, qualvollen Schmerz, der meine Seele immer wieder erwürgt hat. Diese Leere, die Erkenntnis, dass ich mit dieser Krankheit leben muss und dazu wie jeder andere auch noch das ganz normale Leben habe, das hat mir immer wieder ein Stück mehr Seele, ein Stück mehr Hoffnung genommen…
Weißt du, was mich ein bisschen traurig gemacht hat, dass mir immer und immer wieder gesagt wurde: „Du hast schon ganz andere Sachen gemeistert. Früher war die Welt manchmal noch viel härter zu dir und du hast das hinbekommen.“ Das sind Worte, die einen sehr verletzen, denn nur weil ich es einmal geschafft habe, heißt das nicht, dass ich es wieder kann. Man nimmt diese Erfahrung mit, aber man hat nicht die Kraft, diesen Schmerz zu verarbeiten. Ich fühlte mich ausgebrannt. Vielleicht auch überfordert. Und das Schlimmste ist, man ist nicht mehr so wie man sein will. Man denkt anders, man empfindet anders, ist sensibler und verletzbarer. Vielleicht trauere ich auch dem Gefühl hinter her, dass ich mal sehr genau fühlen konnte, wie es anderen geht. Und plötzlich sind es wieder so viele Sinneseindrücke und man kann gar nichts so schnell verarbeiten. Dadurch ist mir vieles entgangen. Wenn ich jetzt alles Revue passieren lasse, warum ich so geworden bin, wie ich jetzt bin, dann bin ich sehr traurig und mein größter Wunsch ist es gewesen, die Kraft zu besitzen, so zu werden wie nur ich ganz allein das wollte.
Wenn du magst, kannst du dir auch mein Tagebuch nehmen. Darin habe ich alle positiven, aber eben auch die negativen Erinnerungen festgehalten. Manchmal findest du auch nur Monologe, aber vielleicht hilft es dir, mich besser zu verstehen.
Ja und wenn ich jetzt hier so schreibe, da wird mir ganz schlecht, weil ich weiß, meine Worte werden vielleicht nicht ausreichen und doch ist es für den Moment das Einzige, was ich dir geben kann.
Aber das sind alles keine Entschuldigungen, sollen es auch gar nicht sein. Eher Anstöße in welche Richtung meiner letzten Gedanken gingen. Auch keine Erklärungen, denn leider musste ich feststellen, dass man meine Erklärungen leicht falsch verstehen konnte. Leider habe ich das auch erst im Nachhinein festgestellt. Das ist ein Fakt, der mich sehr mitgenommen hat. Na ja mit der Interpretation ist das so eine Sache. Weißt du, in diesem Sinne war ich naiv, warum sollten die Personen an die ich Worte gerichtet habe, es so verstehen wie ich es meinte? Vielleicht sind meine Gefühle auch einfach unverständlich.
Ich bin mir sicher, dass ich jetzt an einem Ort bin, der sehr sehr weit weg ist von deinem. Grenzen der Zeit liegen zwischen uns, aber in deinen Erinnerungen kann ich bei dir sein und mit dir weiter existieren. Ja, ich bin der Ansicht, dass ich mich nicht in der Vergangenheit befinde. Ich bin einfach in einer anderen Gegenwart, aber ich bin sicher, dass Leben wird uns zeigen, dass wir nur physisch getrennt sind.
In diesem Sinne sei ganz fest umarmt, und denke daran, ich werde in deinem Herzen weiterleben.
Sophie
vom 07.06.2007
"Menschen mögen vergessen, was du ihnen gesagt hast, aber sie erinnern sich immer daran, welches Gefühl du in ihnen ausgelöst hast." (Carl W. Buechner)