„Sind sie soweit?“ Mein Verteidiger sieht mich fragend an. Ich nicke und gemeinsam betreten wir den Verhandlungsraum. Zusammen mit den anderen bleibe ich stehen bis der Richter kommt und uns das Zeichen gibt, dass wir uns setzen dürfen. Mir gegenüber sitzt das Schwein, wegen dem ich hier bin. Er grinst mich frech an. Dabei hat er vor gar nicht langer Zeit winselnd am Boden gelegen. Und ich bin mir sicher, dass es ihm noch immer nicht wirklich gut geht. Die Stirnseite nimmt der Richtertisch ein, in der Mitte steht ein Stuhl und ein Tisch für die Zeugen. Sie sind gekommen. Alle beide. Natürlich werden sie gegen mich aussagen, sie können gar nicht anders. Aber das ist gut so. Diese Geschichte muss erzählt werden. Bei der Polizei habe ich die Aussage verweigert, deshalb sitzen wir heute hier. Aber damals war alles noch viel zu frisch. Jetzt ist es fast ein Jahr her und ich kann darüber reden. Zuerst wird Natalie in den Zeugenstand gerufen. Sie schleicht in den Raum und sieht mich nicht an. Ach Mädchen, so schlimm ist das doch alles gar nicht. Aber gut sieht sie aus, besser als vor einem Jahr. Ich habe sie schön hochgepäppelt. Bei ihrem Anblick muss ich lächeln.
Es war ein trüber Herbsttag, als ich die Zeitschrift aufschlug und dort auch mal die Kontaktanzeigen studierte. Eine davon war interessant. Ein Mädchen in meinem Alter suchte eine Brieffreundschaft und wohnte nicht weit von mir entfernt. Zuerst unterhielten wir uns per SMS, später über Briefe, bis wir uns endlich einmal trafen. Sie hieß Natalie und war scheu und ruhig. Zusammen lernten wir dann noch Irena kennen. Damit war unser Kleeblatt geboren. Natalie hatte nicht oft Zeit um etwas zu unternehmen und einladen tat sie uns nie.
Dafür war sie bei unseren Treffen umso ausgelassener, schon fast manisch.
Ganz im Gegensatz zu jetzt. Mit kaum hörbarer Stimme erzählt sie von dem, was ich getan habe. Aber nicht mehr. Auch auf die drängenden Fragen des Rechtsanwaltes und des Richters nicht. Ich kann sie verstehen. Für sie ist es noch alles zu frisch. Aber dafür bin ja ich hier, um alle Fragen zu beantworten. Ich würde sie am liebsten in den Arm nehmen und aus dem Raum führen. Aber sie darf ja schon wieder gehen, wie gut. Jetzt kommt Irena in den Raum. Sie ist schon ein klein wenig selbstbewusster. Aber auch sie spricht nicht von den Umständen. Haben die beiden sich abgesprochen? Umso besser für mich. So kann ich alles richtig erklären. Der Rechtsanwalt und mein Verteidiger streiten sich, bis sich der Richter einmischt. Ob ich nicht auch mal etwas dazu sagen möchte, werde ich aufgefordert. Natürlich will ich etwas sagen, wozu bin ich sonst hier.
Als die Einladung kam haute es mich fast um. Wir sollten uns tatsächlich bei Natalie in der Wohnung treffen. Das gab es bisher noch nie. Es war eine kleine Zweizimmerwohnung mit Küche und Bad. Was mir sofort auffiel war die Unordnung in den Zimmern. Überall lag Wäsche herum, standen halb vertrocknete Blumen und benutztes Geschirr. Natalie begrüßte uns überschwänglich, sie freute sich wirklich. Wir machten es uns gemütlich und der Abend nahm seinen Lauf. Spät am Abend hörte ich die Haustür gehen. Jemand grölte im Hausflur herum, es wurde laut gelacht. Natalie wurde blass und begann hektisch den Tisch abzuräumen.
Wir hatten ein wenig Sekt getrunken und etwas geknabbert. Kaum hatte sie alles weggeräumt, ging auch schon die Wohnungstür auf. „Scheiße. Mein Freund, Dirk. Und sein Kumpel Rene.“, flüsterte Natalie. „Was ist denn hier los?“, brüllte eine Männerstimme und die zwei kamen ins Wohnzimmer. Auf ihren zu Glatzen geschorenen Schädeln spiegelte sich das Licht. Sie trugen grünliche Bomberjacken und hatten schwere Stiefel an. Braunes Pack, dachte ich und beobachtete die beiden vorsichtig. Der Größere von beiden ergriff Natalie am Arm und zerrte sie zu sich. „Wer sind die?“, schnauzte er sie an. „Zwei Freundinnen. Du, du bist ja schon zurück.“, antwortete sie mit zittriger Stimme. „Das hattest du nicht erwartet, was? Wer hat dir erlaubt jemanden in die Wohnung zu lassen? Wer?“ Er brüllte Natalie ins Gesicht, so dass sie soweit wie sein Griff es zuließ zurückwich. Irgendetwas lief hier verdammt schief. Ich sah wie er ausholte und Natalie eine schallende Ohrfeige verabreichte. Sie schrie auf und fing an zu weinen. „Spinnst du?“ Ich sprang auf und wollte Natalie wegziehen. „Schnauze.“, blaffte mich der Kerl an. Etwas hatte sich an ihm verändert, als er Natalie schlug. In seinen Auen glitzerte es und sein Gesicht rötete sich. Er atmete schwerer. Was war hier los? „Setz dich und halts Maul.“ Er schubste mich auf die Couch zurück. Hinter ihm schloss der andere die Zimmertür ab und zog den Schlüssel aus dem Schloss. Grinsend nahm er ihn entgegen und steckte ihn in seine Hosentasche. „Wenn sie euch schon eingeladen hat, dann sollt ihr auch das ganze Programm bekommen.“
„Nein. Dirk bitte.“ Natalie fing an zu stammeln. Sie schien zu wissen was nun folgen sollte. „Mit dir red ich doch gar nicht.“ Dirk schlug ihr noch einmal ins Gesicht. Natalie schrie auf und hielt sich die Wange, von der Blut tropfte. Sein Ring hatte sie verletzt. Durch die Wucht des Schlages taumelte sie gegen den Tisch. Dirk folgte ihr und drückte sie auf die Tischplatte, dann riss er ihr den Slip herunter. „Ich, ich glaube, wir sollten jetzt gehen.“ Irena stand auf, auch ich war wieder aufgesprungen. Ich fühlte mich in einem schlechten Traum gefangen. „Hinsetzen, Schlampe.“, fuhr uns der andere an und zerrte Irena auf die Couch zurück. Ich konnte mich nicht bewegen, starrte entsetzt auf das, was auf dem Tisch passierte. Dirk hatte seine Hose heruntergelassen und presste Natalies Beine auseinander. Sie lag auf dem Tisch und bewegte sich nicht mehr, ließ alles mit sich machen und schien ganz weit weg zu sein. An ihren Oberschenkeln bemerkte ich faustgroße, alte Hämatome. Es schien nicht das erste Mal zu sein, dass sie dies durchmachen musste. Neben mir weinte Irena vor sich hin. Und während Dirk seinen Penis in Natalies Mund presste, drang der andere in sie ein und stieß wild zu. Natalie war eine willenlose Puppe. Sie weinte noch nicht einmal. Ihr Anblick presste mir die Luft aus den Lungen und endlich fing die Welt wieder an, sich zu drehen. Ohne hinzusehen griff ich nach meiner Tasche, die auf der Couch lag. Ich wusste genau was ich darin finden würde. Das kalte Metall schmiegte sich in meine Hand. Seit dem Vorfall vor wenigen Jahren trug ich die Waffe immer mit mir herum, bereit, sie einzusetzen. Ich zog sie aus der Tasche und richtete den Lauf auf Dirk.
„Du braunes Arschloch. Geh runter von ihr.“ Meine Hände zitterten nicht, ich war bereit. Mitten in der Bewegung sah mich Dirk an und grinste. „Du bluffst.“, sagte er, hielt jedoch inne. „Lass es drauf ankommen. Gib den Schlüssel her.“ Ich zog den Spannhebel und es klickte leise, als er einrastete. Dirk starrte mich voller Wut an, kramte jedoch den Schlüssel aus der Tasche und warf ihn mir zu. Langsam, die Waffe immer im Anschlag, bückte ich mich und hob ihn auf. Der andere ließ auch endlich von Natalie ab, jetzt standen sie beide mit heruntergelassenen Hosen vor mir. Ich zielte auf Dirks Herz und wusste, dass ich abdrücken würde. „Irena hör auf zu heulen und nimm Natalie.“ Hinter mir erhob sich Irena und zog Natalie vom Tisch herunter. Das Mädchen war noch immer völlig weggetreten. „Schließ die Tür auf und geht in den Hausflur.“, wies ich die beiden an. „Nimm die Waffe weg, du Schlampe.“ Dirks Stimme zitterte leicht, er hatte also Respekt. Langsam ließ ich den Lauf sinken, dann drückte ich ab. Es war zwar nur eine Schreckschusspistole, aber ich war nah genug dran. Schreiend brach Dirk zusammen, die Hände vor den blutenden Penis gepresst. Der würde so schnell keinen mehr hoch kriegen. Ich verließ rückwärts das Zimmer. Im Rausgehen warf ich dem anderen das Telefon zu. „Ruf den Notarzt, wenn er nicht verbluten soll.“ Dann war auch ich draussen.
Im Gerichtssaal ist absolute Stille. Zum Glück sind Irena und Natalie wieder draußen im Warteraum. Der Vorfall hatte unsere Freundschaft nicht belastet.
Wir waren danach nur noch enger zusammengerückt. Dirks Rechtsanwalt räuspert sich. Ob ich die Tat also zugebe, werde ich gefragt. Na wenn das kein Geständnis war, was dann? Aber ich bin noch nicht fertig.
Zusammen rannten wir fast aus dem Haus. Zum Glück stand mein Auto nicht weit geparkt. Als ich jedoch das Krankenhaus anfuhr, wurde Natalie endlich wach. Sie wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen einem Arzt vorgestellt zu werden. Letztendlich fuhren wir zu meiner Wohnung. Natalie blieb vorerst bei mir. Nach ein paar Wochen suchten wir uns eine neue Wohnung in einer anderen Stadt. Zu groß war die Angst vor Dirk und seinen Kumpanen. Insgesamt dreimal wechselten wir im vergangenen Jahr die Wohnung um unsere Spur zu verwischen. Natalie blieb die ganze Zeit bei mir. Es ging ihr nicht gut. Sie nahm zuerst weiter ab und wog nur noch siebenundvierzig Kilo. Ihr Haar war glanzlos, ihre Augen getrübt. Sie redete nicht viel. Meist saßen wir abends zusammengekuschelt und schwiegen. Ich brachte sie zu einem Psychologen, aber es schien nicht zu helfen. Irgendwann jedoch nahm sie wieder zu, redete wieder mit mir und nach einer langen Zeit blühte sie endlich wieder auf. Wir wohnen heute noch zusammen.
„Ich wurde als Kind missbraucht.“, sage ich leise in die Stille des Gerichtsaales. „Und das gleiche noch mal tat mir dieser Dreckskerl in dem Moment an, wo er mich zwang zuzusehen. Ich wollte ihn nicht töten. Der Tod ist für jemandem wie ihm viel zu schade. Aber ich hoffe, dass er nie wieder einen hoch kriegt.“ Zwei Jahre auf Bewährung und die Auflage mich einmal wöchentlich im Polizeirevier zu melden. Die Anzeigen gegen Dirk laufen.
ist dir das wirklich passiert bzw. basiert der Inhalt auf wahren Begebenheiten? Eigentlich scheint es egal zu sein, denn das was du hier schreibst, passiert viel zu oft und die Strafen gegen solche Menschen sind zu gering. Die, die sich wehren werden bestraft, dabei hinterlassen solche dramatischen Ereignisse ihre Spuren.
Ich hoffe dir geht es gut!
Sei lieb umarmt,
kg Coline
"Menschen mögen vergessen, was du ihnen gesagt hast, aber sie erinnern sich immer daran, welches Gefühl du in ihnen ausgelöst hast." (Carl W. Buechner)
Hallo Rainy, also ich musste beim Lesen kräftig schlucken. Du beschreibst die Szene in einer Deutlichkeit, dass der Leser mitgeht. Und am Ende, ohne es auszusprechen, kommst du ja zu der Aussage - das Schwein kriegte, was er verdiente. Puh ... kein leichter Lesestoff.
Und ein Thema, zu dem es keine einfachen Antworten gibt. Gut, dass du dich da ran wagst.
Aus meiner Sicht, wäre die Frau in der Realität aber nicht verurteilt worden, sondern hätte wegen erweiterter Notwehr einen Freispruch bekommen. Immerhin hat sie so ein Gewaltverbrechen beenden können. Und sie hatte zwei Zeuginnen.
hallo schreiberling, danke fürs lesen und kommentieren.
die frau hätte auch in der realität probleme mit dem gericht bekommen. die bewährungsstrafe ist da noch das kleinere übel. übrigens ist die geschichte zur einen hälfte ein albtraum, den ich hatte, zur anderen hälfte wahr und zu einem kleinen prozent ausgedacht.