Frühling 2004: Alles fing damit an, dass wir abends aufs Heimatfest im Nachbarort wollten. Das Auto stand abfahrbereit vor unserem Haus. Ich aß noch schnell den letzten Bissen Brötchen, ehe ich eilig zum Auto lief und meinem Opa noch ein letztes Mal winkte, der uns noch bis zur Haustür begleitete. Meine Mutter, mit der ich bereits am Vortag auf dem Heimatfest war, nahm auf dem Beifahrersitz Platz und warf ihre Tasche auf den Rücksitz. Ich setzte mich hinters Steuer. Motor an, anschnallen, und ab ging die Fahrt. Biba und die Butzemänner… Was das wohl sein sollte? Der Name klang interessant und hatte trotzdem etwas Kindliches an sich. Las ich den Namen auf dem grün-roten Werbeplakat, das am Dorfeingang aushing, musste ich schmunzeln. Bestimmt würde es sich um irgendwelche Komiker handeln, nach ihrem Slogan „Lauter Unsinn“ zu urteilen. Mir selbst war der Name fremd. Meine Mutter meinte, den Namen schon einmal irgendwo gelesen zu haben. Lange mussten wir nicht fahren. Bis zum Festplatz waren es mit dem Auto keine zehn Minuten. Anna, meine ehemalige Schulfreundin, mit der ich mich dort verabredet hatte, müsste auch bald da sein. Ungeduldig warteten wir auf sie vorm Einlass. Dort hatte sich schon eine mittelgroße Menschenschlange größtenteils Jugendlicher angesammelt. Von Anna jedoch keine Spur. Vom Festplatz klang jetzt Musik nach draußen, aber durch die Mauern, die den Platz abgrenzten, konnten wir nichts sehen. Auf solch einer Veranstaltung war ich zuvor noch nie, desto neugieriger und unruhiger wurde ich von Minute zu Minute. Da! Plötzlich bog Anna um die Ecke, im Schlepptau zwei andere Mädels. „Huhu!!!“, rief sie uns zu. Genau in diesem Moment hielt ein silberfarbener PKW direkt neben uns und ein junger Mann stieg aus, der uns besonders durch seine Glatze auffiel. Aus seinem Kofferraum holte er noch schnell eine Gitarrentasche, dann verschwand er genauso schnell wie er gekommen war. „Uuiii, der Bert ist jetzt auch da!“, seufzte Anna, für die es nun kein Halten mehr gab. „Wer?“, wollte ich noch fragen, aber da stiebte sie mit ihren Freundinnen auch schon hinterher. „Willst du wirklich da rein?“, fragte meine Mutter, total skeptisch geworden. „Wer weiß, was die für Musik machen… Vielleicht ärgern wir uns, wenn wir jetzt Eintritt bezahlen und es uns dann nicht gefällt.“ Auch ich war plötzlich sehr zurückhaltend geworden und verspürte selbst kaum noch Lust, mich unter die Menschenmassen zu mischen. „Hm…“, machte ich und zuckte nur noch gleichgültig mit den Schultern. „Vielleicht finden wir ja etwas anderes, wo wir noch hin gehen könnten, damit es zu Hause nicht so blöd aussieht, wenn wir jetzt schon zurückkommen…“, überlegte meine Mutter. Wieder zuckte ich nur gleichgültig mit den Schultern und schaute in Richtung Einlass. „Wo bleibt ihr denn?!!“, rief plötzlich Anna, die das Kassenhäuschen mittlerweile fast erreicht hatte. „Los! Macht hin!! Stellt Euch endlich an! Ich warte!!“ Na gut, überredet. Schauen wir uns eben doch die Butzemänner an. Außerdem wollte ich sowieso noch ein wenig mit Anna quatschen, die ich wegen ihrer Arbeitszeiten nicht so oft sehe. Wenig später stand ich allerdings mit meiner Mutter allein auf dem Festplatz. Keiner nahm mehr von uns Notiz, und wenn, dann wurden wir nur schräg angesehen. Anna hatte sich mit ihren Freundinnen in Richtung Bühne durchgeschlängelt, um Plätze weiter vorn zu ergattern. Vor der Bühne hatte sich eine Menschentraube angesammelt, die nicht nah genug an der Bühne stehen konnte. Meine Mutter und ich sahen nur noch Köpfe über Köpfe vor uns und irgendwo da vorn die Bühne. Lautes Gekreische tönte durch das Kopfmeer. Die Bühne war hell beleuchtet. Große Lautsprecher waren an der linken und rechten Seite der Bühne zu Türmen aufgebaut und rahmten das Ganze professionell ab. Hinter uns standen die Bierwagen, davor einzelne Leute, die sich gerade bedienen ließen oder genüsslich tranken. Plötzlich ertönte aus den Boxen ein lauter Donner wie bei einem Gewitter. Alles wurde stockfinster. Im Publikum lautes Geschrei und Jubelrufe. Jetzt wurde die Bühne in weißes Licht getaucht und fünf Männer stürmten hinauf. Das Geschrei wurde lauter und lauter! Ich erkannte den glatzköpfigen Mann von vorhin wieder. Er stand jetzt mit auf der Bühne, oberkörperfrei, und mit einem Bass in der Hand. Wie hieß er noch mal? Ach ja, Bert, glaub ich, hatte Anna vorhin gesagt. Anna muss es wissen, schließlich war sie ihren Reden nach öfters bei den Butzemännern. Am Mikrofon in der Mitte der Bühne sang ein Großer Langer mit einer atemberaubenden Stimme. Links neben ihm sah ich einen Kleineren mit Gitarre, der ein Kopftuch trug. Hinter ihm war ein weiterer Musiker am Keyboard, der kräftig in die Tasten haute. Der fünfte Mann saß hinter dem Schlagzeug und war von hier hinten aus kaum zu sehen. Für mich war die Band völlig fremd und keiner der Sänger war mir ein Begriff. Mucksmäuschenstill stand ich neben meiner Mutter und hörte aufmerksam zu. Die Melodie von dem was gerade gesungen wurde, kam mir irgendwie bekannt vor, aber die Musiker sangen dazu einen völlig anderen Text. Original kannte ich den Song als „We didn´t start the fire“, gesungen wurde jetzt allerdings „Hey Leute lasst uns feiern“. Im ersten Moment zwar ungewohnt für mich, aber irgendwie gefiel mir die Nummer sofort. Schnell hatte ich den Refrain drauf und konnte ihn bei der letzten Strophe auch schon mitsingen. „Hey Leute lasst uns feiern, denn die Butzemänner sind der Dauerbrenner! Hey Leute lasst uns feiern, wenn die Bibas rocken, bleibt kein Auge trocken…“ Ich schielte vorsichtig zu meiner Mutter hinüber, die direkt neben mir stand. Sie klatschte fleißig mit. Demzufolge müsste es ihr ebenfalls gefallen. Allmählich taute ich immer mehr auf und irgendwann sprang ich genauso wie all die anderen vor uns herum, auch wenn wir etwas gesondert von den Menschenmassen vor der Bühne standen. Von den Geschehen vor der Bühne trennten uns so einige Meter, aber viel weiter vor zu gelangen, war aussichtslos. Die Menschenmassen standen dicht an dicht. So blieben wir doch besser auf Distanz und verfolgten die Party von hier hinten aus. In der Pause öffnete ein paar Meter hinter uns unter einem roten Sonnenschirm der Fanshop. Beleuchtet mit einem Lichtschlauch stach er sofort ins Auge. Eine junge Frau stand hinter der „Ladentheke“ und verkaufte. Dort gab es allerlei Fanartikel der Band. Verschiedene CD´s, schwarze T-Shirts mit weißer Aufschrift „Scheenes Ding“, Sticker, Feuerzeuge in den Farben gelb, blau oder rot, Schals, Schlüsselbänder, Plüschbutzemänner und vieles mehr. Ich entschied mich für ein Schlüsselband als Erinnerung an diesen Abend. Es war gelb und hatte die rote Aufschrift „Biba und die Butzemänner“ sowie die Internetadresse der Band. Einen Internetanschluss hatte ich sowieso nicht zu Hause, aber das Band gefiel mir. Stolz hing ich es mir um den Hals und stolzierte wieder ein Stück Richtung Bühne, soweit nach vorn kommen möglich war. Die Meisten hatten ihr Plätzchen eisern verteidigt, trotzdem waren wir ein Stück näher an der Bühne als zuvor. So hatten wir nun auch eine bessere Sicht auf das Geschehnis. Der Keyboarder tauchte nun mit einer aufblasbaren Banane in Übergröße und mit Strohhut auf. Auch der Sänger trug einen Hut wie ihn die Mexikaner trugen. Zudem trug er einen orangefarbenen Poncho und sang: „Theo! Komm, und mach mit ein Bananenbrot! Theo!...“, Schrie er erneut. „Theo!“, schallte es aus dem Publikum zurück. Die Fotoapparate und Digitalkameras blitzen bei dieser Show, nur wir hatten keinen Fotoapparat mit und konnten somit keinen Funken dieses Abends festhalten. In der zweiten Pause traten wir den Heimweg an. Es war kurz vor 2 Uhr. Wir waren durchgefroren bis auf die Knochen und die Füße wollten auch nicht mehr. Noch ahnte ich nicht, welche Bedeutung die Band eines Tages für mich haben sollte.