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Dieses Thema hat 0 Antworten
und wurde 516 mal aufgerufen
 Texte aller Art, Gedichte, Lyrik, Kurzgeschichten, Altbeiträge
Felios Offline



Beiträge: 416

14.02.2008 02:14
RE: Der Tag eines Verlierers Antworten

Auszug aus dem fiktiven Tagebuch eines Verlierers, 2. Kapitel

[...]

Die Einkaufstasche liegt neben dem Bett. Zerknittert. Oftmals benutzt. Ich laufe hinüber zum Bett und stoße beim Umrunden desselbigen heftig mit dem Fuß an einer Kante an. Ein scharfer, stechender Schmerz fährt in meinen lädierten Zeh. Still fluche ich in mich hinein. Das Echo verhallt sang- und klanglos. Mit einer ärgerlichen Bewegung fahre ich herum und ergreife die Tasche. Und setze mich erst einmal auf das Bett. Alles in mir sträubt sich, nach draußen zu gehen. Unter Menschen. Laufende Bazillenschleuder in den belebten Straßenschluchten.

Widerwillig zwinge ich mich dazu, meinen Schlafanzug auszuziehen. Nun sitze ich nackt da. Ich gehe zum Spiegel und mir baumelt ein dürrer, leichenblasser Körper
entgegen, aus dem scheinbar alles Blut geflossen war. Langsam hebe ich den Kopf, doch als ich mein Gesicht sehe, wende ich mich rasch ab. Es ist noch zu früh am Morgen. Halb acht. Wann haben eigentlich die Geschäfte offen? Lohnt es sich überhaupt...? Es spielt keine Rolle mehr. Entweder gehe ich jetzt oder nie. Natürlich könnte ich weitere Stunden nackt auf dem Bett liegen, mein faules Stück Fleisch im Spiegel betrachten und mich immer weiter hineinsteigern, in den stillen Abgang zur... Der Tag ist ohnehin nicht mehr zu retten. Zu matschig das Gefühl in der Birne. Die Müdigkeit kommt in Schüben. In einem Augenblick fühle ich mich fit. Im nächsten Moment übermannt mich das Schlafdefizit und der Sekundenschlaf lässt mich kurz einnicken. Aus Erfahrung weiß ich, dass sich an dieser Situation nichts ändern wird, solange ich nicht ein wenig Schlaf bekomme. Der blubbernde Matsch im Hirn macht mich träge. Mit einem Ruck stehe ich auf und streife mir hastig eine Jeans über, dazu ein dicker Pullover. Regenkleidung darf ich nicht vergessen. Widerspenstige Hosenbeine! Beim Versuch die hoffnungslos verknoteten Beinkleider zu entwirren bringe ich nur noch mehr Chaos hinein. Ich schüttle resigniert meinen Kopf und zwinge mich zu mehr Konzentration. Der zweite Versuch bringt den gewünschten Erfolg. Nun noch die Regenjacke und lediglich die innere Blockade trennt mich noch von der Außenwelt und meinem geliebten Schwarzen Tee.

Geldbeutel. Schlüssel. Mobiltelefon... ach nein, das brauche ich wohl beim Einkaufen nicht. Und so früh am Morgen ruft sowieso niemand an. Wer ruft mich überhaupt an? Eigentlich könnte ich auch darauf verzichten. In einem Wutanfall auf der Brücke stehend in den Fluss segeln lassen. Am Besten inmitten eines Telefongespräches. Das Telefon hat Suizid begangen. Das Gespräch konnte nur noch tot geboren werden. Plötzlich vernahm der Gesprächspartner ein Rauschen am anderen Ende von... ja was eigentlich? Kann man bei Funk noch Leitung sagen? Im Flur ist es noch dunkel. Verzweifelt ziele ich in Richtung des Schlüssellochs, treffe aber nur Holz. Endlich drin. Umdrehen. Klemmt. Noch einmal umdrehen. Nun kann es losgehen. Ein wenig Beeilung wäre angesagt. Der Aufzug ist defekt. Das hat mir gerade noch gefehlt. Also elf Stockwerke laufen. Springen wäre einfacher. Auf den Tee müsste ich dann allerdings verzichten. Wenig galant stolpere ich die Stiegen hinab. Das letzte Stockwerk. Aufatmen. Die unterbeanspruchten Muskeln protestieren mit verzerrter Grimasse. Auch mein Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse, denn erst jetzt bemerke ich, dass ich meine Einkaufstasche neben dem Bett liegen ließ. Verflucht und zugenäht!

Kalt ist es draußen. Kalt und windig. Die Wolken wechseln ihre Formen wie vernünftige Menschen ihre Unterhosen. Falscher Vergleich. Die Wolken wechseln ihre Formen in einem Tempo, der seinesgleichen sucht. Abgesehen von einzelnen stürmischen Böen, die die Tannen und Fichten um das Gebäude mit einem wehleidigen Klagen in die Waagrechte peitschen, ist es still wie in einem hermetisch abgeriegelten Raum. Das unablässige Prasseln des Regens in mein Gesicht ignoriere ich geflissentlich. Als würde nichts Natürliches die Fähigkeit besitzen, Geräusche zu erwecken. Das Regenwasser durchdringt meine Jacke, läuft in meine Schuhe und rinnt sogar in meine Ohren hinein. Eine neue Todesart ist geboren. Die Umgebung ist trocken. Der Mensch ertrunken.

Motorenlärm unterbricht meine düsteren Gedankenspiele. Ein Automobil nähert sich. Plötzlich brechen alle zuvor unterdrückten Geräusche über mich herein. DDer Sturm tobt peitschend gegen die Scheiben der Fenster. Die Regengischt fegt über Straßen und Wege, schwemmt all den Dreck und leere McDonalds-Tüten in Richtung verstopfter Abwasserkanäle. . Ein Flugzeug stemmt sich beim Landeanflug gegen den böigen Wind. Es hört sich an, als stürze es geradewegs in die Hölle. Heftig wird es hin und her geschüttelt. Mir bereit es ebenfalls Mühe, den recht bockigen Böen standzuhalten, die mich immer wieder umzureißen versuchen. Bald ist es geschafft. Die Hochhäuser stehen in Reihe aneinander und bilden einen riesigen Windkanal, dessen Quelle hinter meinem Rücken liegt. Ich entferne mich zunehmend von ihr. Die Außenbezirke sind erreicht. Dort befindet sich auch der Supermarkt mit meinem geliebten Tee. Eine kräftige Sorte bevorzuge ich. Um wach zu sein, wenn die Seele zu mir spricht. Heute ist meine Seele stumm. Das Gehirn redet nur dummes Zeug. Lebhafter Verkehr auf der Bundesstraße, die an dem Supermarkt vorbeiführt. Viertel neun. Das Regenwasser spült die Müdigkeit aus mir heraus und verteilt sie großzügig auf dem Gehweg. Ein streunender Hund kontaminiert sich mit dem Schlafdefizit, indem er an mir vorbeidackelt. Rastlos sucht er nach Essensresten. So wie ich nach dem Sinn von vierundzwanzig Stunden Tag, zu dem ich nichts, aber auch gar nichts Produktives beitragen kann. An einem matschigen Tag wie heute, an dem die braune Brühe auf den Wiesen zu dem Knäuel in meinem Denkapparat harmoniert, erst recht nicht. Wuff! flüstert meine innere Stimme bestätigend und legt sich anschließend wieder schlafen.


[...]

Gruß Felios

"Der beste Kenner einer Gesellschaft ist der Fremde, der bleibt." (Georg Simmel)

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