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Dieses Thema hat 5 Antworten
und wurde 2.344 mal aufgerufen
 Texte aller Art, Gedichte, Lyrik, Kurzgeschichten, Altbeiträge
Schreiberling Offline




Beiträge: 2.222

11.03.2008 18:20
RE: Kurt Tucholsky "Blick in ferne Zukunft" Antworten

Ich finde, dieser Text hat wieder viel Brisanz gewonnen, leider.

Zitat
Blick in ferne Zukunft

... Und wenn alles vorüber ist –; wenn sich das alles totgelaufen hat: der Hordenwahnsinn, die Wonne, in Massen aufzutreten, in Massen zu brüllen und in Gruppen Fahnen zu schwenken, wenn diese Zeitkrankheit vergangen ist, die die niedrigen Eigenschaften des Menschen zu guten umlügt; wenn die Leute zwar nicht klüger, aber müde geworden sind; wenn alle Kämpfe um den Faschismus ausgekämpft und wenn die letzten freiheitlichen Emigranten dahingeschieden sind –:

dann wird es eines Tages wieder sehr modern werden, liberal zu sein.

Dann wird einer kommen, der wird eine gradezu donnernde Entdeckung machen: er wird den Einzelmenschen entdecken. Er wird sagen: Es gibt einen Organismus, Mensch geheißen, und auf den kommt es an. Und ob der glücklich ist, das ist die Frage. Daß der frei ist, das ist das Ziel. Gruppen sind etwas Sekundäres – der Staat ist etwas Sekundäres. Es kommt nicht darauf an, dass der Staat lebe – es kommt darauf an, dass der Mensch lebe.

Dieser Mann, der so spricht, wird eine große Wirkung hervorrufen. Die Leute werden seiner These zujubeln und werden sagen: »Das ist ja ganz neu! Welch ein Mut! Das haben wir noch nie gehört! Eine neue Epoche der Menschheit bricht an! Welch ein Genie haben wir unter uns! Auf, auf! Die neue Lehre –!«

Und seine Bücher werden gekauft werden oder vielmehr die seiner Nachschreiber, denn der erste ist ja immer der Dumme.

Und dann wird sich das auswirken, und hunderttausend schwarzer, brauner und roter Hemden werden in die Ecke fliegen und auf den Misthaufen. Und die Leute werden wieder Mut zu sich selber bekommen, ohne Mehrheitsbeschlüsse und ohne Angst vor dem Staat, vor dem sie gekuscht hatten wie geprügelte Hunde. Und das wird dann so gehen, bis eines

Tages ...





Ignaz Wrobel

Die Weltbühne, 28.10.1930, Nr. 44, S. 665,

wieder in: Lerne Lachen.


http://www.textlog.de/tucholsky-blick-in-zukunft.html

"Und das wird dann so gehen, bis eines Tages ..." was dann? Werden wir wieder zu Uniformierten? Angesichts der Großmachts gelüste, der zunehmenden Militarisierung unserer Gesellschaften fürchte ich darum, das Tucholsky, dessen Texte ich sehr gern lese, mit dem Unausgesprochenen womöglich sehr weit voraus gesehen hat. Was meint ihr?

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Coline Offline



Beiträge: 147

11.03.2008 20:52
#2 RE: Kurt Tucholsky "Blick in ferne Zukunft" Antworten

Ich kann nicht viele Worte dazu schreiben, aber ich finde der Text macht sehr nachdenklich. Ich habe oft das Gefühl, dass in dieser Welt bzw. in dieser Gesellschaft das Wichtigste untergeht: der Mensch selbst. Und dieser Auszug klagt genau das auch an.

Ich muss ehrlich zu geben, dass ich mehr und mehr damit ein Problem bekomme. Ich weiß, dass es mit Sicherheit auch seine Richtigkeit hat, dass alles auf Leistungen reduziert wird, aber es bringt mich um. Ich denke, dadurch geht vieles unter...

Sorry, wenn's ein bisschen am Text vorbei geht.

LG Coline

"Menschen mögen vergessen, was du ihnen gesagt hast, aber sie erinnern sich immer daran, welches Gefühl du in ihnen ausgelöst hast." (Carl W. Buechner)

Schreiberling Offline




Beiträge: 2.222

11.03.2008 21:04
#3 RE: Kurt Tucholsky "Blick in ferne Zukunft" Antworten

Hallo Coline,
lass dich nicht in die Irre leiten. Es hat ganz und gar nicht seine Richtigkeit, dass alles auf Leistungen reduziert wird. Es gibt genügend Menschen, die sich nicht zu Robotern umfunktionieren lassen wollen.
Jeder darf unproduktive und schwache Phasen in seinem Leben haben. Leben, das ist viel mehr, als Arbeiten und Leisten. Zum Fleißig sein, gehört genauso auch mal Faul sein zu dürfen.
Wir haben nur diese eine Welt.
Viele Grüße
vom Schreiberling

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Coline Offline



Beiträge: 147

12.03.2008 17:10
#4 RE: Kurt Tucholsky "Blick in ferne Zukunft" Antworten

Ja, ich weiß, wir haben nur diese eine Welt und diese zu ändern ist schwer...

Aber ich versuche bei mir anzufangen. Im Vordergrund natürlich für mich, weil ich mich einfach nur eingeschränkt und wertlos vorkomme, aber auch weil ich sehe, dass es anderen Menschen, die mir wichtig sind, ähnlich geht. Ich hab wahrscheinlich die richtige Methode nicht gefunden, aber ich versuche jeden Tag auf die kleineren Dinge mehr wert zu legen! Das ist für mich zur Zeit das Wichtigste. Damit ich einfach auch wunderschöne Erlebnisse erlebe, die meinen "Akku" sozusagen wieder aufladen. :-)

Vielleicht hast du ja noch einen Tipp!?

LG Coline

"Menschen mögen vergessen, was du ihnen gesagt hast, aber sie erinnern sich immer daran, welches Gefühl du in ihnen ausgelöst hast." (Carl W. Buechner)

Schreiberling Offline




Beiträge: 2.222

13.03.2008 21:11
#5 RE: Kurt Tucholsky "Blick in ferne Zukunft" Antworten

Hallo Coline,
einen Tipp zu geben, dass ist ziemlich schwer - dazu kenne ich zu wenig von dir. Und so etwas gehört nicht in ein Forum, außer vielleicht allgemeines, wie zum Beispiel: Entdecke die Langsamkeit. Hier in Berlin bricht der Frühling mit aller Macht durch. Ich finde es herrlich, wie die Natur aus den Startlöchern kommt, die ersten Blumen wieder blühen, und die Vögel machen ein Geschrei, als sei der Frühling schon in vollem Gange.
Schicke mir eine e.mail, vielleicht kann ich da genauer auf Dich eingehen.
Viele Grüße vom
Schreiberling

Falls möglich, schau dir mal den Film an : "Das Leben ist schön" Er zeigt sehr deutlich, wie man auch den Widrigsten Widrigkeiten noch so begegnen kann, das man daran nicht zerbricht.

jf_berlin - View my most interesting photos on Flickriver

Coline Offline



Beiträge: 147

16.03.2008 11:55
#6 RE: Kurt Tucholsky "Blick in ferne Zukunft" Antworten

Hallo Schreiberling,

ja, du hast Recht. Ich schreibe dir mal, vielleicht hilft mir der Austausch ein bisschen weiter. Das was du schon beschrieben hast, sehe ich ganz genauso. :-)

LG Coline

"Menschen mögen vergessen, was du ihnen gesagt hast, aber sie erinnern sich immer daran, welches Gefühl du in ihnen ausgelöst hast." (Carl W. Buechner)

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