Mein Atem steht in einer weißen Wolke vor meinem Gesicht, als ich mir zitternd die Hände reibe und sie in meine nassen Manteltaschen stecke. Es wird bereits dunkel und seit gut einer Stunde regnet es zudem noch in Strömen. Mein Körper zittert unter den durchnässten Klamotten und meine Haare kleben mir unangenehm im Gesicht und Nacken.
Er wird nicht mehr kommen… nein, bestimmt nicht.
Seufzend blicke ich auf meine Uhr. Zwei Stunden warte ich nun schon und nichts ist seither passiert. Gott, ist das scheiße kalt. Der Wind fährt eisig unter meinen Mantel und peitscht mir den Regen regelrecht spöttisch ins Gesicht. Ja, danke schön, nun machst du mich auch noch fertig, verdammtes Scheißwetter. Noch nicht mal eine Zigarette kann ich rauchen. Bei dem Regen hätte die Kippe sich bereits aufgelöst, ehe ich überhaupt nach meinem Feuerzeug greifen könnte. Die Scheinwerferlichter der Autos reflektieren sich auf der nassen Straße und blenden mich ununterbrochen.
Es hat keinen Sinn mehr, er wird nicht mehr kommen. Nun mach schon, beweg deinen Arsch nach Hause bevor du dir hier den Tod holst.
Bewegungslos stehe ich gegen die mit Graffiti besprayte Wand gelehnt und meine Augen verweilen weiterhin auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Vielleicht ist ihm was dazwischen gekommen? Möglicherweise taucht er doch noch auf. Bräunlich-orangefarbene Blätter treiben ziellos im Straßenrand und das laute Rauschen des Regenwassers, das sie mit sich in den Abwasserschacht reißt, macht mich allmählich krank.
Mach dir nichts vor, er kommt nicht mehr. Er hat dich versetzt, so wie Olli es vorausgesagt hat.
Ich fahre mir zitternd über das Gesicht und versuche die lästigen Regentropfen, die von meinen Haaren und meiner Nase perln, wegzuwischen. Wirklich armselig. Zwei Stunden stehe ich nun hier rum und glaube ernsthaft, dass er noch auftauchen wird. Sieh es ein, er hat dich verarscht. Er hat das mit dir gemacht, was alle dir bereits voraus gesagt haben.
Dass es sich so beschissen anfühlt versetzt zu werden, hätte ich nie gedacht. Mit einem resignierten Seufzen stoße ich mich mit dem rechten Fuß von der Wand ab und gehe die leere Passage entlang.
„Nimm wenigstens einen Regenschirm mit.“
Ein wehleidiges Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht, als ich Olivers besorgten Gesichtsausdruck vor mir sehe, den er mir beim Verlassen der Wohnung nachgeworfen hat. Wie immer habe ich nicht auf ihn gehört. Ich bin kein kleines Kind mehr, das gesagt bekommen muss, was das Beste für es sei… Ein scheinbar größerer Irrtum als gedacht. Sowohl mit dem Wetter, als auch mit der Tatsache, dass der Kerl den ich letztes Wochenende in unserem Stammclub getroffen habe, heute nicht auftauchen wird, hat er mal wieder recht gehabt.
Meine Beine fühlen sich schwer an und der mir ins Gesicht schlagende Regen trägt nicht wirklich dazu bei, dass ich mich besser fühle. Ich hasse den November. Er ist grau, verregnet und im Allgemeinen einfach nur hässlich. Triefend schleppe ich mich den Parkplatz zum Wohngebäude entlang und fummle in meinem Rucksack nach meinem Schlüssel.
Die Tür hinter mit zutretend betrete ich den Eingangsbereich und hinterlasse eine lange Wasserspur auf meinem Weg zum Aufzug. Erschöpft und vor Kälte zitternd betätige ich den Knopf und lehne mich gegen die Innenwand der Kabine.
Er ist nicht gekommen. Wie kann man nur so dumm sein? Wie kann ich nur so naiv sein?
Im 7. Stockwerk angekommen steure ich die Tür zu meiner Wohngemeinschaft an und stecke den Schlüssel ins Schloss. Bevor ich aufschließe, sollte ich mich vielleicht erstmal von den nassen Schuhen befreien, ehe ich noch den Flur dreckig mache. Schniefend hocke ich mich hin und hantiere an meinen Schnürsenkeln, als die Tür vor mir geöffnet wird.
Mit geröteten Augen blicke ich auf. Gott, wie erbärmlich muss ich wohl aussehen, dass Oliver mich so schockiert anstarrt?
„Hey…“, murmle ich knapp und schlüpfe aus meinen Schuhen.
Oliver dreht sich um und geht in Richtung Badezimmer. Sein Seufzen entgeht mir dabei nicht und das schlechte Gewissen nagt in mir. Ich bin wirklich ein Idiot. Wieso muss ich ihm immer Kummer machen, wo er sich eh wie eine Glucke um mich kümmert. Ich bin kein Kind mehr… aber als er mit einem großen Handtuch zurückkommt und mir damit über die nassen Haare rubbelt bin ich dankbar dafür, dass es einen Menschen gibt, der sich so um einen Schwachkopf wie mich bemüht.