Ich bin wieder zehn. Unfähig mich zu bewegen, versteinert von dem, was gerade passiert. Mein Mund fühlt sich ganz trocken an, zu trocken um je über diesen Tag reden zu können oder im entscheidenden Moment verbale Gewalt einzusetzen. Er presst seinen dreckigen Finger auf meine bebenden Lippen, sagt 'Psht' und wandert sogleich weiter auf meinem blassen Körper, weiter nach unten, unter mein Shirt, unter meine Hose aus der H&M-Kinderabteilung, die ich immer so mochte und mit der ich mich stark fühlte. Ich hatte sie auf einem Einkaufsbummel mit meiner Mama gekauft und war unheimlich stolz endlich einen eigenen Stil zu entwickeln, denn es war eins der ersten Kleidungsstücke, für das ich mich ganz allein entschied-gegen den Willen meiner Mama. Ich fange an zu weinen, doch anders als jetzt, interessiert ihn das nicht. Er geht weiter und weiter. Meine großen Augen- weshalb Du mich immer Bambi nennst- sind jetzt voller Entsetzen auf ihn gerichtet. Wir hatten früher viel Spaß zusammen, waren im Schwimmbad, im Zoo und haben Tränen gelacht. Jetzt rollen Tränen über mein narbenloses Gesicht, tropfen auf meinen Arm, der wie eingeschlafen scheint, auf seine Hände, seine widerlichen Hände, aber er grinst nur und zeigt mir seine vielen mit Gold gefüllten Zähne. Ich spüre schon fast seinen Atem in meinem Nacken, kann sein billiges Parfum und das Haarwasser riechen als Du mich endlich in den Arm nimmst und einfach nur schweigst. Mich weinen lässt. Ich fühle mich schlecht, weil ich denke, ich werde Dir niemals genug zurückgeben können und lasse Dich mit mir schlafen. Aber statt Dir sehe ich das Gesicht meines Onkels.
Hallo Zoe! Ist sehr gut geschrieben. Ich hätte am Schluß etwas anders formuliert: Ich meine immer noch seinen Atem in meinem Nacken zu spüren, sein billiges Parfum und das Haarwasser zu riechen Doch du bist es, der mich schweigend in den Arm nimmt und mich endlich weinen läßt.