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 Texte aller Art, Gedichte, Lyrik, Kurzgeschichten, Altbeiträge
Caroline ( gelöscht )
Beiträge:

04.02.2010 19:21
RE: Buch (?) Anfang - noch kein Titel Antworten

Ich bin 12 Jahre alt und schreibe leidenschaftlich gerne. Habe schon mal eine Story angefangen, die von einem stummen Mädchen handelte. Dann aber, bei circa 30 DIN-A5 Seiten sind mir die Ideen ausgegangen. Deswegen hab ich etwas neues angefangen, nennen wir es mal ein PROJEKT Würde mich über Kritik freuen. Danke im Vorraus Caroline
P.S.: Der letzte Abschnitt ist noch nicht zu Ende! Deswegen klingt es vielleicht ein bisschen abrupt. Kapitel 1 ist auch noch nicht fertig, ich arbeite noch dran, schreibe jeden Tag ein bisschen etwas.


PROLOG

Kopflos rannte sie durch die Gassen. Gassen, wie ein Labyrinth. Sie sah unerbittliche Schattengestalten, die ihr auf dem Fuß folgten.
Die Nacht schien endlos; am schwarzen Himmel konnte man die Sterne als Billionen von winzigen, funkelnden Punkten wahrnehmen. Sie waren jetzt ihr einziger Kompass. Und inmitten des Sternenmeeres, ein deutlich größerer Punkt - der Mond. Sein Schein fiel auf ihr Gesicht und ließ es bläulich, fahl wirken.
Am Ende der Gasse ließ sie ihren Ballast nieder, wie
zwei riesige Wackersteine fiel er von ihren Schultern.
Sie presste ihren Rücken an die kalte Mauer und setzte sich auf den erdigen Boden.
Irgendwo in der Ferne tropfte es aus einem Regenrohr. Quiekende Ratten, vermutlich durch einen offenen Gully aus der Kanalisation entflohen.
Nicht einmal in ihren schlimmsten Albträumen sah es so aus. Sie schauderte.
Ihre wallenden, roten Haare wehten im Wind, der ihr seitlich ins tränenüberströmte Gesicht peitschte.
Sie fasste sich unter die Augen, betrachtete dann ihren Zeigefinger und konnte mit Mühe erkennen, dass er schwarz war - ihre Schminke war völlig verlaufen. Doch hier war sowieso niemand, der sie sehen könnte.
Sie umklammerte ihre Knie, rieb sich die Arme, in der Hoffnung, ihr würde dadurch wärmer werden. Ihre Gänsehaut überzeugte sie jedoch davon, dass sie unmöglich die Nacht über hier schlafen konnte.
Eine Weile lang noch saß sie reglos da, in der einsamen Gasse, ehe sie ihre beiden Gepäckstücke fasste und sich auf den Weg machte. Auf den Weg ins Ungewisse, die Sterne ihr Kompass.
























1
GESTRANDET


Die Detroiter U-Bahn Station war sehr modern und gigantisch groß. Sie glich eher einem Flughafen. Ganz schlicht in weiß gehalten, die gerundete Decke kunstvoll im Zickzackmuster gestaltet. Ein Pfeil mit der Aufschrift »Subway« zeigte nach geradeaus. Mittig befanden sich zwei flache Rolltreppen (für die, die es besonders eilig hatten).
Es waren kaum noch Leute hier. Die letzten Züge waren um 22:00 Uhr abgefahren, jetzt war es viertel vor zwölf - fast Mitternacht. Aber sie hätte es viel später vermutet. Die Geschäfte hatten bereits alle geschlossen, hinter den eisigen Gittern konnte man die Buchstaben der Anzeigetafeln nur noch erahnen.
Sie merkte, wie ihre Knochen langsam immer schwerer wurden, sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Sie suchte nach der unmittelbar nächsten Sitzgelegenheit, legte ihr Gepäck davor ab und versuchte, es sich so gemütlich wie nur möglich darauf zu machen; aus ihrer zylinderförmigen, feuerroten Schultertasche packte sie einen Schlafsack und breitete ihn auf der Bank aus. Sie schlüpfte aus ihren Straßenschuhen und hinein in die Wärme. Sie spürte förmlich, wie sie langsam mehr und mehr auftaute.
»Gute Nacht, Welt«, sagte sie leise, ehe sie in einen tiefen, ruhsamen Schlaf fiel.

Auf einmal wurde sie wach. Alles Schwarz verschwand und ein großes Gewimmel von Menschen erschien.
Immer noch im Schlafsack liegend, setzte sie sich auf. Es fühlte sich fast so an, als hätte sie einen Kater, obwohl sie sich vollkommen nüchtern schlafen gelegt hatte.
Sie bemerkte eine etwas ältere Dame neben ihr, welche graue, kurze Haare hatte, sowie ein nettes, orangefarbenes Strickjäckchen und Perlenohrringe trug. Sie hielt die Tageszeitung in der Hand und schaute sie über ihre Lesebrille hinweg an, als erwarte sie eine Erklärung.
»Was, noch nie ein Mädchen in einem Schlafsack auf einer Bank in der U-Bahn gesehen?«
»Leider schon öfter, mein Kind. Leider schon öfter« Sie schüttelte den Kopf. »Was treibt dich in der Blüte deiner Jahre denn auch hierher? Du fängst gerade erst an, richtig zu leben! Später, wenn du so alt bist wie ich, kannst du gar nichts mehr machen. Du bist ständig auf die Hilfe anderer angewiesen, wie ein Baby. Du wirst geboren und bist hilflos, du lebst, du wirst alt und wieder hilflos. Und irgendwann, wenn deine Zeit gekommen ist, ja ... dann stirbst du. So ist der Kreislauf des Lebens«
Sie war völlig überrascht von den weisen Worten der alten Dame und musste sich eingestehen, dass alles, was sie gesagt hatte, stimmte.
»Oh, mein Zug ist da«, rief diese plötzlich. Sie faltete die Zeitung zusammen und wuchtete sich mühsam hoch.
Mit ihren schweren Augenlidern blickte die Frau sie an. Sie hätte schwören können, dass sie Tränen in den Augen hatte.
»Pass gut auf dich auf, Schätzchen«
Mit Hilfe ihres Gehstocks wankte sie davon. Sie musste sich beeilen und startete sogar den Versuch, zu rennen, damit der Zug nicht ohne sie abfahren würde.
Völlig gedankenverloren schaute sie ihr noch kurz hinterher, dann grummelte es urplötzlich. Sie hob sich den Bauch. Schließlich befreite sie sich aus dem Schlafsack und kramte in ihrer Hosentasche. 5 Dollar. Das würde für eine Kleinigkeit reichen.
Ohne den Schlafsack aufzuräumen, ging sie zu dem Coffee Shop, da er sich direkt gegenüber der Bank befand.
»Eine heiße Schokolade und eine Schokotasche, bitte« Sie legte den blassgrauen Geldschein mit dem abgebildeten Lincoln auf den Zahlteller und erhielt 63¢ Rückgeld. Die Tüte und den Pappbecher in der Hand drehte sie sich um und stieß fast mit einem jungen Mann zusammen.
»Entschuldigen Sie« Vor Schreck legte sie sich die Hand auf die linke Brust.
»Ne, ne«
Sie guckte fragend, Böses befürchtend.
»So läuft das nicht. Wenn du mich siezt, fühl ich mich wie ein knickriger alter Mann. Per Du, bitte«
»Okay ...«
»Adam. Aber noch lieber Ad«
»Alles klar, Ad« Sie nippte an ihrem Strohhalm.
»Also, was macht ein so junges Mädchen wie du es bist so früh hier, und das wochentags?«
»Die Frage geht direkt wieder an dich zurück« Ihre Aufmerksamkeit galt noch immer ihrem Heißgetränk.
»Wollen wir uns nicht erstmal setzen?«
Sie starrte direkt an ihm vorbei auf die Bank. Sie grinste breit, flitzte dorthin, schob den Schlafsack beiseite und bat ihn, Platz zu nehmen.
»Also irgendwie ... hab ich ein komisches Gefühl«
Ihm war der Schlafsack nicht entgangen.
»Was meinst du?«, fragte sie, obwohl sie es genau wusste.
»Du hast im Moment kein Dach überm Kopf?«
Sie tippelte mit dem Finger auf dem Pappbecher.
»Nein«, sagte sie und seufzte. Dann schaute sie ihm tief in die blaugrauen Augen. »Wieso?«
»Naja, also ...« Eingeschüchtert senkte er den Blick. »Ich weiß selber gut genug wie das ist«
»Huh?«
»Ich bin Straßenmusikant«
Er deutete auf die Gitarrentasche, die er dabei hatte. Sie war ihr gar nicht aufgefallen.
»Oh«, sagte sie leise und fing an, die Teigware zu essen.
»Ja. Naja, ich mache dir einen Vorschlag«
»Und der würde lauten ...?«, fragte sie mit vollem Mund.
»Wenn du möchtest, kannst du – wenn du zu Ende gefrühstückt hast – nachher mit zu einem Kumpel. Waschen, Zähne putzen, was dazu gehört!«
»Klingt gut«, meinte sie und begann, schneller zu essen.

Führend hielt er ihre Hand. Das erste Mal seit langer Zeit wieder fühlte sie sich sicher und geborgen.
»Du scheinst dich ja sehr gut hier auszukennen«, sagte er. Sein Sarkasmus war beißend.
»Hm, schon peinlich! Ich bin halt eher so ein Drinnenkind gewesen. Und von heute auf morgen bin ich ein Straßenkind, das ist schon was Anderes«
Die Großstadt schien in grauen Smok getaucht, man konnte den Dreck sogar ein bisschen schmecken. Autos stießen tosend ihre Abgase sowie hier und da ein Hupen aus.
»Hm« Ad blickte nachdenklich in den heute klaren Himmel hinaus. »Das war bei mir nicht anders«
»Warum tust du das?«, fragte sie.
»Warum tu ich was?«
»... das alles hier«
»Ich kann dir nicht ganz folgen«
»Naja, warum hast du mich aufgegabelt? Und warum gehen wir jetzt zu deinem Freund?«
»Das verstehst du nicht, oder?«
»Nein«
Er blieb stehen. »Hör mal, ich will das jetzt nicht hier vor all den Leuten ausdiskutieren. Stell mir die Frage zu einem günstigeren Zeitpunkt noch mal wieder, ja?«
»Tut mir Leid«
Sie schaute zur Seite und blickte auf viele, viele kleine Fabrikgebäude. Sie waren über die ganze Stadt verteilt.
Die Atwater Street, wo sie und Ad sich gerade befanden, lag am Ufer des Lake St. Clair. Und auf der anderen Seite des Ufers - dort war Kanada. Man konnte gar nicht richtig erkennen, dass es zwei verschiedene Länder waren.
Als Kind hatte sie immer davon geträumt, nach Kanada zu gehen. Die nächstgelegene Großstadt war Windsor, sie lag direkt gegenüber Detroit. Dort war es nicht sehr viel anders als hier, aber Jack Scott kam von dort. Ihre Mutter hatte seine Musik so gerne gehört. Und das hatte sich wahrscheinlich auf sie übertragen. Sie schwelgte gerne in den alten Zeiten. Zeiten der Sorglosigkeit.
»Nein«, sagte Ad und riss sie aus ihren Gedanken. »Mir tut es Leid. Ich sollte nicht immer so zickig sein«
»Ach was«, lachte sie. »Du solltest nicht so selbstkritisch sein«
Ihre Füße wurden immer träger.
»... ehm, sind wir dann jetzt bald da?«
»Ist nicht mehr weit«

Nach guten zehn Minuten Fußmarsch waren sie endlich am Ziel. Ad’s Freund wohnte in der Woodward Avenue, nahe des Hard Rock Cafes.
Das Haus war nur ein kleiner Teil des riesigen Blocks, wirkte fast eingequetscht. Wahrscheinlich lag das auch daran, dass es in einer völlig anderen Farbe angestrichen war; das knallige türkis stach im Vergleich zu dem blassgelb links und rechts daneben richtig heraus.
»Und du bist dir sicher, dass das kein Problem ist?«, fragte sie, als Ad bereits geklingelt hatte.
»Ach was, der ist echt stark, dem macht das schon nichts aus! Vertrau mir einfach«
»Nutzt du ihn nicht irgendwie aus?«
»Das hat nichts mit ausnutzen zu tun«, sagte er bestimmt. »Das ist Freundschaft«
Sie konnte nichts erwidern, ihr erschien ihre Frage im Nachhinein als unverschämt und sie bereute, sie gefragt zu haben.
Die Tür öffnete sich und ein fröhlich aussehender Mensch kam zum Vorschein. Es war ein junger Mann, um die zwanzig. Schwarze, kinnlange Haare und ein lässiger Dreitagebart. Seine Augen hatten die Farbe grüner Oliven und strahlten etwas aus, etwas, dass sie nicht definieren konnte.
»Mann, wo warst du denn die ganze Zeit?« Er und Adam machten einen High Five. »Ich dachte schon, ein großes Loch im Boden wäre aufgetaucht und hätte dich verschlungen. Oder so«
Ad kicherte. »Nein, das würde dir wohl so passen! Ich war nur viel unterwegs und ... ja! Ich hab Besuch mitgebracht«
Er legte ihr die Hand auf die Schulter, eine freundliche Geste. Seine Hand war groß und beschützerisch.
»Wer ist die Süße?«, fragte der Mann und musterte sie von Kopf bis Fuß. Schließlich blieb sein Blick auf ihrem Gesicht kleben.
»Ich habe sie auf der Straße gefunden«, meinte Ad und es klang so, als spräche er von einem Köter oder einer anderen Art von Tier.
»Aha, soso, ein Neuling! Willst du mir denn deinen Namen verraten, Schnucki?«
»Rory«
»Rooooory« Der Mann dehnte das Wort bis ins Unendliche. »Das zergeht einem richtig auf der Zunge. So wie Butter! Rory« Diesmal sprach er es kurz aus. »Freut mich sehr, ich bin Orlando«
Anstatt ihr die Hand zu reichen, schnalzte er mit der Zunge und zwinkerte ihr anschließend zu. Naja, so konnte man es natürlich auch machen. Vielleicht war das ja seine Art von »Aufnahmeritual«?
Rory war noch immer misstrauisch. Orlando schien nett zu sein, aber auf seine Art und Weise. Sie hatte keinen Schimmer, wie das Leben in diesem Milieu war, und es machte ihr irgendwie Angst. Aber so etwas Ähnliches würde auch ihr bevorstehen, wenn sie sich erst einmal endgültig dazu entschlossen hatte, dem trauten Heim fern zu bleiben.
Nachdem Ad’s Hand, die noch immer auf ihrer Schulter ruhte, sie langsam aber sicher immer mehr nach vorne schob, betrat sie von Hintergedanken geplagt die kleine Wohnung.
An dieser konnte man gut erkennen, dass Orlando nicht viel Geld besaß. Die graue Putztapete war an einigen Stellen heruntergerissen, es sah aus, als hätte ein Geist hier sein Unwesen getrieben. Der Fernseher lief auf voller Lautstärke und das Fenster war speerangelweit geöffnet. Dieses, sowie der muffige Geruch verrieten, dass vermutlich erst vorhin jemand an der Kippe gezogen hatte. Es war bei Weitem keine Wohlfühlstätte, aber Rory wollte sich hier ja nur ein wenig waschen. Für mehr war sie eigentlich gar nicht gekommen. Aber es war unausweichlich.
»Hey, wenn ich Besuch erwartet hätte, hätt’ ich Kuchen da. Ist zwar echt mies, aber ich kann euch höchstens einen Whisky anbieten« Orlando deutete auf die kleinen Gläser, die auf dem eichenen Couchtisch standen.
Besuch hatte er wirklich keinen erwartet, sonst hätte er wohl nicht nur bei der Konditorei angehalten, sondern sich auch etwas Anständiges angezogen, anstatt im Bademantel da zu stehen.
Er schlurfte mit seinen abgewetzten Hausschuhen über den roten Perserteppich mit aufwendigem Muster – das einzig ansehnliche, das die Wohnung zu bieten hatte – und ließ sich auf das ebenfalls abgewetzte Sofa fallen.
»Stört’s euch, wenn ich die Flimmerkiste laufen lasse?« Er griff zur Flasche. »Es kommt nur gleich ein Spiel der Lions. Das ist meine Lieblingsmannschaft, das verpasse ich wirklich ungern«
Rory las die Aufschrift des Flaschenetiketts. Glen Ord aus dem Jahre 1998. Nicht gerade billig für so einen Typen, wie Orlando es war. Sie war keine Expertin, aber - soweit sie wusste - waren die qualitativ schlechtesten dieser Sorte ab 69$ aufwärts erhältlich.
»Ist schon in Ordnung, Mann!« Ad starrte angestrengt auf die Flasche mit den abgerundeten Ecken.
»Vergiss es! Wie heißt es so schön, ladies first! Und wenn ich nicht wieder vollkommen neben der Spur bin, glaube ich, haben wir eine Lady in dieser Runde ...?«
»Orli du Gentleman!« Ad lachte.
»Zerreiß dir ja nicht dein hübsches Mäulchen, ja?« Orlando nahm das Glas, das für Rory bestimmt war, als diese sagte:
»Nein, danke, ich trinke keinen Alkohol«
Beide - Orlando sowie Ad - guckten etwas komisch drein. Wahrscheinlich waren sie mit der flüssigen Droge nur allzu gut vertraut, aber Rory wollte sich davon nicht beeindrucken lassen, zumindest vorerst nicht. Wer wusste schon, was die Zukunft noch alles bringen würde.
Letztendlich brach Orlando die Stille und ergriff das Wort.
»Ist das süß«, sagte er, sichtlich unbeeindruckt von Rorys kühler Antwort auf das gut gemeinte Angebot.
»Was soll daran süß sein?«, Rorys Stimme hob sich. »Das Einzige, was süß ist, ist mein Alter! Sweet 16, alles klar?«
»Ja, ja«, meinte Orlando, immer noch monoton. Und augenblicklich sank ihr Sympathiefaktor für ihn drastisch. »Brauchst ja nicht gleich aufmüpfig werden!«, schob er hinterher, diesmal mit gekonntem theatralischem Unterton.
»Aufmüpfig? Ich bin aufmüpfig?«
»Rory, ich bitte dich, ist gut jetzt!« Ad versuchte, sie zu beruhigen.
»Schon okay, Bruder« Orlando nahm es sehr gelassen. »Was ich dich fragen wollte ... weshalb hast du sie überhaupt mitgebracht? Nicht, dass mich ihre Anwesenheit stören würde« Er schien, weitere Streitigkeiten vermeiden zu wollen.
»Es interessiert mich nur«
»Naja, also, sie war völlig aufgewühlt, als ich sie angetroffen habe. Und das konnte ich nicht mit ansehen, ohne etwas zu unternehmen. Dann hab ich gleich an dich gedacht«
Orlandos Blick ruhte gespannt auf Ad’s Augenhöhe.
»Könnte sie sich vielleicht kurz waschen, die Zähne putzen, wenn das kein Problem darstellt?«
»Natürlich kann sie das« Er schien ihr bereits verziehen zu haben, oder er war einfach jemand, der gerne die Friedenspfeife rauchte. Rory wusste es nicht. Sie war ihm jedenfalls sehr dankbar.
»Danke«, sagte sie erleichtert. »Wo ist denn hier das Bad?«
»In den Flur und dann gleich das erste Zimmer links«
»Okay« Ohne weitere Umschweife stand sie auf.
»Oh là là, deine Schnecke hier hat aber Temperament«, sagte Orlando zu Ad, als er glaubte, dass Rory ihn nicht mehr hören konnte.
»Sie ist nicht meine Schnecke«, erwiderte Ad.
»Wie? Nicht? Was hast du, das Mädel ist Zucker!«
»Orli, ich kenne sie erst seit ein paar Minuten, da kann ich sie nicht mal eben als meine Schnecke bezeichnen«
Rory lauschte auf und versteckte ihr Gesicht hinter dem Wandvorsprung am Anfang des Flures. Sie war zögernd Richtung Badezimmer gegangen, weshalb sie noch immer nicht dort war. Doch die anderen zwei bemerkten sie nicht.
»Meinst du?« Orlando kippte sein Glas hinunter.
»Ja. Du würdest das vielleicht, aber ich bin da anders«
»Weswegen hast du sie dann hierher gebracht?«
Genau das fragte sie sich auch die ganze Zeit.
»Genau das hat sie mich auch gefragt«, sagte Ad aufgebracht. Er konnte es wohl nicht fassen, dass keiner ihn zu verstehen schien.
»Und? Warum?«
Ad stand auf, das volle Glas noch immer bis zum Rand gefüllt, noch immer unberührt.
Mit den geschmeidigen Bewegungen einer Katze huschte Rory in das erste Zimmer links, so lautlos wie nur möglich. Genauso flink, aber ebenso lautlos schloss sie die Tür hinter sich.
Das Bad war mindestens genauso schäbig.
Die Wand war nur bis zur Hälfte hin mit grünblauen Fliesen bedeckt. Die andere Hälfte – wie im Wohnzimmer mit Putz, aber in weiß. Das abgewrackte Waschbecken – falls es dieser Bezeichnung würdig war - hatte keinen Fuß, auf dem es stand, sondern hing frei in der Luft. Der Wasserhahn war völlig verkalkt.
Bei diesem Anblick kriegte Rory das Gruseln und fragte sich, ob es anderswo doch nicht hygienischer wäre. Bei McDonald’s vielleicht, wo afrikanische Klofrauen für Sauberkeit sorgten? Oder in der U-Bahn Station! Wenn es dort so schick aussah, konnte die Toilette keine Müllhalde sein.
Sie hörte, wie Ad’s Schritte immer näher kamen. Und dann klopfte er an die Tür.
»Rory? Rory, lass uns gehen!«
Einen Augenblick blieb sie stehen, mitten im Bad. Dann öffnete sie.
»Gehen? Wieso?«
Sie stützte ihren Unterarm gegen den Türbogen. Die vier langen Jahre in der Theater-AG zahlten sich nun aus, denn ihr fiel es nicht schwer, so zu tun, als wolle sie nicht. In Wirklichkeit aber war sie froh darüber, dass er das gerade gesagt hatte.
»Ja, gehen. Weil ich hier nicht länger bleiben will«
Geht mir genauso, dachte sie sich.
Ad’s Gesichtsausdruck war ungewohnt streng, doch seine zauberhaften Augen ließen sie nur so dahinschmelzen. Er runzelte die Stirn so sehr, dass seine Augenbrauen darüber aussahen wie zwei dicke Gewitterwolken. Er wartete auf eine Antwort, eine Reaktion.
»Wenn du das so willst ...«, schauspielerte sie also weiter. »Alleine hier zu bleiben ohne dich wäre auch blöd. Schließlich ist das dein Kumpel.«
»Ja, mein Kumpel«, wiederholte er geistesabwesend.
Sie stellte sich ganz dicht neben ihn. Vielleicht müffelte sie ja, er roch jedenfalls unglaublich gut, so wie ein Blumenbeet. Es war kaum zu fassen.
»Orli, wir gehen«, sagte er felsenfest überzeugt.
»Ist recht«, antwortete dieser ganz gleichgültig und kippte nun auch Ad’s Glas hinunter. »Niemand zwingt euch dazu hier zu bleiben, Darlings« Er würdigte die beiden keines Blickes.
»Du hast Recht« Ad machte eine noch finsterere Mine und kniff seine Augen zusammen, als stünde er in der prallen Sonne. »Und es war auch eine dumme Idee, überhaupt erst hierher zu kommen. Tut mir echt Leid für die Störung. Schönes Saufen noch«
Und wieder nahm er Rory an der Hand, doch diesmal zog er sie förmlich hinter sich her und schmiss die Tür zu.
»Danke«, hörten sie Orlando noch sagen, als sie schon längst draußen waren.

»Warum diese Show auf einmal?« Rory wusste nicht, dass sie den Grund mitgehört hatte.
»Er hat mir auch diese unangenehme Frage gestellt«
»Welche unangenehme Frage?«
»Ich werde nicht gerne nach der unangenehmen Frage gefragt« Untypisch für ihn schaute er ihr nicht in die Augen, sondern starrte bedrückt zu Boden. Als ihm ein Stein in den Weg kam, kickte er ihn weg, sie liefen weiter und er kickte ihn erneut weg, immer und immer wieder. Als würde er irgendein Problem aus dem Weg schaffen wollen.
»Diese Frage scheint dir ja wirklich unangenehm zu sein. Und du willst mir nicht erzählen, was für eine Frage das ist und warum du sie nicht gerne gestellt bekommst?«
»Vorerst nicht. Vielleicht irgendwann«
»Und wie bald ist irgendwann?«
»Irgendwann ist, nachdem du aufgehört hast, mir Löcher in den Bauch zu fragen«
»Zicke«, sagte Rory triezend.
»Ich bin keine Zicke!«, keifte Ad.
»Wenn du dich dagegen wehrst, heißt das, du bist eine«
»Ich bin keine Zicke«, meinte er weiterhin. »Wenn schon, dann ein Zicko.«
»Ein Zicko? Was soll denn das schon wieder sein?«
»Eine männliche Zicke!«
»Ts«
»Was immer du auch tust, entzieh einem Adam niemals seine Männlichkeit«
Sie liefen vorbei an der Ambassador Bridge. Ihr kam der Weg irgendwie bekannt vor.
»Sag mal, wohin gehen wir denn jetzt?«
»Rate« Er lächelte sie an.
»McDonald’s?«
Er lachte. »McDonald’s? Bist du etwa hungrig? Du hast doch erst vorhin gegessen«
»Nein, nein« Sie schüttelte den Kopf. »Vergiss was ich gesagt habe«
»Ich habe gestern einen Haufen Geld eingespielt, wenn du Kohldampf hast, ist das kein Problem!«
»Ad, ich bin nicht hungrig!«
»Bist du sicher? Du verwirrst mich«
»Das hat mir schon mal jemand gesagt« Sie spielte mit ihren Haaren herum. »Findest du wirklich?«
»Ja«
»Du! Du willst mich jetzt provozieren, oder? Deine Rache, weil ich dich eine Zicke genannt hab«
»Du hältst mich für böse, stimmt’s?«
»Nein, ich ...«
»Komm mit«
Er zog die Hände aus den Hosentaschen, die dort lange verwahrt geblieben waren, und nahm sie an ihrer Hand. Schon wieder.
»Was hast du vor?«
»Ich will die Überraschung bewahren«, meinte Ad. »Deswegen sage ich jetzt erst mal gar nichts«
»Uh, ich steh auf Überraschungen«, sagte sie. Doch er bemerkte den ironischen Unterton in ihrer Stimme nicht.
»Fehlt jetzt nur noch, dass du mir die Augen verbindest«
»Eine guuute Idee!«
Bevor sie etwas einwenden konnte, hatte er sich schon seinen Schal vom Hals genommen und ihr um den Kopf gebunden.
»Na, ich dachte schon er wäre zu kurz, aber das passt ja«, sagte er, stolz über sein Werk.
»Was wird das, eine Entführung?«
»Ich bin nicht so böse, wie du von mir denkst«
»Ach?«
Und das zweite Mal an diesem Tag sagte er: »Vertrau mir einfach«. Aber wie bitteschön konnte sie jemandem vertrauen, den sie heute Morgen erst getroffen hatte?
Er führte sie wie eine Blinde, zuerst ewig geradeaus, dann zweimal um die Ecke.
»Ad, das ist langsam nicht mehr so lustig«
»Hast du es anfangs lustig gefunden?«, fragte er.
»Nein, aber du höchstwahrscheinlich«
Er lachte in sich hinein. Es klang hinterhältig, aber es war nur spaßhaft. »Da könntest du Recht haben«, gestand er.
»Du bist böse«
»Bin ich nicht!«
»... und eine Zicke«
»Zicko!«, wand er ein.

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