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Dieses Thema hat 0 Antworten
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gollumanta Offline




Beiträge: 163

11.12.2012 21:38
RE: Im Zug Antworten

IM ZUG

Die meisten Gefängnisse baut man sich selbst. Sei es ein Gedanke, ein Wort ein Versprechen oder einfach der Wunsch danach, etwas zu sein, das man nicht ist.
Ich sitze im Zug, starre durch die Scheibe in die Dunkelheit. Weil ich sowieso nichts sehen kann, gehe ich dazu über mein Gesicht zu betrachten. Bin ich schön? Vielleicht. Wer weiß das schon. Ich nicht.
Was oder wen bedarf es darüber zu bestimmen? Wer weiß das schon – und wer entscheidet über den, der entscheidet? Dunkle Augen starren mich an. Sie wirken fremd und vertraut zugleich. Wer bist du? Stumm forme ich die Worte mit den Lippen, bedacht darauf, dass kein Laut entwischt.
Meine Augen sehen durch mich hindurch in die Dunkelheit draußen. Nichts. Trostloses Nichts.
Rückkehr zum fremden Spiegelbild. Jemand betritt das Abteil und lässt sich auf der anderen Seite des Ganges nieder. Um mich nicht umdrehen zu müssen, betrachte ich nun seine Spiegelung in der Scheibe.
Er sieht einen Moment lang zu mir herüber und widmet sich dann seiner störend laut raschelnden Zeitung. Hat er gemerkt, dass ich ihn ansehe? Auf Zugfahrten scheint es zum guten Ton zu gehören, sich möglichst gut gegenseitig zu ignorieren. Wenigstens so zu tun, als sei einem alles um einen herum gleichgültig. Zumindest wenn man alleine reist.
Horden haben es an sich genau das Gegenteil zu praktizieren. Grelles schrilles unerträgliches Gelächter, Gekicher, Getuschel. Reden sie über mich? Wer weiß das schon?
Der Zug hält erneut, ein Mann steigt ein und setzt sich neben mich. Die ungewollte Nähe bringt mich sofort dazu mich kleiner zu machen. Ich ziehe die Beine eng an den Körper, presse meine Tasche gegen meine Brust und versuche möglichst lange die Luft anzuhalten. Plötzlich steht der Mann auf, nimmt seine Tasche und setzt sich auf die andere Seite des Ganges zu dem Mann. Ich beobachte ihn durch die Scheibe. Warum hat er das getan? Bin ich ihm unangenehm? Bin ich hässlich? Rieche ich komisch? Vorsichtig schnüffele ich an meinem Haar. Nein, ich stinke nicht.

Warum hat er sich dann fortgesetzt? Nicht, dass ich möchte, dass er sich wieder zu mir setzt, ich bin froh über den Platz und dass ich endlich wieder frei atmen kann. Und doch... Irgendwas muss ja mit mir nicht stimmen, dass er lieber bei dem Mann mit der lauten Zeitung sitzen wollte.

Wenn man eine richtige Entscheidung aus den falschen Gründen trifft, kann eine richtige Entscheidung auch eine falsche sein.
-Captain Jack Sparrow-:D

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