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  • Thema von funky457 im Forum Texte aller Art, Gedic...

    Hallo Ihr,

    ich schreibe ein Buch über ein psychologisches Thema. Die Zwangsstörung.
    Es wäre sehr nett wenn ihr meinen Prolog lesen würdet und mir ein Feedback dazu gebt. Am besten eine Schulnote.



    »anders«

    Prolog

    Es ist wohl einer der schönsten Anblicke, die es gibt – Kinder zu sehen, die vertieft spielen, als wäre es das Wichtigste der Welt.
    Sie haben keine Sorgen, keine Probleme und keine Ahnung davon, was in der weiten Welt Grausames vor sich geht. Sie kennen nur die liebevolle Zuneigung ihrer Eltern.

    1989

    Es waren erstaunlich wenige Kinder auf dem Kindergartenspielplatz, obwohl es der erste, sommerliche Tag im Jahr war.
    Für die Kleinen war es eine große Freude, nach der langen Winter-pause endlich wieder rutschen und schaukeln zu können. Manche warfen sich auch nur einen kleinen Ball hin und her.
    Es war angenehm warm. Sogar die Vögel trällerten in den großen Eichenbäumen ihre Lieder. Die Erzieherin saß auf einer Holzbank an einem Tisch, neben der Rutsche.
    Ihren Kopf hatte sie auf ihrem linken Arm abgestützt und leicht zur Seite geneigt – sie wirkte müde und erschöpft. Die Finger ihrer rech-ten Hand trommelten nervös über das Hochglanzcover eines Maga-zins, auf dessen mit rot leuchtenden Buchstaben das Wort "Betro-gen" als Titel prangte.
    Ihre hellen Augen hinter der braunen Hornbrille zogen sich zusam-men und wanderten gierig von einer Zeile zur nächsten.
    Ihre lockigen, roten Haare waren mit einer Haarklammer hochge-steckt. Sie trug ein meerblaues Satinsommerkleid. Manchmal linste sie über den Rahmen ihrer Brille, um nach den Kindern zu schauen. Dabei kamen ihre geschwollenen, rötlichen Augen zum Vorschein.
    Die Kinder durften sie »Sprossa« nennen, da ihr Gesicht etliche Sommersprossen zierten.
    Sprossa legte nach wenigen Minuten das Magazin zur Seite, wischte sich eine kleine, gläserne Träne von der Wange und stand auf.
    »Kommt mal bitte alle zu mir.« Ihre Stimme klang leise und kränk-lich, doch die Kinder hatten sie verstanden, denn sie rannten ihr alle entgegen.
    »Lasst uns ein paar Gymnastikübungen machen.«
    Sprossa räusperte sich und faltete ihre Hände. Ihre Mundwinkel waren vollkommen starr und ihre eigentlich schönen, hellblauen Augen wirkten leer und unscheinbar.
    Sie biss sich auf die Unterlippe – so sehr, dass diese ein wenig blute-te.
    Sprossa erklärte den Kindern, dass sie sich im Kreis drehen sollen und wenn ihnen schwindelig wurde, dürfen sie sich auf den Boden setzen.
    Die Erzieherin stand nur da und starrte den Boden an, während die Kleinen sich im Kreis drehten. Es war Sprossas Erziehungsmaß-nahme, den Kindern etwas zu erklären und sie dann allein auspro-bieren zu lassen, damit sie lernten selbstständiger zu werden.
    Nach und nach setzte sich die Hälfte der Kinder auf den Bo-den.
    »Gut gemacht. Nun streckt eure Hände in den Himmel.« Sprossa versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nicht. Es war so, als wären ihre Lachmuskeln eingefroren.
    Die Kinder streckten ihre Hände nach oben, alle, bis auf ein kleines Mädchen, das sich weiterhin im Kreis drehte.
    Das Mädchen war gerade mal ein Meter groß, es hatte kleine, blonde Löckchen, blaue Augen und strahlte im ganzen Gesicht, während es sich um seine eigene Achse drehte. Es trug ein rubinrotes Kleid, mit weißen Punkten und schwarze Sandalen.
    »Süße, wir sind längst bei der nächsten Übung.«, sagte Sprossa und ging auf das Mädchen zu.
    Doch das Kind hörte nicht auf sich zu drehen, sodass Sprossa es am Arm festhalten musste.
    »Wird dir denn nicht schwindelig?«, fragte die Erzieherin.
    Die anderen Kinder lachten und zeigten auf das sonderbare Kind.
    Das Mädchen strahlte immer noch und schüttelte nur den Kopf.
    »Ich muss mich doch wieder zurückdrehen, sonst gehe ich falsch rum durch die Welt...«
    An diesem Tag wurde Sprossa klar, das das kleine Mädchen anders war, anders als die anderen Kinder. Doch sie wusste auch, dass sie nie mehr dazukommen würde, dem Mädchen das irgendwann einmal zu sagen.

    [ Editiert von funky457 am 11.12.08 9:30 ]

    [ Editiert von funky457 am 11.12.08 9:30 ]

  • Thema von funky457 im Forum Texte aller Art, Gedic...

    Kapitel 1

    2003

    Der Gong schallte durch das gesamte Schulgebäude. Es verging nicht einmal eine Sekunde, als die Türen der Klassenzimmer auf-sprangen.
    Die Schüler stürmten heraus, wie in einem Kampf, wie angreifende Krieger, die sich in die Freiheit kämpften. Es war Pause.
    Die jüngeren Schüler setzten sich an die Metalltische und spielten Mau Mau, andere stellten sich am Kiosk an oder setzten sich in die Wiese, doch Marina und Jasmin standen wie immer unter ihrem Lieblingsbaum, einer alten Eiche und tuschelten über jeden, der an ihnen vorbei ging.
    Marina und Jasmin waren unzertrennlich, wie siamesische Zwillinge, sie waren beste Freundinnen. Sie selbst gaben sich den Namen »Princess Zwillinge«. Sie waren in der Abschlussklasse und zählten zu den beliebtesten Mädchen der Realschule - jedenfalls bei den Jun-gen.
    Jasmin hatte lange, gelockte, helle Haare, sie war groß, superschlank und trug einen Jeansminirock, einen gelben Pullover und hohe, schwarze Lackstiefel.
    Ihre Freundin hatte strohblonde Haare, war sehr dünn und trug fast das gleiche wie Jasmin, nur die Farbe ihres Pullovers war orange.
    Beide Mädchen stammten aus reichen Familien. Ihre Väter arbeite-ten bei der Immobilienfirma »Korido«, die als erfolgreichste Firma Münchens galt.
    »Hässlich.«, sagte Marina zu einem kleinen, schwarzhaarigen Mäd-chen, das mit ihrem Pausenbrot in den Händen, an den beiden vor-bei tappte.
    Die beiden standen mit verschränkten Armen und nach oben ge-streckten Hälsen da.
    Doch niemand wurde von den zweien so sehr schikaniert, wie ein bestimmtes Mädchen.
    Es galt als das seltsamste Mädchen der Schule. Es saß auf einer Holzbank, welche weit entfernt von den anderen Schülern war. Es war vollkommen schwarz gekleidet, trug Nietenarmbänder und hatte mittelblondes, gelocktes Haar, wodurch seine Haut sehr blass wirkte.
    Die Schülerin saß nur da, beide Hände von sich gestreckt, ihre Au-gen waren geschlossen und schwarze Kopfhörer ragten aus ihren Ohren.
    Dieses Mädchen war ich, Noelle.

    Marina und Jasmin stolzierten auf mich zu, wie die Diven höchst-persönlich. Die beiden waren in meiner Parallelklasse. Ich wollte nicht, dass sie mich belästigen, nicht an diesem Tag. Es war der letz-te Schultag vor den Sommerferien und der Todestag meines Vaters.
    Ohne lange nachzudenken griff ich nach meiner Umhängeta-sche, neben dem Hagebuttebusch, der mir etwas mysteriös vorkam, da dieser immer wieder seltsame Geräusche von sich gab.
    Ich rannte vom Schulgebäude.
    »Vogelscheuche, bleib doch da!«, schrie mir Marina hinterher.
    »Bleib’ da oder du wirst es bereuen! Das weißt du ganz genau!« Jas-mins Stimme klang hasserfüllt, obwohl ich ihr noch nie etwas getan hatte.
    Ich sprintete die Schillerstraße hinauf, wie ein Marathonläufer, wäh-rend mir schreckliche Bilder durch den Kopf schossen.
    Bilder vor einem halben Jahr, am 12 Januar.
    Ich schloss mich wie jeden Tag in der Damentoilette ein. Ich wollte nicht wieder allein in der Pause sein, nicht allein auf meiner Bank sitzen und den anderen zuschauen, wie viel Spaß sie hatten. Ich wollte nicht von Jasmin und Marina blöd angegafft werden. A-ber ich war eben der Außenseiter und musste damit klar kommen. Doch an diesem damaligen Tag hatte sich mein ganzes Leben kom-plett zum Schrecklichen gewendet. An diesem Tag wurde mir meine vollkommene Lebensfreude genommen, jedenfalls das bisschen, das noch davon übrig war.
    Ich lehnte mich an die Klotür, der mittleren Kabine. Mir war es egal, dass es nicht der geeignete Ort war, um sich vor der Einsamkeit zu verstecken. Mir war es gleichgültig, als nach und nach ein paar Mäd-chen genervt gegen die Tür klopften und fragten, ob ich denn ins Klo gefallen wäre und es interessierte mich nicht die Bohne, als Jas-min und Marina in die Toilette kamen und ständig meinen Namen riefen, den sie nicht einmal richtig aussprachen. Sie nannten mich so, wie man meinen Namen schreibt. N-O-E-L-L-E. Ich stand nur da, meine Hände waren zu Fäusten geballt und ich kämpfte verzweifelt gegen meine Tränen an.
    Die beiden hörten nicht auf mich zu rufen. Sie fingen an gegen die Klotür zu klopfen.
    »NOELLE, mach doch auf…«, brüllte Marina und lachte kurz auf.
    »NOELLE, wir haben etwas für dich!«, sagte Jasmin laut und häm-merte gegen die Tür. Ich hielt mir mit meinen Händen meine Ohren zu. Ich wollte die beiden nicht mehr hören. Ich wollte auch nichts von ihnen bekommen, da es eh etwas war, um mich zu demütigen. Ich hatte keine Angst vor ihnen, aber es war mir unangenehm und es nervte, dass sie es immer wieder auf mich abgesehen hatten.
    »Mach doch kurz auf.«, murmelte Jasmin. Sie versuchte freundlich zu klingen, aber es hörte sich total aufgesetzt an.
    Die beiden kicherten, während sie immer weiter gegen die Tür trommelten.
    »Lasst sie doch in Ruhe.«, sagte ein Mädchen, mit einer sanften Stimme, das in die Toilette kam. Es beruhigte mich einen kurzen Augenblick, dass jemand anderes da war, aber die beiden hörten immer noch nicht auf. Sie ignorierten das Mädchen und redeten weiter auf mich ein.
    Es vergingen weitere Minuten, es hatte sogar geläutet, aber die beiden ließen mich nicht in Ruhe.
    Ich umklammerte den Türgriff so fest, dass er sich in mein Fleisch bohrte. Meine Hände zitterten. Ich verlor langsam die Geduld.
    »Ja, bitte mach die Tür auf.«, flüsterte Marina.
    »Was wollt ihr?« Meine Stimme hörte sich genau so an, wie meine Laune in diesem Moment war - völlig genervt.
    Ich drehte mit meiner linken Hand vorsichtig das Türschloss auf.
    Plötzlich haute es mich mit einer solchen Wucht nach hinten, dass ich mich an den Kabinenwänden abstützen musste, um nicht auf die Toilettenschüssel zu knallen.
    »Was zum…?«, murmelte ich und versuchte mein Gleichgewicht wieder zu finden.
    »Na endlich.«, sagte Jasmin, die mit ihrem solarienbraunen Gesicht direkt vor mir stand. Ihre Augen glitzerten und ihre Mundwinkel formten ein merkwürdiges Lächeln. Es war ein Lächeln wie von einem Hilfe abweisenden Pädophilien, der ein Kind beim Spielen beobachtete oder von einem Alkoholkranken, der in seiner gesamten Wohnung nach etwas Trinkbaren suchte und in der letzten Ecke eine Flasche Wein gefunden hatte.
    »Was willst du von mir?« Ich hatte ein komisches Gefühl. Es musste einen bösen Grund geben, weshalb die beiden nicht locker ließen und Jasmin sogar mit voller Kraft in meine Kabine gestürmt kam.
    »Wir haben eine Überraschung für dich!« Jasmin strahlte im ganzen Gesicht, sodass es mir eiskalt den Rücken hinunter lief.
    Danach ging alles sehr schnell. Jasmin pfiff durch ihre Finger nach zwei jungen Männern, die mit breitem Grinsen hinter ihr auf-tauchten. Ich kannte diese beiden nicht. Ich schätzte sie auf 25 Jahre. Sie sahen anders aus, als der Durchschnittsmann. Sie waren groß, sehr muskulös gebaut, hatten einen südländischen Teint und ihre Gesichter waren vernarbt. Was hatten Jasmin und Marina mit mir vor?
    »Viel Spaß mit ihr!« Jasmins dominante Worte hallten in meinem Kopf. Ich konnte nicht fassen was sie gesagt hatte. Ich starrte ab-wechselnd Jasmin und die beiden Männer an. Jasmins Augen waren zu Schlitzen geformt. Sie musste einen unglaublichen Hass auf mich gehabt haben. Aber ich konnte mir nicht erklären weshalb. Ich stand wie angewurzelt da. Meine Hände waren schweißnass, meine Kehle schnürte sich immer weiter zu. Ich wollte schreien, aber ich hatte in diesem Moment meine Stimme verloren.
    »Lass uns gehen.«, hörte ich Marina zu Jasmin sagen.
    Die beiden ließen mich mit den Männern allein.
    Mein Herz fing heftig an zu rasen, mein Blut schoss in meinen Kopf und zugleich zitterte ich am ganzen Körper. Ich hatte Angst. Ich versuchte ruhig zu bleiben und nahm mir vor, einfach an den beiden vorbei zu gehen und dann die Damentoilette zu verlassen. Die bei-den standen nebeneinander vor meiner Kabinentür und gafften mich an. Ich stützte mich immer noch an der Wand ab. Ich konnte nicht an den beiden vorbei gehen, denn ich schaffte es nicht mich zu be-wegen. Jeder kleine Schritt von mir könnte ein großer Fehler sein.
    »Was wollt ihr?«, sagte ich. Ich bemühte mich darum, meine Person stark und ernst herüber kommen zu lassen und meine Furcht zu verstecken.
    »Dich Kleines!«, sagte derjenige, auf der rechten Seite.
    Er trat einen Schritt auf mich zu, sodass er in meiner Kabine stand.
    »Ich bin Paolo.«
    »Verschwinde!«, brüllte ich und stolperte ein wenig zurück.
    Ich nahm all meinen Mut zusammen und drückte mich an ihm vor-bei.
    Doch ich konnte nicht weitergehen - er hielt mich an meinem linken Oberarm fest.
    »Gio, blockier’ die Tür!«, brüllte er seinem Kumpel zu.
    Ich versuchte mich los zu reißen, aber es gelang mir nicht. Paolo hielt mich so sehr fest, dass mein ganzer Arm schmerzte. Er kam näher, sodass mir sein Vanillegeruch in die Nase stieg.
    »Du willst es doch auch!«, sagte er zu mir. Seine schwarzen, gierigen Augen klebten an meinem gesamten Körper. Es war der pure Ekel, der sich in mir breit machte.
    Ich schlug mit meinem freien Arm wild auf seine Schulter ein, aber das einzige was ich damit erreichte, war sein Lachen. Er lachte nicht nur gehässig, sondern verschluckte sich fast an seinem Glucksen. Es war mir so unheimlich, dass mir fast die Tränen kamen. Gio, wie er ihn nannte, stand vor der Tür und starrte mich nur an. Er hatte we-der einen gierigen Blick, noch fand er es lustig.
    »Hilf mir doch bitte!«, flehte ich ihn an, in der Hoffnung er würde es tun. Doch er zuckte mit keiner einzigen Mine.
    Ich wusste nicht warum, aber ich war mir trotzdem sicher, dass er mir nie etwas antun könnte und das beruhigte mich ungemein.
    Jedoch war Paolo, alles zuzutrauen.
    Er stand nun hinter mir und hielt mit seinem starken, rechten Arm meine beiden Arme fest. Er war mir so nah, dass ich seinen Atem spüren konnte, worauf sich meine Nackenhaare sträubten.
    Mit seiner linken Hand fasste er mir an meine Hüfte und streichelte sie.
    Mein Puls pochte in meiner Kehle.
    »Hör auf damit!«, schrie ich.
    »Arhhhh.«, stöhnte er. Es war so widerlich.
    Ich bewirkte mit meinen Worten jedoch das Gegenteil.
    Während er mich weiterhin festhielt, wanderten seine Finger an meinen Po. Ich wollte dass er aufhört, aber ich stand nur wie ver-steinert da, als er mich mit seinen widerlichen Fingern begrapschte.
    »Willst du auch mal?«, rief er Gio entgegen. Dessen Gesichtszüge hatten sich etwas verändert. Er wirkte ängstlich und schüttelte den Kopf. Paolo hielt inne – aber nur für einen kleinen Moment.
    Seine linke Hand bewegte sich, über meinen Bauch und umfasste meine Brüste.
    »Hör a..!« Meine Stimme ging in ein Schluchzen über. Ich war völlig verzweifelt. Ich wollte das nicht.
    Durch meine wässrigen Augen, sah ich einen Moment lang in die Augen seines Kumpels. Diese waren gläsern und sein Gesichtsaus-druck entsetzt.
    Paolo fasste unter meinen Pullover, unter meinen BH und rieb mei-ne Brüste, während ich sein steifes Glied an meinem Hintern spürte.
    Mir war kotzübel.
    Ich schämte mich so sehr.
    Seine Hand glitt weg von meinen Brüsten, wieder über meinen Bauch. Und dann – dann fasste er mir zwischen die Beine.
    Es war wie in einem Alptraum, aus diesem ich verzweifelt versuchte aufzuwachen.
    Als ich hörte, wie er mit seinen Fingern, den Knopf seiner Hose öffnete, schaffte ich es mich loszureißen. Es war als hätte ich plötz-lich übernatürliche Kräfte bekommen.
    Ich rannte an Gio vorbei, öffnete die Tür und musste mich auf dem Schulhof übergeben.
    Ich wurde jeden Tag von diesen grausamen Erinnerungen verfolgt, jeden verdammten Moment. Seit diesem Tag war ich nie mehr auf dieser Damentoilette. Ich wollte dass diese Narben auf meiner Seele endlich heilen und diese Prägungen in meinem Kopf endlich nachließen, aber das taten sie nicht. Ich wollte nicht schon wieder deshalb weinen, mich nicht wieder deswegen in den Schlaf heulen. Es musste ein Ende nehmen! Aber wie um alles in der Welt, ohne das ich aus dem Leben verschwinden muss?
    Es fing an zu nieseln. Doch ich liebte den Regen, denn er widerspiegelte meine Seele.
    Es dauerte nicht lange, da war ich an meinem Lieblings-Ort. An diesem Ort wurde ich nicht schikaniert, nicht gedemütigt oder abgestoßen. Dort lachte niemand über mich. Dort konnte ich über all meine Probleme reden. Dort hörte mir jeder zu. Es war der ru-higste Ort der Welt. Es war der Ort, an dem ich mich am Wohlsten fühlte.
    Ich öffnete vorsichtig das geschlängelte Gittertor und trat ein.
    Mittlerweile regnete es so stark, dass meine Haut aufgeweicht war, aber das war mir egal. Ich tappte langsam über die kleinen Wege, bis hin zu der Stelle, an der ich fast jeden Nachmittag verbrachte. Am Grab meines Vaters.
    Es bestand aus einem Herz, aus weißem Marmorstein, auf dieses in einer Silberfarbe Matthias Pfau, 25.07.2002 eingraviert war.
    Ich nahm das Feuerzeug hinter dem Grabstein und zündete die Grabkerze an. Das Licht erhellte das gesamte Grab und besonders den frischen Strauß roter Rosen von meiner Mutter und einen Teddy aus braunem Granit von mir.
    Ich setzte mich vor das Grab, auf den nassen Boden.
    Der Regen ließ langsam nach und hinterließ einen dunklen Himmel, der das ganze Panorama in ein wunderschönes Bild tauch-te.
    »Papa«. Ich atmete tief durch.
    »Ich weiß, dass ich dich das jedes Mal frage.« Ich schloss meine Au-gen und sah meinen Vater vor mir, neben seinem Grabstein, stehen.
    Er stand da, mit seinem blonden Lockenkopf, seiner Doktorbrille und seinem roten Lieblingshemd und lächelte mich an – wie jedes mal wenn ich ihn besuchte.
    »Warum um alles in der Welt hast du mich im Stich gelassen?«.
    Mir kullerte eine Träne über die Wange.
    »Mama lässt mich auch im Stich!«, brüllte ich. Das wusste mein Va-ter noch nicht. Ich wollte ihm das eigentlich auch nicht sagen, da ich ihn nicht beunruhigen wollte, aber ich konnte in diesem Moment und vor allem an diesem Tag nicht anders. Mein Vater wusste alles, selbst das von der Misshandlung hatte ich ihm erzählt.
    Er antwortete nicht. Das tat er nie. Das einzige was passierte, war das sein Lächeln in seinem Gesicht verschwand, wenn ich ihm etwas Belastendes erzählte.
    Ich spürte einen kurzen, heftigen Stoß in meiner Magenge-gend.
    Das Bild von meinem Vater verschwamm und hinterließ an der Stel-le, wo er stand nur einen Grabstein, um den ein wenig Gras wuchs.
    Bis zu diesem Moment dachte ich, ich wäre die einzige Lebende auf dem Friedhof, aber dann bemerkte ich eine ältere Frau, die selbst an einem Grab stand.
    Die Frau trug einen gelben Regenmantel mit Kapuze, sie schaute in meine Richtung - ihr Lächeln war nicht zu übersehen. Ich drehte mich um, in der Hoffnung, hinter mir würde noch jemand stehen. Aber da war niemand, außer diesen etlichen Grabsteinen. Diese Frau lächelte mich an. Es war zu meiner Überraschung kein gehässiges Lächeln, sondern eher ein Liebevolles.
    Trotzdem versuchte ich sie nicht weiter zu beachten und widmete mich wieder dem Grab meines Vaters zu. Ich zupfte die Rosen zu Recht, damit sie synchron aussahen. Aber ich konnte nicht anders als die Frau im Augenwinkel zu beobachten. Sie stand da und beo-bachtete mich. Was wollte sie von mir? Ich kannte sie nicht.
    Ich dachte erst, ich würde mir das alles einbilden, doch dann fing sie an mir zuzuwinken. Ich drehte mich noch einmal um, aber war mir danach sicher, dass sie nur mich meinen konnte.
    Es dauerte einen Moment, bis ich den Entschluss fasste – mich auf-zurichten.
    Ich schritt langsam auf diese Frau zu, ohne sie aus den Augen zu lassen.
    »Hallo Noelle.« Mein Herz sprang aus meiner Brust. Die alte Frau lächelte noch mehr. Ich war nur noch wenige Schritte von ihr entfernt.
    »Woher kennst du meinen Namen?«, fragte ich perplex.
    »Ich kenne dich schon sehr lange, aber es ist schön dich endlich mal persönlich kennen zu lernen.«
    Was meinte sie? Ich kam mir vor wie im falschen Film. Bevor ich antworten konnte räusperte sie sich.
    »Ich habe etwas für dich.« Sie kramte in ihrem Regenmantel nach einem Stück Papier.
    Ich stand ihr direkt gegenüber, nur der dunkelblaue Grabstein war zwischen uns.
    Sie nahm ihre Brille ab und streckte mir den Briefumschlag entge-gen. Ihre himmelblauen Augen funkelten und ihre viele Falten war-fen dunkle Schatten auf ihr altes Gesicht.
    »Ich kenne Sie nicht.«, sagte ich und weigerte mich diesen Briefum-schlag anzunehmen. Es könnte wieder irgendetwas sein, was mich verletzen würde.
    »Nimm diesen Brief, Noelle. Es wird alles gut.«, sagte sie und klang dabei sehr ernst.
    Die Frau legte den Brief auf den Grabstein, da ich nicht den An-schein machte ihn zu nehmen und drehte sich um. Sie wollte einfach gehen und mich in meiner Ungewissheit allein lassen.
    »Warte doch!«, brüllte ich ihr hinterher, doch die Frau beachtete mich nicht weiter, sie verschwand hinter der Leichenhalle.
    Ich stand mehrere Minuten nur da und starrte den weißen Briefum-schlag an. Auf diesem in einer Krakelschrift der Namen Noelle ge-schrieben stand.
    Ich nahm den Briefumschlag an mich und riss ihn auf.

    Hallo Noelle,
    komm am 25.07. um 20:00 Uhr in den Englischen Garten, an den Meisen-baum. Dort wird sich dein Leben verändern.

    Was hatte das zu bedeuten? Ich war durcheinander, neugierig und erstaunt zugleich. Es war total mysteriös.
    Ich steckte den Brief in meinen Mantel und ging um das Grab.
    Es war ein sehr schönes und liebevolles Grab. Rosen in allen Farben strahlten mir entgegen und ein großes goldenes Herz war in der Mit-te platziert. In den Grabstein war ein Engel eingraviert, neben die-sem stand:
    Kathleen Eisenmann, 29.03.1994.
    Als ich näher an das Grab herantrat, konnte ich eine schwache, geal-terte Gravur in dem Herz erkennen; »Sprossa«.
    Ich hatte diesen Namen schon einmal gehört, aber mir fiel einfach nicht ein, wann und wo das war.




    »Janine!« Irgendjemand rappelte an meinem linken Arm, worauf ich meine Augen aufschlug.
    Felix war über mich gebeugt.
    »Was ist passiert?«
    »Du hast im Schlaf geschrien!«, sagte er und streichelte meine rechte Hand.
    Ich richtete mich auf.
    Es war alles wie immer.
    Durch die Vorhänge strahlten die ersten Sonnenstrahlen, unsere Kleidung lag komplett auf dem Boden verteilt und Max schlummer-te in seinem Hundekorb. Ich hatte nur geträumt.
    Ich küsste Felix auf die Wange und legte mich wieder zu ihm.
    »Was hast du denn geträumt?«
    Ich zuckte mit den Achseln. Ich wollte nicht über diesen Traum sprechen.
    »Na gut, wie du willst…« Felix runzelte die Stirn.
    »Vergiss bitte nicht den Geburtstag von Tanja. Wir sollen heute A-bend gegen 20 Uhr dort sein.«
    Ich hatte den Geburtstag tatsächlich vergessen, wahrscheinlich weil ich wenig Lust auf eine Party hatte.
    Felix zog sich an und ging anschließend in das Badezimmer. Als er wieder aus dem Badezimmer kam, trat er an unser Bett heran, flüs-terte mir »Bis heute Abend, mein Schatz!«, in mein Ohr und küsste mich zärtlich auf meine Lippen.
    »Ich liebe dich!«, sagte er und lächelte mich an.
    »Ich dich auch!«
    Ich war so froh, dass ich ihn hatte.

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