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Dieses Thema hat 2 Antworten
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Schreiberling Offline




Beiträge: 2.222

25.02.2004 10:34
RE: Paranoia im Kampf gegen den Antisemitismus Thread geschlossen

Dr. Dot in New Yorker Bar verprügelt, weil sie einen Davidstern trug

Sie wurde verprügelt, weil sie einen Davidstern an einer Kette um den Hals trug. Wie krank müssen Menschen sein, die so etwas tun? Die Berliner Promi-Masseurin Dr. Dot (32) findet keine Antwort darauf. Zu tief sitzt noch der Schock. Sonntagnacht besuchte Dorothy Stein alias "Dr. Dot" in New York den Karaoke-Club "Eggy" an der 2nd Avenue. Keine gute, aber eine gut bürgerliche Ecke von New York, in der normalerweise auch Frauen allein sorglos ausgehen können. Doch in dieser Nacht wurde die Berlinerin verprügelt - ausgerechnet von drei Männern aus Frankfurt (Oder).

"Ich wollte nach Hause gehen und meine Lederjacke holen, die neben der Bar hing", erinnert sich Dr. Dot. "Da standen drei Männer, offensichtlich angetrunken und quatschten mich auf Englisch mit deutschem Akzent an. Einer fragte mich, warum ich eine Kette mit Davidstern trage." Dr. Dot antwortete: "Er gefällt mir, auch wenn ich keine Jüdin bin. Außerdem habe ich viele jüdische Freunde." Da wurde einer der Männer aggressiv, fasste der Masseurin immer wieder an die Nase und rief: "Bist du sicher, dass du keine Judensau bist?" Dr. Dot machte das einzig Richtige: Sie knallte dem Kerl eine, schnappte sich ihre Jacke und lief auf die Straße. Der Mann rannte ihr hinterher, holte sie ein und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. "Ich bin noch nie zuvor so hart geschlagen worden. Ich bin auf den Boden gefallen, meine Oberlippe platzte auf, blutete. Ich habe geweint und geschrien. Was ist bloß aus dieser Welt geworden?"

Von den Schlägen auf die Wangenknochen zeugen schmerzhafte Prellungen. Als die drei Männer aus Frankfurt (O.) wegrannten, stürmten ihnen einige Besucher aus der Bar nach, schnappten sie und riefen die Polizei. Dr. Dot: "Ich werde dafür sorgen, dass der Schläger jede Menge Ärger bekommt." Die New Yorker Staatsanwaltschaft hat bereits ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung eingeleitet. Die erste Anhörung ist am Freitag.

Dorothy Stein ist in Berlin bekannt wie ein bunter Hund. In Schöneberg hat sie seit 1989 eine Wohnung. Auch wenn sie derzeit viel in die USA pendelt, koordiniert die in Manchester geborene Promi-Masseurin von dort aus ihre Termine. Sie ist viel gefragt: Zu ihren Kunden gehören Bruce Willis, Mick Jagger, Sting, Til Schweiger, Heino Ferch, Udo Walz, Dieter Bohlen, Johannes B. Kerner, Esther Schweins, Norbert Blüm, Matthias Wissmann und Iron Maiden.

Dr. Dot kann das Geschehene nicht fassen. "Ich bin keine Jüdin, nicht einmal religiös erzogen. Vor vielen Jahren wählte ich den Rock'n'Roll als meine Religion. Den Davidstern habe ich in den USA gekauft, weil ich viele jüdische Menschen in mein Herz geschlossen habe, und es mir leid tut, was vielen ihrer Familien in der Vergangenheit passiert ist. Der Stern schimmert an meinem Hals wie ein echter und ich finde das fabelhaft." Sie will die Kette auf jeden Fall auch weiterhin tragen.

Mit ihrem Freund und der gemeinsamen Tochter Jasmine lebt Dr. Dot seit 1989 in der deutschen Hauptstadt. Ihre Heimat Amerika hat sie aber nicht aufgegeben. In den nächsten Tagen will sie sich erst einmal von dem Schock erholen. Einen solchen Übergriff hat sie noch nie erlebt. Sie hat Schmerzen und Angst. Bis Heiligabend, so hofft sie, werden zumindest die äußerlichen Wunden wieder verheilt sein. Franziska v. Mutius

Quelle: http://www.juden.de/newsarchiv/dezember_..._12_03_05.shtml

http://www.juden.de/newsarchiv/dezember_2003/15_12_03_05.shtml

Schreiberling Offline




Beiträge: 2.222

25.02.2004 10:36
#2 RE: Paranoia im Kampf gegen den Antisemitismus Thread geschlossen

Das schrieb die Berliner Zeitung im Januar darüber:

Dr. Dot und der Davidstern
Eine Prominenten-Masseuse und ein deutscher Tourist treffen in New York aufeinander. Es gibt eine Schlägerei. Dann fällt das Wort Antisemitismus
geschrieben von Anja Reich

NEW YORK, im Januar. Am Vormittag hat es noch geschneit, schwere feuchte Flocken fallen auf die Erde, aber nachmittags verwandelt sich der Schnee in Regen. Als Stefan W., 34 Jahre alt, Glaser, Katholik und Bayern-München-Fan, mit seinen Freunden bei "Iggy s" einkehrt, ist von der schönen Winterlandschaft nichts mehr zu sehen. New York ist grau, dunkel und kalt. Es ist der Beginn einer verhängnisvollen Nacht. Bis heute ist nicht ganz klar, was eigentlich passiert ist. Fest steht nur, dass in jener Nacht eine Kette von Ereignissen und Irrtümern ausgelöst wird, die mittlerweile nicht nur die Staatsanwaltschaft in New York, sondern auch das Auswärtige Amt in Berlin, das deutsche Konsulat in New York und die Staatsanwaltschaft in Frankfurt an der Oder beschäftigen. Es ist die Geschichte eines antisemitischen Vorfalls in New York, in der niemand jüdisch ist, bis auf einen. Aber für den interessiert sich keiner. Er ist der Zeuge des Angeklagten.
Stefan W. wollte schon lange mal nach Amerika, sein Cousin in Florida hatte ihm von der Weite des Landes vorgeschwärmt, den Trucks und der Freiheit. New York ist nicht so endlos und weit, es ist eng und laut, aber Stefan W. gefällt es. Er ist mit ein paar Kollegen seiner Firma hier. Er war auf dem Empire State Building, am Ground Zero, in Chinatown, was man eben so macht, wenn man das erste Mal in New York ist.

Nun sind sie auf Kneipentour, einer von ihnen muss morgen nach Deutschland zurück, das wollen sie begießen. Sie sind zu viert. Zwei Kollegen von Stefan W. sind dabei und ein junger Mann namens Joshua, den sie vor ein paar Tagen kennen gelernt haben. Joshua lebt in New York, er ist Jude. Stefan W. hat gehört, wie sich sein türkischer Kollege mit Joshua über Religionen unterhalten hat. Er weiß nicht mehr, worum es ging. Er hat nicht zugehört, es interessierte ihn nicht.

"Iggy s" ist eine Karaokebar in der Upper East Side, eine Musikkneipe, in der ältere Frauen mit Perücke und Minirock darauf warten, entdeckt zu werden. Hier soll die Kneipentour der Männer enden. Es ist nach Mitternacht, als sie die Bar betreten. Sie sind jetzt noch zu dritt. Der Türke ist schon schlafen gegangen, ins Hotel um die Ecke. Stefan W. bestellt sich ein Bier. Die Frau, die vorne auf einem kleinen Podest steht und Songs von Janis Joplin singt, bemerkt er gar nicht, sagt er später. Er habe nicht mal gewusst, dass er in einer Karaokebar war.

Dorothy Stein trägt an diesem Abend einen engen Rock, ein T-Shirt und um ihrem Hals eine Goldkette mit einem Davidstern. Den Anhänger hat sie in einem Schmuckladen in New Jersey für zweitausend Dollar gekauft. Er ist mit kleinen Diamanten besetzt. Dorothy Stein ist keine Jüdin, der Stern hat ihr einfach gefallen, sagt sie. Sie ist gerade erst aus Deutschland zurück gekommen, wo sie in den letzten vierzehn Jahren gelebt hat. Sie ist dort als Prominentenmasseuse Dr. Dot bekannt und taucht regelmäßig in den Berliner Klatschspalten auf. In New York ist sie weniger prominent, was sie ändern will.

Dorothy Stein singt in dieser Nacht Janis Joplin, AC/DC und James Brown. Sie steht auf einer Bühne hinten in der Bar, in der Ecke zeigt ein Monitor die Liedtexte an: Janis Joplin, take another piece of my heart. Dorothy Steins Hände umklammern das Mikrofon, ihre Augen sind geschlossen. Sie erinnert kaum an Janis Joplin, eher an Pamela Anderson. Sie ist blond, drall und vollbusig. Der Davidstern glitzert im Dekolleté.

Es ist gegen drei Uhr morgens, als Dorothy Stein ihre Lederjacke holt, um nach Hause zu gehen. Die Jacke hängt auf einem Barhocker. Auf dem Barhocker sitzt ein Deutscher. Das ist das einzige, was überhaupt sicher ist: Dorothy Stein, konfessionslos, Wohnsitz in New York und Berlin, trifft nach einer langen Nacht auf den katholischen, deutschen Touristen Stefan W. und gerät in einen Streit mit ihm. Sie schlägt ihn, er schlägt sie. Die Polizei kommt, nimmt Stefan W. fest, die Staatsanwaltschaft leitet ein Untersuchungsverfahren ein. Aber wer hat angefangen? Und warum?

Dorothy Stein sagt, Stefan W. wollte sie zu einem Drink einladen, sie lehnte ab, da wurde er sauer. Warum sie einen Judenstern trage, ob sie Jüdin sei. Sie sei keine Jüdin, aber sie habe viele jüdische Freunde, antwortete sie. Dann fasste er ihr an die Nase. Bist du sicher, dass du keine Judensau bist? Sie sagte, er solle sie in Ruhe lassen. Er machte weiter. Sie ohrfeigte ihn, griff ihre Jacke und rannte auf die Straße. "Ich habe Schritte hinter mir gehört, ich dachte, es ist meine Freundin. Ich drehe mich um, da steht der Typ und schlägt mir voll ins Gesicht. Ich bin umgefallen. Meine Lippe hat geblutet. Noch nie im Leben hat mich jemand so geschlagen.

"Eine Kette mit einem Stern?" fragt Stefan W. "Was für ein Stern?" Er hat die Frau nur ganz kurz gesehen, er würde sie auf der Straße nicht wieder erkennen, sagt er. Er hat sich nicht mit ihr unterhalten. Sie hat ihn und seinen Freund beschimpft, als sie gehört hat, dass sie deutsch sprechen. Einfach so, ohne Grund. Deutsche sind geizig, deutsche Männer sind Schweine. Das erste Mal schlägt die Frau in der Kneipe zu, zwei, drei Mal mitten in sein Gesicht. Die Brille fällt runter, ein Glas zerbricht. Er rennt weg, sie hinterher, stürzt sich auf ihn. Da verliert er die Nerven und schlägt zurück. Ein Mal. Aus Notwehr. Das sagt Stefan W.

Es gibt zwei unterschiedliche Versionen von den Geschehnissen dieser Nacht. Aber nur eine kommt an die Öffentlichkeit. Es ist die von Dorothy Stein. Sie erzählt einem Bekannten in Deutschland von der Sache, der die Nachricht an die Medien weitergibt. Am 17. Dezember berichten deutsche Zeitungen über einen antisemitischen Vorfall in New York. Es ist die Rede von drei Männern aus Frankfurt an der Oder, die Dr. Dot in einer New Yorker Bar verprügelt haben, weil sie einen Davidstern trug. Dr. Dot wird mit den Worten zitiert: "Ich erlebte in dieser Nacht, wie hart es sein muss, Jude zu sein." Es gibt ein paar Ungenauigkeiten. Der Name der Bar ist falsch geschrieben, Steins Adresse in Berlin stimmt nicht, dass einer der drei Männer ein Jude aus New York war, wird nicht erwähnt. Aber niemand hat Zweifel. Drei Touristen aus Frankfurt an der Oder schlagen eine Frau mit Davidstern zusammen. Es ist eine Geschichte, die irgendwie richtig klingt. Frankfurt an der Oder liegt weit im Osten, dort wo die Neonazis zu Hause sind.

Und Dorothy Stein? Dorothy Stein ist Dr. Dot. Sie hat schon Norbert Blüm massiert, den Minister, und will eine Affäre mit Bruce Willis gehabt haben, dem Schauspieler. Sie schillert, spricht englisch und deutsch, hat Sting massiert. Es gibt jetzt ein Foto, das sie mit geschwollener Lippe, blauer Wange und der Kette mit Davidstern zeigt. Dr. Dot hat es nach Deutschand gemailt. Die Dinge nehmen ihren Lauf.

Am 19. Dezember schickt der Sprecher der Stadtverwaltung von Frankfurt an der Oder per E-Mail einen Zeitungsbericht mit der Bitte um Aufklärung an das Auswärtige Amt in Berlin. Das Auswärtige Amt schickt die E-Mail an das Deutsche Konsulat in New York weiter. Noch immer ist die Rede von drei Deutschen aus Frankfurt an der Oder. Namen sind nicht bekannt. Konsulatssprecher Werner Schmidt wundert sich, nichts über den Fall in den New Yorker Zeitungen gelesen zu haben. Die Rechtsabteilung des Konsulats ruft die New Yorker Polizei an. Die verweigert jede Auskunft. Erst nach mehreren Telefonaten wird von einem Streit in der Nacht zu Montag vor einer Bar in der 2nd Avenue berichtet. Von antisemitischen Beschimpfungen ist keine Rede. Davon weiß auch Stefan W. zu dieser Zeit noch nichts.

Der Mann, der keine Ahnung hat, dass er in Deutschland bereits als Brandenburger Neonazi Schlagzeilen macht und das Konsulat nach ihm sucht, sitzt in New York in Untersuchungshaft. Seine Lippe ist aufgeplatzt, sein Auge geschwollen, in der Brille fehlt das rechte Glas. Nach 18 Stunden kommen endlich eine Dolmetscherin und eine junge Frau, die sich als Samantha Adomaitis vorstellt. Sie ist seine Pflichtanwältin und sagt, er solle sich keine Sorgen machen, vielleicht müsse er einen Tag Sozialdienst leisten, mehr nicht. Sie erwägt nichtmal eine Gegenklage. Stefan W. erzählt ihr, sein deutscher Kollege und Joshua könnten bezeugen, dass die Frau ihn in der Bar geschlagen habe. Die Anwältin rät ihm, die Zeugen zur Verhandlung mitzubringen. Dann kann er zurück in sein Hotel.

Fünf Tage später, am 19. Dezember, um 12 Uhr wird Stefan W. im Criminal Court B, Centre Street, vierter Stock in den Gerichtsstand gerufen. Ein Mann mit hängenden Schultern, Jeans und Schnauzbart. Es ist keine richtige Verhandlung, sondern eine dieser Fünf-Minuten-Anhörungen, die es in New York gibt, damit Straftäter möglichst schnell verurteilt werden können. Stefan W. ist die Nummer 36 an diesem Tag. Die Staatsanwältin erzählt von der Kette mit dem Davidstern, die Dorothy Stein, die heute verhindert sei, an diesem Abend trug. Die Staatsanwältin hat eine klare, helle Stimme. Als die Worte "Jewish Swine" durch den Saal klingen, sehen die Schwarzen auf, die hinten auf den Holzbänken auf ihre Verhandlung warten. Eine Dolmetscherin übersetzt leise. Stefan W. sagt kein Wort, auch nicht als die Staatsanwältin ankündigt, die Klage zu verschärfen. Sie spricht plötzlich von einem hate crime. Einem Überfall aus Hass. In New York kann man dafür zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt werden.

Es geht alles sehr schnell. Samantha Adomaitis, die Anwältin, ist nicht vorbereitet auf die Verschärfung der Anklage, vielleicht ist sie auch überfordert. Die Richterin legt einen neuen Verhandlungstermin fest, den 30. Januar, nimmt Stefan W. den Pass ab und warnt ihn davor, Dorothy Stein nicht zu nahe zu kommen. "Verstehen Sie", wiederholt die Richterin, "bleiben sie dem Opfer fern." Die Zeugen werden nicht aufgerufen.

Am Nachmittag des 19. Dezembers bittet Stefan W. die Rechtsabteilung des Deutschen Konsulats in New York um Hilfe. Das Konsulat gibt ihm die Nummern der Bahnhofsmission und des Roten Kreuzes. Später ruft Stefan W. seine Schwester und seine Mutter zu Hause an. Der Schwester sagt er die Wahrheit und bittet sie, seinen Chef zu informieren. Der Mutter erzählt er, dass er Weihnachten nicht nach Hause komme, weil er noch einen Auftrag in New York erledigen müsse.

Am 23. Dezember, fliegen Stefan W. s Kollegen zurück. Sie geben ihm dreihundert Dollar, damit er sein Hotel bezahlen kann. Sein Flugticket verfällt. W. sieht fern, schläft, geht selten raus. Es wird ein einsames Weihnachtsfest. Sein einziger Ansprechpartner ist Joshua. Joshua besucht ihn, ruft an, lädt ihn zu Silvester ein, lässt ihn ein paar Nächte auf seinem Sofa schlafen. W. s Anwältin ist bis zum 5. Januar im Urlaub, das Konsulat geschlossen.

Dorothy Stein verbringt das Weihnachtsfest mit ihrer 14-jährigen Tochter in New York. Sie gehen im Central Park spazieren, sehen Sex and the City auf DVD. Manchmal ist die jüdische Freundin ihrer Tochter dabei. Die Mädchen kennen sich aus Berlin und waren im Sommer in einem jüdischen Camp in Toronto. Dorothy Stein sagt, die Freundin ihrer Tochter sei diejenige gewesen, die ihr die Bedeutung des Davidsterns erklärt habe. "Ich wusste das alles überhaupt nicht."

Die Prellung im Gesicht ist abgeschwollen, es tut nur noch weh, wenn sie direkt auf die Wunde drückt. Sie gibt ein Interview für eine jüdische Zeitschrift in Amerika, die von dem Fall gehört hat. Mit ihrer Website hält sie ihre Fans auf dem Laufenden, sie veröffentlicht den Namen des Täters und schreibt, sie bekomme jetzt Hass-Mails von Palästinensern. Am 2. Januar bekommt Dorothy Stein einen Brief vom Gericht, in dem steht, dass sie Anrecht auf Personenschutz habe, wenn ihr Gefahr drohe. Am 4. Januar geht sie das erste Mal wieder in die Karaokebar. An ihrem Hals glitzert eine Diamant-Schildkröte.

Für Stefan W. werden die Dinge immer komplizierter. Er muss bei Joshua ausziehen. Seine Schwester bucht ihm aus Deutschland ein neues Hotel, das nur 500 Dollar pro Woche kostet und nicht weit vom Metropolitan Museen of Art entfernt sein soll. So steht es in der Beschreibung. Dass das Hotel nicht in New York, sondern in New Jersey liegt, steht da nicht. Auch von dem Highway vor dem Fenster ist keine Rede. Das Hotel ist ein Motel. Es ist nur mit dem Auto zu erreichen, der einzige Bus, der hier hält, fährt zum Flughafen. Stefan W. sitzt fest. Am Telefon sagt seine Schwester, dass sein Chef zu ihm halte, er solle sich keine Sorgen machen.

In Deutschland wird der Fall weiterhin mit Interesse verfolgt. Zeitungen berichten, dass es Dr. Dot besser gehe und auf die drei Männer aus Frankfurt an der Oder Haftstrafen zukommen. Es ist immer noch von drei Brandenburgern die Rede. Am 6. Januar verkündet die Staatsanwaltschaft in Frankfurt an der Oder, man werde ein Verfahren gegen Unbekannt wegen Körperverletzung einleiten. Die deutsche Gerichtsbarkeit gelte auch, wenn Deutsche im Ausland Straftaten begingen, sagt Staatsanwalt Ulrich Scherding. "Das Verfahren soll Signalwirkung für die Kerle haben. Sie sollen wissen, dass sie auch im Ausland keine Ausländer verprügeln können." Am 7. Januar erzählt Dorothy Stein, sie habe gehört, der Bürgermeister von Frankfurt an der Oder wolle sie einladen. Um zu beweisen, dass dort nicht alle so seien wie die rechten Schläger aus der Bar.

Die Nachricht, die das Konsulat in New York am 19. Dezember an das Auswärtige Amt schickte, hat die Stadt Frankfurt an der Oder wohl nicht erreicht. Der Angeklagte Stefan W., schrieb das Konsulat, kommt aus Frankfurt am Main.

Schreiberling Offline




Beiträge: 2.222

25.02.2004 10:42
#3 RE: Paranoia im Kampf gegen den Antisemitismus Thread geschlossen

Und so geht die Geschichte aus:


Deutsch-amerikanische Freundschaft
Stefan Waxmann schlug sich mit der Promi-Masseurin Dr. Dot in New York. Es hieß, er sei ein Brandenburger Neonazi. Nicht nur das war ein Irrtum. Jetzt ist er frei

Anja Reich

NEW YORK, im Februar. Der Richter hat nicht viel zu sagen. Er sitzt im New Yorker Kriminalgericht hinter einem Pult, über ihm stehen die Worte "In God we trust". Den deutschen Mann, der vor ihm steht und auf sein Urteil wartet, beachtet er kaum. Er hat nur eine Frage an ihn. "Sind Sie mit der Einigung einverstanden, die Ihr Anwalt und die Staatsanwältin ausgehandelt haben." "Ja", sagt der Angeklagte, und die Dolmetscherin übersetzt. "Yes". Dann ist alles vorbei.

Stefan Waxmann, 34 Jahre alt, Glaser aus Frankfurt am Main, darf aus den USA ausreisen. Es ist kein richtiger Freispruch. Es ist ein Deal: Stefan Waxmann erklärt sich schuldig, Dorothy Stein geschlagen zu haben. Dafür muss er nicht sechs Monate lang in New York auf eine Gerichtsverhandlung warten. Es ist keine Rede mehr von Antisemitismus, es gibt keine Gefängnis- oder Geldstrafe, nur die Gerichtsgebühr von 160 Dollar muss er bezahlen.

Am gleichen Nachmittag wird Stefan Waxmann in eine Lufthansa-Maschine steigen und die Stadt verlassen. So endet eine Geschichte, die vor zwei Monaten in einer New Yorker Bar begann. Es ist die Geschichte eines antisemitischen Überfalls, der wohl keiner war, und es ist die Geschichte einer Freundschaft. Manchmal sind es kleine Begebenheiten, die ein Leben verändern. Für Joshua Gutman, 28jähriger Tischler aus Rhode Island, war es eine Winternacht in der Upper East Side. In dieser Nacht war er mit zwei Deutschen in einer Bar in der 2nd Avenue. "Wir standen um den Tresen herum und haben uns unterhalten", erinnert sich Gutman. "Plötzlich kam eine Frau auf uns zu und schrie etwas auf deutsch. Ich habe nicht verstanden, worum es ging. Ich habe nur gesehen, wie sie plötzlich auf einen der Deutschen eingeschlagen hat. "

Für ihn war es eine Verrückte, "wahrscheinlich betrunken". Er ahnte in diesem Moment nicht, dass er Zeuge eines Vorfalls geworden war, der später in den deutschen Zeitungen und vor Gericht als antisemitische Attacke bezeichnet wird. Dass Dorothy Stein, die Frau aus der Bar, behaupten wird, der Deutsche habe sie angemacht, weil sie einen Davidstern trug, sie Judensau genannt und geschlagen. Gutman, sagt, er habe keinen Davidstern gesehen, und geschlagen habe der Deutsche aus Notwehr.

Das sagt er auch der Polizei. Als sie am Tatort eintrifft und Stefan Waxmann festnimmt, schreit Gutman den Polizisten zu, Waxmann habe gar nichts gemacht. Aber es hilft nichts. Zum Schluss wird auch er festgenommen. Als die beiden Männer in Handschellen ins Gefängnis gebracht werden, fragt Waxmann den Amerikaner, was sie denn jetzt mit ihnen machen würden. "Halt einfach die Fresse", antwortet Gutman. So beginnt ihre Freundschaft. Zwei Monate lang muss der Deutsche in New York auf seine Verhandlung warten. Der Amerikaner wartet mit ihm.

Dorothy Stein ist in Berlin als Prominenten-Masseurin bekannt. Während sie der deutschen Presse sagt, sie wisse jetzt, wie hart es sein müsse, Jude zu sein, fotografiert der Jude Joshua Gutman mit seiner Kamera Waxmanns Verletzungen. Als die New Yorker Staatsanwaltschaft dem Deutschen den Pass abnimmt und der zum Jahreswechsel nicht nach Hause fahren kann, lädt ihn Joshua in sein Haus ein. Sie feiern Silvester und warten auf die nächsten Anhörungen.

Es gibt viele Anhörungen, und es ist fast jedes Mal das Gleiche. Die Dolmetscherin kommt zu spät, die Staatsanwältin ist nicht da, der Richter kennt sich nicht aus. Erst heißt es, Waxmann sei nur der leichten Körperverletzung angeklagt. Dann ist von einem Hassverbrechen die Rede, Mindeststrafe ein Jahr Gefängnis. Beim dritten Mal wird die Anklage zwar wieder runtergestuft, der Pass aber bleibt weg. Diesmal ist das Vergehen zu gering. "Deutschland", sagt der Richter, "wäre wegen so einer kleinen Sache nicht gezwungen, den Angeklagten für ein Verfahren wieder in die USA auszuliefern."

Es geht immer nur um den Ablauf des Verfahrens. Nie um die Geschehnisse der Nacht. Der Angeklagte muss keine Fragen beantworten, Zeugen werden nicht aufgerufen. Aber Gutman ist immer da, bei jeder Anhörung sitzt er im Zuschauerraum und wartet darauf, seine Aussage zu machen. Er würde dem Richter gerne sagen, dass Waxmann kein Rassist sei, dass er zwar die Frau geschlagen habe, aber dass sie es war, die angefangen habe.

Es ist schwer zu sagen, wann Joshua Gutman beschlossen hat, sich um Stefan Waxmann zu kümmern. Vielleicht war es im Polizeiauto. Vielleicht als die deutschen Boulevardzeitungen ihn und Waxmann zu Brandenburger Neonazis erklärten. Der Fall wurde immer größer und immer undurchschaubarer. Und Gutman fühlte sich irgendwie verantwortlich für diesen Deutschen. Er verstand nicht, wie es zu all diesen Behauptungen gekommen war und warum die deutschen Zeitungen sie für Neonazis hielten. Aber er begriff wohl, dass er wichtig war. Er hatte gesehen, was passiert war. Und er war Jude. Ein jüdischer Zeuge in einem antisemitischen Fall. Vielleicht die einzige Hoffnung.

In gewisser Weise waren die beiden Männer wohl Freunde in Not. Einmal, an einem Abend im Januar, saßen sie in einem New Yorker Hotel nebeneinander auf einer Couch. Zum Interview. Waxmann, klein und kräftig, mit dicker Brille. Gutman, groß und schlank. Waxmann sagt, die Sache sehe nicht gut aus. Gutman fällt ihm ins Wort, das sei alles eine riesige Ungerechtigkeit. Alle würden immer nur nach der Frau fragen, für ihn aber sei Waxmann ein Opfer.

Er sagt Wäxmänn. Mit langem Ä. Stefan Waxmann nennt ihn Josh.

Ist ihm denn klar, dass er als Jude ein wichtiger Zeuge ist?

Ja, sagt er kurz.

Erst am Ende des Gespräches kommt Gutman noch einmal auf das Thema zurück. "Ich muss Ihnen noch etwas gestehen", sagt er da. Er erzählt, dass nur sein Vater jüdisch sei, aber nicht seine Mutter. Er habe sich das aber nicht getraut zu sagen, aus Angst, dann als Zeuge nicht mehr so stark zu sein. Eine absurde Situation. Ein deutscher Glaser und ein jüdischer Tischler sitzen in New York auf einem Sofa. Deutsche Zeitungen schreiben, sie seien Neonazis. Und der Jude hat Angst, nicht jüdisch genug zu sein, um seinen Freund entlasten zu können.

An einem Tag im Februar, als alles vorbei ist, stehen zwei Männer auf dem Flughafen JFK. Sie reden nicht viel, sie stehen einfach da. Dann wird der Flug nach Frankfurt aufgerufen, und die beiden umarmen sich vielleicht ein bisschen länger, als man das sonst bei Männern sieht.

Quelle: http://www.berlinonline.de/berliner-zeit...e_3/319260.html

In dem Artikel von Anja Reich gab mir folgender Satz eine Menge Stoff zum Nachdenken:

Und der Jude hat Angst, nicht jüdisch genug zu sein, um seinen Freund entlasten zu können.

Besser kann man die Paranoia bei der Jagd auf mutmaßliche Antisemiten nicht beschreiben.

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