ich habe mich in eine neue, im deutschen Sprachraum wohl noch ziemlich unbekannte Literaturgattung verliebt, "Drabbles" oder Ultra-Kurzgeschichten, Geschichten, die genau 100 Wörter lang sind. Die Idee ist, in diesen 100 Wörtern trotzdem eine ganze Geschichte zu erzählen oder doch zumindest soviel, dass vor dem inneren Auge des Leser eine ganze Geschichte entsteht (wenn auch natürlich nicht notwendigerweise bei jedem die gleiche).
Hier ein paar Beispiele, vielleicht könnt ihr ja was damit anfangen,
Capella
Kriegstanz
Kitakambo tanzt. Er tanzt den ältesten Tanz seines Stammes. Die Trommeln lassen ihren dumpfen Klang über die Savanne dröhnen. Wirbelnde Füße im Schein der vielen Feuer. Rhythmisch stoßen die Speerschäfte auf den Boden. Seit jeher ist dieser Tanz eine Warnung an die Feinde seines Volkes.
Fasziniert folgt die Touristengruppe dem exotischen Ritual. Nacht für Nacht kommen sie in Scharen, um Kitakambo und seine Brüder tanzen zu sehen. Fremde, die zuerst ihre Götter verhöhnt, ihnen ihr Land gestohlen und schließlich ihre Jagdbeute ausgerottet haben. Die Feinde wollen die Warnung einfach nicht verstehen. Genug ist genug. Langsam hebt Kitakambo seinen Speer.
Orchesterprobe. Jelenas Finger suchen die Saiten ihrer Harfe. Jetzt, ihr Glissando. Der Dirigent hält inne. Unruhe unter den Musikern. „Die Stelle gleich noch mal, bitte“ Die Flöten, der Einsatz der Geige, Glissando. Diesmal hat Jelena es auch gemerkt. Der Dirigent sieht sie an. „Das müssen Sie doch hören. Die Harfe ist völlig verstimmt.“ Jelena macht sich an den Wirbeln zu schaffen. Dann nickt sie. Einsatz. Jelena wagt kaum noch, die Saiten anzuzupfen. Dieser Missklang. Der Dirigent schnaubt verächtlich.
Jelena wachte schweißgebadet auf. Seit drei Wochen spielte sie im Orchester der Philharmonie. Seit drei Wochen jede Nacht der gleiche Traum.
Mit zitternden Händen hielt Sergeij die Flasche umklammert. Gleich war es soweit. Überall auf der Welt machten sich Menschen bereit, das Gleiche zu tun, wie er. Menschen, die seine Vision teilten: Phil in New York, Margit in Amsterdam, Han Cho in Peking, Robert in Oxford und unzählige Andere. Die Internetviren waren schon seit Wochen unbemerkt verbreitet worden und würden ebenfalls zeitgleich ihr vernichtendes Werk beginnen. Die Auslöschung des Wissens. Ein Neuanfang für die Menschheit. Total reset.
Punkt 5.00 Uhr Moskauer Ortszeit entzündete Sergeij sein Feuerzeug, setzte den Molotov-Cocktail in Brand und warf ihn durch das Fenster der russischen Staatsbibliothek.
Hallo Capella, die Geschichten finde ich toll. Besonders die erste. Musste darüber schmunzeln, und es schiebt das Denken an. Zumindest ging es mir so. Hast Du noch mehr davon? Vielleicht darf ich die hier ausstellen?
schön, dass sie dir gefallen. Bei Kurzgeschichten.de sind sie stumpf wieder rausgeflogen (sind eben keine Kurzgeschichten im eigentlichen Sinn, sagt man da).
Im Moment sind das alle, die ich habe, aber es werden sicher in nächster Zeit noch welche dazukommen. Und Du darst sie gerne ausstellen. Ich überlege, aus vielen dieser einzelnen Geschichten eine Art Roman zu stricken. Ich bin mir aber noch nicht sicher, ob ich es dabei bis zum Ende durchhalten kann, dass jede einzlene Geschichte auch für sich stehen kann. Aber experimentieren werde ich mit dieser Form sicher noch etwas mehr.
Zur Zeit bin ich ein bisschen gehandicapped, ich bin gestern an den Augen operiert worden und seh jetzt nur verschwommen. Sollte aber im Laufe des Wochenendes wieder besser werden. Dann werde ich auch wieder produktiver.
noch ein Drabble :-) Inzwischen habe ich gelernt, dass der Titel nicht mitzählt, bei den obigen Beispielen muss ich also wohl jeweils noch ein Wort dazuerfinden :-)
Capella
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Columbia
„Ich finde immer noch, wir hätten es ihnen sagen müssen“, meinte Kensington. Ferrow schüttelte den Kopf. „Überleg doch mal ... was hätte es ihnen denn gebracht? Seit dem Start war klar, dass wir nichts für sie tun konnten.“ „Trotzdem, vielleicht hätten sie beten wollen. Oder noch einmal mit ihren Angehörigen sprechen.“ Ferrow ließ sich nicht beirren. „Nein, es war besser so. Es ging schnell, sie haben es wahrscheinlich nicht mal gespürt.“
Die beiden Männer blickten auf die Monitore. Videoaufnahmen vom Wiedereintritt in die Atmosphäre. Das helle Aufglühen. Dazu Zahlenkolonnen, die analysierten, welche Auswirkungen die fehlenden Hitzeschutzkacheln im Einzelnen gehabt hatten.
Besonders die letzte Geschichte erinnert mich ein wenig an die Art und Weise, wie Ray Bradbury menschliches Dilemma und Sci-Fi miteinander verwob.
Ich bin zwar kein Freund davon, den Verlauf einer Geschichte durch ein Regelwerk wie eben zum Beispiel Wortanzahl zu regeln, in Deinem Falle sind die Textbeispiele aber sehr schön und stimmungsvoll.
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