ZitatRumsfeld wegen Kriegsverbrechen angezeigt US-Menschenrechtsorganisation fordert deutschen Generalbundesanwalt zu Ermittlungen auf
Christian Bommarius
BERLIN, 30. November. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld muss sich möglicherweise wegen des Folter-Skandals im amerikanischen Gefängnis Abu Ghoreib in Irak vor der deutschen Justiz verantworten. Die US-Menschenrechtsorganisation Center for Constitutional Rights (CCR) und vier irakische Folteropfer erstatteten am Dienstag beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe Anzeige gegen Rumsfeld, den ehemaligen CIA-Chef George Tennet, General Ricardo Sanchez und sieben weitere Mitglieder und Angehörige der Regierung und US-Streitkräfte. Ihnen wird in der 170 Seiten umfassenden Anzeige vorgeworfen, Kriegsverbrechen begangen sowie gegen Völkerrecht und die UN-Folterkonvention verstoßen zu haben.
Die Einschaltung der deutschen Justiz sei erforderlich, weil die amerikanischen Behörden keine Versuche unternommen hätten, "die Verantwortlichen für die Folterungen in Abu Ghoreib zur Rechenschaft zu ziehen", sagte Rechtsanwalt Michael Ratner, Präsident des CCR, am Montag in Berlin. Bisher seien lediglich acht Soldaten der US-Armee angeklagt oder verurteilt worden, keiner von ihnen habe jedoch einen höheren Rang als den eines Stabsunteroffiziers gehabt. Doch sei klar, dass die Folterungen nicht nur in Abu Ghoreib, sondern auch im US-Gefangenenlager Guantanamo (Kuba) und Afghanistan keineswegs Ausfluss des Werks einer Hand voll sadistischer Einzeltäter gewesen seien. Vielmehr seien sie direkt oder indirekt von höchsten Funktionären der US-Regierung angeordnet und darüber hinaus durch unkorrekte oder falsche rechtliche Auskünfte von zivilen und militärischen Juristen im Dienst der Regierung mit verursacht worden. Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft bestätigte den Eingang der Anzeige.
"Die Folter ist dokumentiert, nicht aber die Schuld der Verantwortlichen ", sagte Wolfgang Kaleck, vom CCR und den vier Irakern mit der Erstattung der Anzeige beauftragter Menschenrechtsanwalt. Die Anzeige beim Generalbundesanwalt stütze sich auf das in Deutschland seit Juli 2002 geltende Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) und das darin verankerte "Weltrechtsprinzip". Danach sei die Verfolgung von Verbrechen gegen das Völkerrecht auch möglich, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und auch keinen Bezug auf Deutschland aufweise. Da weder die US-Behörden noch die irakische Justiz entsprechende Verfahren eingeleitet hätten, müssten die Ermittlungen zunächst in Deutschland geführt werden. Zwar habe die Bundesanwaltschaft ein so genanntes Verfolgungsermessen, sagte Kaleck, der Vorsitzende des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins. Doch müsse sie berücksichtigen, dass mindestens drei angezeigte Verantwortliche mit ihren Einheiten hier zu Lande stationiert seien: Generalleutnant Ricardo Sanchez und Generalmajor Walter Wojdakowski in Heidelberg, Oberst Thomas Pappas in Wiesbaden. Auch bei den anderen Beschuldigten seien regelmäßige Deutschlandaufenthalte wahrscheinlich.
Als Staatsoberhaupt genieße zwar der US-Präsident Immunität, nicht jedoch Verteidigungsminister Rumsfeld. Zwar habe er in amtlicher Eigenschaft gehandelt, doch sei es völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, dass sich - sofern es sich nicht um Staatsoberhäupter handele - der Schutz durch Immunität nicht auf Kriegsverbrechen erstrecke. Kaleck forderte die Bundesanwaltschaft auf, mit der Einleitung der Ermittlungen "der Straflosigkeit schlimmster Kriegsverbrechen ein Ende zu setzen".
Peter Weiss, Vize-Präsident des CCR, verwies darauf, dass auf Antrag seiner Menschenrechtsorganisation der US-Supreme Court im Sommer dieses Jahres den Häftlingen von Guantanamo das Recht zugestanden habe, ihre Internierung vor US-Gerichten anzufechten. Aber zur strafrechtlichen Aufarbeitung der Foltervorwürfe stehe kein US-Gericht zur Verfügung: "Hier hilft nur das deutsche Recht, in diesem Falle das beste der Welt."
Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch übersetzt das Statut des Weltstrafgerichtshofs in deutsches Recht. Mit ihm sollen unverjährbare Verbrechen gegen das Völkerrecht geahndet werden.
Paragraf 1 erlaubt Strafverfolgung durch deutsche Behörden selbst dann, "wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist".
Paragraf 15 definiert Kriegsverbrechen in einem bewaffneten Konflikt. Demnach begeht derartige Verbrechen, wer eine nach humanitärem Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, "insbesondere sie foltert oder verstümmelt".
Paragraf 4 bestimmt: Militärische oder zivile Vorgesetzte, die der- artige Verbrechen ihrer Untergebenen zulassen, werden "wie ein Täter der vom Untergebenen begangenen Tat bestraft".