Heute wurde ich in der Berliner Zeitung auf folgendes Buch aufmerksam. Warum nicht auch einmal ein politisches Buch hier vorstellen? Die Rezension in der FAZ, die ich dann beim Googeln fand, liest sich jedenfalls so spannend, dass ich es sicher lesen werde.
ZitatPolitische Bücher Härter als Michael Moore Von Nils Minkmar
29. März 2004 Am späten Nachmittag des 12. September 2001 sagte der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld während einer Krisensitzung, da es in Afghanistan kaum geeignete Ziele für Luftangriffe gebe, werde man eben den Irak angreifen: "Da gibt es lauter gute Ziele." Am Tisch saß auch der Antiterrorbeauftragte des Nationalen Sicherheitsrates, Richard Clarke, der tags zuvor im Weißen Haus die Reaktionen der Regierungsstellen koordiniert hatte: "Zuerst dachte ich, Rumsfeld macht einen Scherz."
Das war klug gedacht, denn der Sinn für Humor der Bush-Administration ist schon jetzt legendär. Weil es aber ernst war und der Irakkrieg kam, schied Clarke aus dem Dienst aus. Zuvor hatte er Außenminister Powell noch mitgeteilt, den Irak anzugreifen sei in etwa so sinnvoll, als hätte Roosevelt nach Pearl Harbour nicht Japan, sondern Mexiko angegriffen. "Against All Enemies", Clarkes Buch über seine Zeit als oberster Antiterrorexperte, wurde zu einer literarischen Sensation: Bereits in den ersten Tagen war es überall ausverkauft.
Der personifizierte Kreis der Eingeweihten
Es ist das dritte Buch in Folge, das die Bush-Regierung in nie zuvor erlebter Deutlichkeit bloßstellt. Alle drei Bücher wurden von ehemaligen Parteigängern Bushs geschrieben, von politisch weit rechts stehenden Männern also. Richard Clarke ist alles andere als eine Taube: Er hat mehrmals Mordversuche gegen Bin Ladin ausgeheckt, eine Antiterroristen-Agenda mit dem schönen Namen "Delenda" entworfen und 1998 die umstrittene Bombardierung einer Arzneimittelfabrik in Khartum verantwortet. Sein großes politisches Vorbild ist, neben Ronald Reagan, George Bush senior. Der seit einer Woche mit allen Mitteln arbeitenden Gegenkampagne der Regierung fällt es daher schwer, Clarke zu diskreditieren.
Vizepräsident Cheney erklärte, Clarke sei bei vielen Diskussionen gar nicht dabeigewesen. Diese Taktik hielt aber nicht sehr lange. Daß der oberste Antiterrorbeauftragte der Regierung nicht zum Kreis der Terrorismusbekämpfer gehört habe, klingt sogar für konservative Journalisten nicht sehr glaubwürdig. Ein Kommentator schrieb: Clarke gehörte in diesen Fragen nicht nur zum Kreis der Eingeweihten, er war der Kreis.
Dynastisches Prinzip statt Wohl des Staates
Clarkes Buch ist nicht nur ein Desaster für die Regierung, es ist auch hervorragend geschrieben und vermittelt daher selbst dem distanzierten Leser noch eine Ahnung jener kalten Schauer, die auch den Autor in den letzten Monaten seiner Amtszeit überfallen haben müssen. Beim Lesen dieses und der anderen Bücher denkt man eigentlich nur noch eins: Das darf doch alles gar nicht wahr sein. Bald werden die Sottisen Michael Moores über den Alkoholiker, Schulversager und schlechte Witze reißenden Bush für seine schrumpfende Anhängerschar noch die angenehmste Lektüre sein. Moore ist lange nicht so erschreckend wie das Werk von Kevin Phillips, "American Dynasty". Auf dem Cover sieht man Bush Vater und Sohn einträchtig beim Hochseefischen, dahinter dräut schon ein dunkler Gewitterhimmel. Der Untertitel lautet: "Wie der Bush-Clan zur mächtigsten und gefährlichsten Familie der Welt wurde".
Es geht dort um die gleichen Themen, die auch in Moores Büchern prominent vertreten sind, also um die intimen Beziehungen zur saudischen Königsfamilie, den Dreiklang aus Big Oil, Big Money und Old-Boys-Verbindungen, die in der Dynastie zusammenfinden, also um Halliburton und Enron. Wo Moore nur plaudert, kann sich Phillips auf langjährige Recherchen stützen. Ihm fehlt dafür aber auch der letzte versöhnliche Gestus, den Moore immerhin aufbringt, wenn er Bush vorschlägt, doch Gebrauchtwagen zu verkaufen, dann könne man wieder befreundet sein. Phillips' These ist, daß die Bushs und ihre Verbündeten dabei sind, in einem auf Geheimhaltung und Desinformation basierenden Politikstil die Republik durch ein dynastisches Prinzip zu unterminieren, während sie das Wohl des Staates vernachlässigen.
Die radikalste Abrechnung kommt nicht aus der linken Ecke
Phillips hat dabei einige unangenehme Dinge zutage gefördert. So gelingt es ihm, relativ überzeugend darzulegen, daß Junior seinen Militärdienst bei der Nationalgarde in dem Augenblick unterbrach, als regelmäßige Drogentests eingeführt wurden. Ein sehr überzeugendes Kapitel widmet er der Allianz Bushs mit der religiösen Rechten. Es ist sicher die radikalste, faktenreichste Abrechnung mit dem System Bush, aber auch sie kommt nicht aus der liberalen oder linken Ecke: Phillips war einst Stratege im Weißen Haus von Richard Nixon und schrieb das wegweisende Buch für die jahrzehntelang sehr erfolgreiche Wahlstrategie der Republikaner, "The Emerging of the Republican Majority".
Daß man den düstersten Annahmen über das drohende Ende der amerikanischen Demokratie aber nicht folgen mag, liegt nicht nur an der Bereitschaft von Spitzenbeamten wie Clarke, ihre Erfahrungen öffentlich zu machen, sondern auch daran, daß das Bush-Netzwerk an seine eigenen Grenzen stößt: Wenn man ein Kabinett der Millionäre beruft, wie es Bush bei Amtsantritt vorgeworfen wurde, muß man damit rechnen, daß einige davon ihre materielle Unabhängigkeit im Konfliktfall auch nutzen. "Ich bin reich, ich bin alt, was sollten sie mir noch antun können?" sagte Paul O'Neill, Bushs erster Finanzminister, nach der Veröffentlichung seines Buches.
Mini-Machiavellis im Weißen Haus
O'Neill hatte zwar auch unter Nixon im Haushaltsministerium gearbeitet, war aber später vorwiegend in der Wirtschaft tätig gewesen, zuletzt als Chef des Aluminiumkonzerns Alcoa, wo er ein Vermögen verdiente. Das Angebot, in die Regierung einzutreten, hatte ihn wegen der hehren Tradition des Finanzministeriums gereizt und wegen der Möglichkeit, viele informierte Debatten mit Fachleuten zu führen. "Brandeis-Briefs" hatte man unter Nixon die dicken Aktenordner genannt, die vor jeder Sitzung von allen durchgearbeitet werden mußten, damit sie den scharfen Fragen des Präsidenten auch standhalten konnten. Schon bald nach seinem Amtsantritt hegt O'Neill jedoch einen Verdacht, der ihm bald zur Gewißheit wird: Bush liest nicht. Keine Bücher, keine "Brandeis-Briefs", auch keine Memos von ein bis zwei Seiten. Bush stellt keine Fragen, fordert von seinen Ministern nichts, ordnet nichts an. In diesen Punkten sind sich übrigens alle drei Bücher einig. Während der regelmäßigen Vorträge, die er dem neuen Präsidenten über das Wesen der amerikanischen Volkswirtschaft hält, kann O'Neill nicht erkennen, ob Bush überhaupt versteht, was er ihm erzählt.
Die wesentliche Kommunikation vollzieht sich vor allem im Medium eines merkwürdigen Insider-Humors. Bush hat die Angewohnheit, jedem seiner Leute einen Spitznamen zu verpassen, meistens die spanische Version des Vornamens, O'Neill ist Pablo. Im Laufe der Zeit, als das Verhältnis merklich abkühlt, ohne daß das offen ausgesprochen würde, wird er zu Big O. O'Neill muß einen Kabinettskollegen fragen, was das zu bedeuten habe. Der sagt, das klinge nach texanischem Gebrauchtwagenhändler, sei also eher ein schlechtes Zeichen. So kündigt sich die Ablösung im Finanzministerium an. O'Neill beschreibt, daß die Wiederwahlplaner Karl Rove und vor allem Dick Cheney den Laden schmeißen. Cheney wiederum hält sich meist gar nicht in Washington auf, sondern auf einem Flachbildschirm an der Wand, zugeschaltet von seiner "undisclosed location". O'Neill kommt zu dem gleichen Schluß wie der kurz vor ihm zurückgetretene Bush-Berater für kirchliche karitative Programme, Di Iullio: Zum ersten Mal in der Geschichte sei die Regierung ausschließlich mit Fragen der Parteipolitik und so gut wie gar nicht mit dem Regieren beschäftigt. Im Weißen Haus säßen lauter Mini-Machiavellis.
Massenvernichtungswaffen unter dem Sofa
Im Amt sein ist Selbstzweck, und der sarkastische Humor ist der Ausdruck dieser Haltung. Bushs Humor, der sich jüngst wieder zeigte, als er beim Korrespondentendinner in Washington ein witzig gemeintes Dia zeigte, auf dem er auf allen vieren unterm Sofa nach Massenvernichtungswaffen sucht, ist ihm sein liebstes Medium.
Manch einer erinnert sich noch, wie Bush während des Wahlkampfs in Texas einen ihm sehr wohlgesonnenen konservativen Reporter schockte, indem er die zum Tode verurteilte, auf Begnadigung durch Bush hoffende Karla Faye Tucker nachäffte und mit spitzer Stimme rief: "Bitte töten Sie mich nicht, Gouverneur." Ein, wenn auch nicht immer ganz freiwilliger, aber in jedem Fall langjähriger Beobachter des Clans sagte später dazu: "So was macht doch kein Erwachsener. Es kommt einem doch nicht einmal in den Sinn, darüber Witze zu machen. Was jeder sieht und worüber keiner spricht, ist doch: George W. Bush ist ganz einfach unqualifiziert für den Job. Er ist vermutlich der ungeeignetste Mensch, der je von einer großen Partei für das Präsidentenamt aufgestellt wurde." Ted Kennedy? Gore Vidal? Nein, Ronald Reagan, stolzer Sohn eines berühmten Vaters, der es rechtzeitig verstanden hat, sich einen Beruf zu suchen, der zu ihm paßt. Er wurde Ballettänzer.