Ein Auszug aus S. 21-25 aus Woody Allen, Wie du dir, so ich mir , Die Schmidt-Memoiren, Rowohlt-Taschenbuch Verlag Gmbh, Juli 1980
Die anscheinend unerschöpfliche Flut von Literatur über das Dritte Reich setzt sich unvermindert fort mit den Memoiren Friedrich Schmidts, deren Veröffentlichung bald zu erwarten ist. Schmidt, der bekannteste Friseur Deutschlands während des Krieges, leistete Hitler und vielen hohen Persönlichkeiten aus Regierung und Militär seine haarkünstlerischen Dienste. Wie beim Nürnberger Prozess treffend bemerkt wurde, schien Schmidt nicht nur stehts im richtigen Augenblick an der richtigen Stelle zu sein, er besaß auch "mehr als ein absolutes Erinnerungsvermögen" und war somit in einzigartiger Weise dazu berufen, diesen eindrucksvollen Leitfaden des Seeleninneren Nazi-Deutschlands niederzuschreiben. Es folgen nun einige kurze Auszüge:
Im Frühjahr 1940 hielt ein großer Mercedes vor meinem Frisiersalon in der Königsstraße 127, und Hitler kam herein. "Nur ein bißchen versäubern", sagte er, "und nehmen Sie oben nicht zuviel weg." Ich erklärte ihm, daß er wohl etwas warten müsse, denn Herr von Ribbentrop sei noch vor ihm dran. Hitler sagte, er habe es eilig, und fragte Ribbentrop, ob er nicht als nächster drankommen könne, aber Ribbentrop betonte, daß es im Außenminsterium einen schlechten Eindruck machte, wenn man ihn überginge. Hitler rief darauf rasch irgendwo an, Ribbentrop wurde auf der Stelle zum Afrikakoprs versetzt, und Hitler bekam seinen Haarschnitt. So ging es mit den Rivalitäten die ganze Zeit weiter. Einmal ließ Göring Heydrich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen verhaften, um den Stuhl am Fenster zu bekommen. Göring war hemmungslos und wollte zum Haarschneiden öfters auf dem Schaukelpferdchen sitzen. Die Naziführung geriet dadurch in Verlegenheit, konnte aber nichts machen. Eines Tages aber forderte Heß ihn heraus. "Heute möchte ich das Schaukelpferdchen haben, Herr Heldmarschall", sagte er. "Unmöglich. Ich habe es für mich reservieren lassen", giftete Göring zurück. "Ich habe Anweisungen direkt vom Führer. Sie besagen, daß mir gestattet werden soll, zu meinem Haarschnitt auf dem Schaukelpferd zu sitzen." Und Heß holte einen entsprechenden Brief Hitlers hervor. Göring erbleichte. Das verzieh er Heß nie und sagte, daß er sich in Zukunft von seiner Frau die Haare zu Hause mit einem Topf auf dem Kopf schneiden lassen werde. Hitler lachte, als er das hörte , aber Höring meinte es ernst und hätte seine Drohung auch wahrgemacht, wenn der Kriegsminister seinen Antrag auf eine Ausdünnschere nicht abgelehnt hätte. Ich bin gefragt worden, ob ich mir der moralischen Tragweite meines Handelns bewußt war. Wie ich dem Gericht in Nürnberg schon sagte,wußte ich nicht, daß Hitler Nazi war. Die Wahrheit ist, daß ich jahrelang dachte, er arbeite für die Post. Als ich schließlich dahinterkam, was für ein Ungeheuer er war, war es zu spät, noch etwas zu tun,weil ich eine Anzahlung für ein paar Möbel geleistet hatte. Einmal, gegen Ende des Krieges, überlegte ich ,ob ich die Halsbinde des Führers nicht lockern und ihm ein paar kurze Härchen den Rücken runterrutschen lassen sollte, aber im letzten Augenblick machten meine Nerven nicht mit. In Berchtesgaden wandte sich Hitler eines Tages an mich und fragte : "Wie würde ich mit Koteletten aussehen?" Speer lachte, und Hitler war beleidigt. "Ich meine es todernst, Herr Speer", sagte er , "ich glaube, mir könnten Koteletten stehen." Göring ,dieser schleimende Hanswurst, stimmte sofort zu und sagte : "Der Führer mit Koteletten - welch hervorragende Idee!" Speer widersprach noch immer. Er war wirklich der einzige, der integer genug war, es dem Führer gleich zu sagen, wenn dieser einen Haarschnitt nötig hatte. "Zu auffallend", sagte Speer nun. "Koteletten sind etwas, was ich eher mit Churchill in Verbindung bringen würde." Hitler wurde wütend. Ob denn Churchill Koteletten in Erwägung zöge, wollte er wissen, und wenn ja, wie viele und wann? Himmler , angeblich der Leiter der Spionageabteilung , wurde sofort herbeizitiert. Göring ärgerte sich über Speers Haltung und flüsterte ihm zu : "Warum machen Sie denn so einen Aufstand? Wenn er Koteletten haben will, lassen Sie ihn doch!" Speer , der sonst immer bis zum Gehtnichtmehr taktvoll war, nannte Göring einen Heuchler und "Kräuterquark in deutscher Uniform". Göring schwor Rache, und später erzählte man sich, er habe von einer SS-Spezialeinheit Speers Bett bespitzeln lassen. Himmler kam völlig aufgelöst angerast. Er war mitten in einer Stepstanzstunde gewesen,als das Telefon klingelte und er nach Berchtesgaden beordert wurde. Er fürchtete, es handle sich um die fehlgeleitete Ladung einiger Tausend spitzer Karnevalhütchen, die Rommel für seine Winteroffensive zugesagt worden waren. (Himmler war es nicht gewohnt, nach Berchtesgaden zum Abendessen eingeladen zu werden, denn er konnte schlecht sehen, und Hitler ertrug es nicht, ansehen zu müssen, wie Himmler die Gabel an sein Gesicht führte und sich dann das Essen irgendwo an die Backe klebte.) Himmler wußte, daß irgendwas nicht stimmte, denn Hitler nannte ihn Brillenschlange, was er nur tat, wenn er verärgert war. Plötzlich wandte sich der Führer an ihn und brüllte : "Läßt sich Churchell Koteletten stehen?" Himmler wurde rot. "Na, was ist?" Himmler sagte, es habe die Nachricht gegeben, daß Churchill Koteletten in Erwägung zöge, aber das sei alles inoffiziell. Was Größe und Anzahl betreffe, erklärte er, so seien es wahrscheinlich zwei mittlerer Länge, aber niemand wolle was sagen, bevor man nicht ganz sicher sein könne. Hitler schrie und schlug mit der Faust auf den Tisch. (Das war für Göring ein Triumph über Speer.) Hitler zog eine Landkarte hervor und erläuterte uns, wie er glaube, England vom Nachschub heißer Handtücher abschneiden zu können. Mit der Blockade der Dardanellen könne Dönitz verhindern, daß die Handtücher an Land gebracht und den Engländern über die ängstlich wartenden Gesichter gebreitet würden. Aber die grundsätzliche Frage blieb: Konnte Hitler bei den Koteletten Churchill den Rang ablaufen? Himmler sagte, Churchill habe einen Vorsprung , und es wäre vielleicht unmöglich, ihn noch einzuholen. Göring, dieser gedankenlose Optimist, sagte, dem Führer könnten die Koteletten möglicherweise schneller wachsen, wenn es uns gelinge, die ganze Kraft Deutschlands zu einer gebwallten Anstrengung zusammenzuraffen. Von Rundstedt erklärte jedoch auf einer Generalstabssitzung, es wäre ein Fehler zu versuchen,die Koteletten auf zwei Seiten in Angriff zu nehmen, und riet, daß es klüger wäre, alle Anstrengungen auf eine gelungene Kotelette zu konzentrieren. Hitler sagte, er schaffe es auf beiden Backen gleichzeitig. Rommel stimmte von Rundstedt zu. "Sie werden niemals gleichmäßig, mein Führer", sagte er . "Nichts, wenn Sie sie drängen." Hitler wurde wütend und sagte, das wäre seine Angelegenheit und die seines Friseurs. Speer versprach, daß er unsere Rasiercreme-Produktion bis zum Herbst verdreifachen könne, und Hitler wurde übermütig. Im Winter 1942 leiteten die Russen dann eine Gegenoffensive ein, und die Koteletten kamen zum Stillstand. Hitler wurde immer verzweifelter, denn er fürchtete , Churchill könne bald fabelhaft aussehen und er noch immer nur "durchschnittlich", aber wenig später erreichte uns die Nachricht, Churchill habe den Kotelettenplan als zu kostspielig aufgegeben. Wieder einmal hatte sich gezeigt, daß der Führer recht hatte.
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was mir an Woody Allen insgesamt sehr gefällt,ist seine groteske Art , mit der Geschichte (wie hier) oder auch mit Alltagserlebnissen umzugehen. Trotz der starken charakterlichen Überzeichnungen und abstrusen Zusammenhänge liest man zwischen den Zeilen auch die Bitterkeit des Ganzen heraus und die "stumme" Anklage.