Vor kurzem habe ich auf Betreiben meines Sohnen zunächst widerwillig einen Film gesehen, von dem ich eigentlich annahm, er sei ein Kriegsfilm. Das blanke Gegenteil ist der Fall. Es ist ein Antikriegsfilm ohne Pathos, ohne Übertreibungen und gibt einen tiefen Einblick in den internationalen Waffenhandel.
Hierzu eine Rezension, die ich unterstütze.
ZitatKritik: „There are over 550 million firearms in worldwide circulation. That's one firearm for every twelve people on the planet. The only question is: How do we arm the other 11?“ Keine Frage, dieser Satz stammt aus dem Mund eines Waffenhändlers. Genauer gesagt von Yuri Orlov (Nicolas Cage), dessen „Erfolgsgeschichte“ in Andrew Niccols „Lord Of War“ nachgezeichnet wird. Mit bitterbösem Zynismus erzählt Niccols eine Geschichte, die an Aktualität und Brisanz wohl kaum zu übertreffen ist. Dank genauer Recherchen wird die fiktive Geschichte des amerikanischen Waffenhändlers Yuri Orlov zu einer sozialkritischen Mischung aus Drama und Satire, die sich bemüht, über 122 Minuten lang zu unterhalten und gleichzeitig auch zu informieren, auch wenn die Thematik des Films auf den ersten Blick sehr schwermütig zu sein scheint. Niemand würde dem internationalen Waffenhandel von sich aus einen Unterhaltungswert zuschreiben, aber in „Lord Of War“ bekommt der Zuschauer das Thema häppchenweise mit einer ätzenden Portion Zynismus serviert - dazu noch ein hervorragender Cast mit Nicolas Cage, Jared Leto, Ian Holm und Ethan Hawke.
Aushilfe im Restaurant der Eltern: Das ist nicht gerade der Traumjob, den sich Yuri Orlov (Nicolas Cage) immer gewünscht hat. Als Kind einer ukrainischen Auswanderer-Familie in Brighton Beach, New York, stehen allerdings seine Chancen auf einen besseren Beruf eher schlecht. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Vitaly (Jared Leto) arbeitet er für seine Eltern, bis er eines Tages Zeuge einer Schießerei wird. Von da an steht für Yuri fest: Er ist definitiv in der falschen Branche, denn eines der menschlichen Grundbedürfnisse sind nun mal Waffen und die gilt es zu beschaffen. Zusammen mit Vitaly beginnt Yuri zuerst mit kleineren Deals, arbeitet sich aber schnell in die Kreise der ganz großen Waffenhändler vor. Während Yuri mit dem moralischen Zwiespalt, schließlich verkauft er mit den Waffen auch gleichzeitig den Tod vieler Menschen, gut zurecht kommt, hält Vitaly dem Druck nicht Stand und greift immer öfter zu Kokain. Von nun an muss Yuri allein die Geschäfte schmeißen und entdeckt dabei, dass er ein wirkliches Talent zum Waffenhandel besitzt. Besonders nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sieht Yuri seine große Chance gekommen. Millionen von Waffen, Panzern und Kampfhubschraubern bunkern nutzlos in seiner alten Heimat Ukraine und sind für die richtigen Kunden Milliarden wert. Nach und nach baut sich Yuri ein Waffenhandel-Netzwerk auf, das besonders in den kleinen Diktaturen Afrikas auf viel Gegenliebe stößt. Zu Yuris Partnern zählen Staatsoberhäupter, Rebellen, Friedenskämpfer und Regierungen aus der ganzen Welt. Seine Frau Ava (Bridget Moynahan) ahnt zwar, dass Yuris angebliches „Geschäft im Transportwesen“ nicht ganz der Wahrheit entspricht, sorgt sich aber nicht weiter um die vielen Reisen ihres Mannes. Doch das Doppelleben als internationaler Waffenhändler einerseits und sorgender Ehemann und Familienvater andererseits ist nicht das einzige Problem, mit dem Yuri zu kämpfen hat. Auch die Behörden sind mittlerweile auf den „Lord Of War“ aufmerksam geworden. Besonders der junge Interpol-Agent Jack Valentine (Ethan Hawke) hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den Waffenboss endlich hinter Gitter zu bringen. Aber Yuri ist dem Gesetz immer einen Schritt voraus, oder macht das Gesetz etwa absichtlich einen Bogen um ihn? Sowohl Yuri als auch Jack müssen bald einsehen, dass in der heutigen Welt Moral nur noch auf dem Papier existiert...
„Back then, I didn't sell to Osama Bin Laden. Not because of moral reasons, but because he was always bouncing checks.“ Wer solch einen Satz in den Mund seines Hauptdarstellers legt, der muss früher oder später damit rechnen, dass die Finanzierung seines Films nicht besonders rosig aussehen wird. Trotz der schweren finanziellen Lage schaffte es Regisseur Andrew Niccols, sein Projekt zu verwirklichen. Wen wundert es, dass ein Film, der besonders die fragwürdige Rolle der USA im internationalen Waffenhandel thematisiert, von amerikanischen Investoren gemieden wird - besonders, wenn die Anfrage auf Finanzierung eine Woche vor Ausbruch des Irak-Kriegs auf dem Schreibtisch liegt. Dank einiger ausländischer Geldgeber konnte Niccols 50 Millionen Dollar für sein Projekt eintreiben, ein ordentliches Budget, aber lange nicht Hollywood-Spitze. Aber weder an der Ausstattung noch an der Technik wurde gespart und das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Davon kann sich selbst ein Peter Jackson einmal eine Scheibe abschneiden, denn: Nein, es braucht nicht immer hunderte von Millionen, um einen guten Film auch gut aussehen zu lassen.
Die Thematik des Films ist definitiv keine leichte Kost: Waffenhandel, Massaker, Kindersoldaten. Alles Themen, die tagtäglich in den Nachrichten über unsere Fernseher flimmern, die aber schnell wieder verdrängt werden. Besonders Hollywood scheut solche brisanten Themen. Damit macht Andrew Niccol nun ein für alle mal Schluss. In brutalen Bildern führt er dem Zuschauer die Perversität des Krieges vor Augen: Sei es, wenn eine Garde kleiner liberianischer Jungen mit Kalaschnikows vor ihrem Präsidenten salutieren oder angebliche Freiheitskämpfer eine Mutter und ihren Sohn brutal mit Macheten niederschlagen. Szenen, die sich rund um den Globus jeden Tag aufs Neue zutragen und schockierender nicht sein können.
Trotz der schweren Thematik, besonders auch die Rolle der großen Industriestaaten im internationalen Waffenhandel wird kritisch begutachtet, kommt „Lord Of War“ nie hoch dramatisch mit erhobenen Zeigefinger daher. Vielmehr verpackt Niccol seine beißende Sozialkritik in einem dicken Mantel aus bitterbösem Zynismus. Wer diese Art von Humor mag und bereits bei Filmen wie „Three Kings“ von David Russell seinen Spaß hatte, der ist mit „Lord Of War“ gut bedient. Durch die Zyniker-Brille wirkt „Lord Of War“ ein wenig wie eine Michael-Moore-Dokumentation, nur noch einen Schuss drastischer. Natürlich kann nicht jeder mit einer solchen Art Humor viel anfangen, weshalb „Lord Of War“ sicher gespaltene Meinungen hervorrufen wird.
Schauspielerisch hat „Lord Of War“ ein ansehnliches Staraufgebot anzubieten. Nicolas Cage ist die Rolle des Yuri Orlov wahrlich auf den Leib geschrieben. Kaum ein anderer Schauspieler hätte es wohl geschafft, die zynischen Kommentare so glaubhaft dem Zuschauer an den Kopf zu werfen. Obwohl die Figur des Yuri Orlov komplett erfunden ist und in ihr die Lebensgeschichten fünf verschiedener realer Waffenhändler vermischt werden, wirkt der Anti-Held der Geschichte niemals gekünstelt oder aufgesetzt. Das ist zu einem großen Teil auch Nicolas Cages Schauspielerei zuzuschreiben. In den weiteren Rollen glänzen Ethan Hawke, der mit Andrew Niccols bereits in GattacaLord Of War zusammenarbeitete und Jared Leto, der seine Rolle des drogensüchtigen kleinen Bruders angemessen meistert. Ein besonderes Highlight ist allerdings Ian Holm in der Rolle des einflussreichen Waffenhändlers Simeon Weisz. Der „Gentleman“ unter den Waffenhändlern ist eine Figur, die der Brite Holm wunderbar verkörpert.
Mit „Lord Of War“ beginnt das noch frische Kinojahr 2006 mit einer zynischen Moralfabel, die aktueller nicht sein könnte. Dank einer Top-Besetzung, einer brisanten Thematik und einem so großen Schuss Zynismus, dass selbst bekennende Nicht-Zyniker den einen oder anderen Lacher von sich geben werden, hat „Lord Of War“ all das, was ein interessanter Film braucht. Am Ende offenbart Niccol dann seine wahren Absichten, was er mit dem Film erreichen will. Die Waffenhändler selbst sind nicht das größte Übel, sondern die führenden Regierungen, die es ermöglichen, dass die Dealer in der Illegalität im Endeffekt dafür sorgen, dass die zivilisierte Welt nicht auseinanderbricht. „Necessary Evil“ ist wohl das Stichwort des Films. Und so gibt es viele andere Übel, vor denen wir und der Staat die Augen verschließen, weil die Wahrheit halt weh tut, es uns aber ohne sie noch schlechter als mit ihnen gehen würde. Eine Weisheit aus dem Film, über die jeder einmal nachdenken sollte: „You know who's going to inherit the world? Arms dealers. Because everyone else is too busy killing each other.“
Im Abspann des Films heißt es, dass die weltweit fünf größten Waffenhändler feste Plätze im UN-Sicherheitsrat haben. Nach Sehen dieses Films bekommt diese Aussage eine andere Wirkung.
Von mir bekommt der Film das Prädikat: sehr sehenswert!
Und wie schon geschrieben - ich mag keine Kriegsfilme.