Schon der dritte oder vierte publik gewordene Fall in den letzten 12 Monaten, erst die Zogajs, dann ein gut integrierter Afrikaner und jetzt diese Familie, in allen Fällen gut integrierte Asylsuchende, die keine Staatshilfe beziehen, niemanden auf der Tasche liegen und von der Bevölkerung akzeptiert werden.
Einerseits regt man sich zurecht darüber auf, dass Multi-Kulti-Parallelgesellschaften in den Städten entstehen, aber überlässt diese Problematik den Rechtspopulisten, die nur solange daraus Kapital bzw. Wählerstimmen schlagen können, wie sie keine Lösung für diese Problematik finden (denn das würde den Rechten den Nährboden entziehen), andererseits werden jene, die wirklich integriert sind, mit den "Rechtsmitteln" abgeschoben. Wie es den Menschen geht und welcher Hintergrund vorhanden ist, interessiert dann nicht, weder Platter noch Fekter, die natürlich kein humanitäres Bleiberecht zusprechen werden, obwohl sie die Möglichkeit (Willkür!) dazu hatten/hätten.
Freilich darf man Asylsuchende und Migranten nicht miteinander vermengen, Migranten gehen aus wirtschaftlichen Gründen ins Ausland, einem Bauer aus Anatolien muss Deutschland oder Österreich wie ein Schlaraffenland vorkommen. Asylsuchende kommen hierher, weil sie aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt werden. Eigentlich sollte man sich von den Hardlinern in der Politikerriege eine umgekehrte Argumentation vorstellen: Asyl suchen wiegt schwerer als "nur" aufgrund der schlechten Arbeitssituation aus/einzuwandern. Ich verstehe es nicht, und leider interessiert es auch die wenigsten - in Zeiten, wo die Arbeitslosigkeit sprunghaft ansteigt, interessiert es noch weniger, was das Schicksal anderer Menschen betrifft, erst recht, wenn es sich um Menschen dreht, die anders aussehen oder eine andere Kultur haben.
Auch was den Iran betrifft, hörte ich in letzter Zeit Sätze wie "Was kümmert mich der Iran, wir sollten uns erstmal um unsere eigenen Probleme kümmern". Die provokante Gegenfrage sollte dann lauten: "Was sitzt Du dann noch hier herum und antwortest mir? Geh in die Politik, geh auf die Straße, protestiere dagegen, tu was!" Zum Glück gibt es einige Millionen Menschen in der Bevölkerung und damit die Möglichkeit, sich die Probleme "aufzuteilen". Wenn wir nicht mehr über den Tellerrand blicken, so schlimm die Situation im eigenen Land sein mag, dann ist das ziemlich einseitig und ignorant gedacht.
Zudem es keine Pflicht in der geschriebenen Sprache gibt, immer nur EIN Thema anzusprechen. Wir haben die Freiheit, alles zu kommentieren, aber auch alles zu ignorieren, was uns nicht interessiert. Wenn man sich dann ausgiebig über die Probleme in anderen Ländern auslässt und Antworten kommen wie "ich bin gerade arbeitslos geworden, wir sollten uns erstmal im eigenen Land um unsere Probleme kümmern", dann macht mich das ziemlich grantig. Ich denke eben sehr viel nach, und ich denke über alles nach, was mir gerade in den Sinn kommt. Denken ist frei, das Schreiben auch.
Arbeitslosigkeit ist schlimm, für den Einzelnen, besonders aber für die Familien. Arbeitslosigkeit hat aber nichts mit dem Iran oder mit dem Schicksal kosovarischer Familien zu tun. Man kann versuchen, auf die Missstände von Hartz 4 und die Bigotterie, was Banken- und Autoindustrierettung und gleichzeitig dem Pleitegang mittelständischer Unternehmen und zu geringer Arbeitslosenhilfe betrifft, aufmerksam zu machen, und trotzdem auf die Missstände von Migranten/Aslysuchenden und auf die Missstände in anderen Ländern hinweisen.
Es ist auch immer zwischen Privatpersonen und politischen Vertretern zu differenzieren. Wenn politische Vertreter Schnellschüsse zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise machen (Mehrwertsteuer erhöhen) und die Gefahr einer amoklaufenden Jugend durch den Verbot von "Killer"spielen minimieren wollen, dann packt das weder die Wurzeln der Wirtschaftskrise (Stichwort: Strukturreform) noch die der Amokläufer (Stichwort: Erziehung und Generationenwandel) an.
Man kann als Privatperson darauf hinweisen, dass es nichts alleine bringt, jetzt jede Menge Kredite in die Autoindustrie und Banken zu pumpen und darauf zu hoffen, dass sich die Krise von alleine reguliert, während immer mehr Menschen arbeitslos werden, es keine typischen Niedriglohnjobs mehr für Hauptschüler und CO gibt (Michael/Biedenkopf hat das kürzlich angesprochen), es den Konsum nicht antreibt, wenn die Staatshilfe nur dank Ein-Euro-Jobs und Lebensmittelläden für Mittellose fürs Überleben reicht. Man kann als Privatperson auch darauf hinweisen, dass es in anderen Ländern, wo "Killerspiele" erlaubt sind, nicht mehr Amokläufer gibt. Man kann als Privatperson viel ansprechen, ohne dass eine unmittelbare Änderung eintreten wird. Solange es nicht öffentlich wird, in Form von Unterschriftenlisten, Petitionen, Demonstrationen, Streiks, etc..., kann man reden und reden, man kann über alles reden und seinem eigenen Frust Luft machen, es ändert sich sowieso nichts, aber zumindest ist der Frust vorübergehend einmal abgebaut worden.
Und das hab ich gerade gemacht.
Felios
"Der beste Kenner einer Gesellschaft ist der Fremde, der bleibt." (Georg Simmel)
Hallo Felios, der Hintergrund dieses Aktionismus der Behörden ist aus meiner Sicht wohl begründet und fußt auf einer uralten Tradition. Wenn der Pöbel aufmuckt, wenn er gegen die Herrschenden rebelliert, dann versucht man halt, durch ein perfides Spiel von "Förderung" und "Verurteilung" die menschen in Gruppen zu zwängen und spielt sie gegeneinander aus. Da wird den Armen dann vorgegaukelt, es läge an den anderen Armen, dass sie selbst leiden müssen. Oder man hetzt gegen Schwule, gegen Andersdenkende (siehe die Rote Gefahr), oder, oder, oder - man kann auch Radfahrer gegen Autofahrer hetzen, als wenn alle Autofahrer nie Rad fahren würden. Es ist eine Logik dahinter, und leider funktioniert sie noch heute. Auch in unserer Welt, wo sich eigentlich jeder besser informieren könnte, wo viele Prozesse so durchschaubar sind, wenn man sich damit beschäftigt.
Gerade heute habe ich zum Beispiel eine Reportage zur Schweinegrippe bei Radio Eins gehört. Darin sagte jemand, dass die "normale" Grippe jedes Jahr ca. 20.000 Todesopfer fordert, während die Schweinegrippe gerade mal 135 Menschen das Leben gekostet hat. Wenn man dann die künstlich geschürter Hysterie sich mal ansieht - ist denn so eine Seuchenwarnung nicht überaus praktisch, wenn man den Menschen einreden will, versammelt euch nicht, bleibt zu Hause? Außerdem kann man angesichts der Gefahr des eigenen Todes schon mal einstweilen vergessen, was einem am Staat, an den Herrschenden nicht paßt - hier geht es ja vermeintlich ums eigene Leben.
Unsere derzeitige Gesellschaft, der Kapitalismus hat eine ausgeprägte Vielfalt von Brot und Spiele entwickelt, die allesamt nichts anderes als Ablenkung sind. Und das politische System dient dieser Gesellschaft, der herrschenden Klasse, das war schon immer so. Braucht man also einen Buhmann, schiebt man u.a. ein paar Ausländer ab, geht gegen angeblichen Sozialmissbrauch vor, usw..
Aber zurück zu deinem Beispiel. Da sieht man gut, wie es funktioniert. Lies dir mal die Leserstimmen zu dem Bericht durch. Es gibt genügend, die glauben, es würde ihnen besser gehen, wenn man die Fremden in die Fremde abschiebt. Pöbel hackt auf Pöbel rum - sorry ich bin viel zu fatalistisch heute.
Viele Grüße und ein schönes WE wünscht Schreiberling