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Miss Rainstar Offline




Beiträge: 1.967

29.03.2011 21:21
RE: "Das Ende der Raben" exklusiv fürs Forum Antworten

Hallo, meine Lieben. Mir ist aufgefallen, dass ich nun schon seit einigen Jahren in diesem Forum unterwegs bin. Aus diesem Grunde, und weil es bei mir ja nun endlich mit dem ersten Buch geklappt hat, bekommt ihr -dieses Forum- exklusiv das erste Kapitel des zweiten Bandes zu meinem Roman zu lesen.
Viel Spaß beim Lesen und...über Kommis freu ich mch immer.
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1. Kapitel aus "Das Ende der Raben" (c) Muriel Leland

~Die Begegnung~
Der Morgen begann mit Nebelschleiern und einer dumpfen Stille im Wald. Karan wandte den Kopf von einer Seite zur anderen, um besser lauschen zu können. Doch kein Vogellaut war zu hören, nicht einmal das Knacken von Ästen oder das Rauschen des Windes in den Kronen der riesigen Bäume.
Durch die dicht stehenden alten Riesen drang auch kaum das Licht der aufgegangenen Sonne und Karan seufzte kurz auf. Zu so früher Stunde unterwegs zu sein störte ihn nicht, da er schon die ganze Nacht hindurch lief. Sein geschmeidiger Senkakörper mit der schier unerschöpflichen Energie seiner Jugend steckte so einiges weg. Lächelnd dachte er an die Begleiter seiner Reise durch das Land. Sie waren längst nicht so gestählt wie er, stellte er nun breit grinsend für sich fest. Aber wie sollten sie auch. Waren es doch Menschen verschiedenster Altersstufen und andere Bewohner Sentulons. Nur diese Zwerge nötigten ihm eine gewisse Achtung ab. Sie waren zwar klein und ziemlich rund gebaut, aber ihr Durchhaltevermögen stand dem seinen in nichts nach. Karans Gedanken schweiften ab von der Gruppe, der er angehört hatte, und wandten sich dem Land selbst zu.

Man sagte seinem Stamm nach, dass seine Angehörigen Denker und Philosophen seien. Doch was sollte man in den Bergen auch anderes tun, als über den Lauf der Dinge nachzudenken, schoss es ihm jetzt durch den Kopf. Hier, im alten Wald, gab es doch sehr viel mehr zu erleben und zu erfahren, als in den felsigen Abgründen seines eigenen Lebensraumes. Nun aber war er auf dem Weg zu einem der anderen Stämme. Niemand von allen in Sentulon lebenden Senka wusste mehr, wie sie überhaupt hierher gekommen waren und wann dies geschah. Es lagen nun schon so viele Zeitalter hinter ihnen, dass sie die Jahre nicht einmal mehr mitzählten.
Nur in ihren Liedern und Sagen lebten Gerüchte oder Geschichten, wie es die ganz Alten gern nannten, über ihr Kommen und Gehen in diesem Land.
Karan nickte unbewusst bei dem Gedanken an diese Lieder. Er saß in den Nächten zu gern an den Feuern der Alten und hörte ihnen zu, während draußen in den Schluchten der Gebirge die Geräusche der Nachtjäger erklangen.
Ein jäher Laut durchbrach plötzlich seine Gedanken und Karan blieb so abrupt stehen, dass er für einen kurzen Moment schwankte. Irgendwo neben ihm war in den Tiefen des Unterholzes das Knacken eines Astes zu hören gewesen. Er war sich ganz sicher, da es ansonsten noch immer völlig still im Wald war.
Vorsichtig verlagerte er sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, um einen besseren Stand zu haben. Und da war es wieder. Ein so leises Geräusch, dass Karan sich jetzt völlig sicher war, dass er selbst unter Beobachtung stand. Er hielt den Atem an und verlangsamte seinen Herzschlag. Das Rauschen des Blutes in seinen Ohren verklang und fast sofort wurde es noch ruhiger um ihn herum und er nahm nun jeden auch noch so kleinen Windhauch in seiner Umgebung wahr. Aber mit ihm schien auch die Stille zugenommen zu haben. Nichts war zu hören. So leise wie möglich stieß Karan den angehaltenen Atem wieder aus, dann setzte er seinen Weg fort, wobei er jedoch versuchte keine Geräusche zu machen. Und richtig.
Schon nach ein paar Schritten war wieder ein leises Knacken im Unterholz zu hören. Kopfschüttelnd änderte Karan die Richtung und lenkte seine Schritte nun durch die dicht stehenden Bäume, bis er auf eine kleine Lichtung kam. Dort ließ er sich in der Mitte des Platzes nieder und wartete. Rings um sich herum nahm er leise, tapsende Schritte wahr, die immer wieder durchbrochen wurden von knackenden Ästen und dem Rascheln von Gras.
Allerdings musste er seinen Verfolgern zugestehen, dass sie äußerst geschickt vorgingen. Ein normaler Mensch hätte sehr wahrscheinlich nicht bemerkt, dass er verfolgt wurde. Aber der junge Senka wurde in seinen Erwartungen auch nicht enttäuscht.

Es vergingen die Stunden und außer einigen sehr unmissverständlichen Geräuschen tat sich nichts. Das wenige Licht, welches durch die Bäume sickerte, verging nach und nach und es stellte sich der Abend ein. Karan saß weiterhin fast unbeweglich in der Mitte der Lichtung, inmitten von hüfthohem Gras, das ihm nun im Sitzen das Gesicht bedeckte. Zwar nahm es ihm damit auch die freie Sicht auf den Waldsaum, aber das störte ihn nicht im geringsten. Seine Ohren waren gut genug, um das Geschehen rings um sich richtig einzuordnen. Und genau, wie er es sich gedacht hatte, traten seine Verfolger mit Einbruch der Nacht auf die Lichtung. Er hörte sie fiepen und hecheln, als sie vorsichtig den Schutz des Waldes verließen. Noch konnten sie ihn kaum sehen, da das Gras ihn so gut wie verdeckte. Aber über kurz oder lang würden sie auf ihn stoßen, da sie sich sicher gemerkt hatten, wo er zu finden war.
Karan atmete tief ein und stand auf. Schlagartig verstummten die Geräusche der Herannahenden. Die Dunkelheit bedeckte mittlerweile den ganzen alten Wald und so auch die Lichtung, aber Karans Augen fingen das wenige Licht auf, das von den Sternen kam, und ließen ihn scharf genug sehen, um seine Verfolger zu erkennen.

Verblüfft öffnete er den Mund. Um ihn herum hatten sie sich aufgestellt. In seinem Rücken ebenso, wie zu seinem Angesicht. Aber was er erkennen konnte, ließ sich nicht in die Dinge einordnen, die ihm bekannt waren. Da kauerten zu seinen Füßen Kreaturen, die völlig unförmig und unecht aussahen. Karan erkannte Köpfe von Echsen, Bären und sogar einem Berglöwen auf Körpern von Menschen, Pferden oder riesigen Hunden. Und auch noch andere, völlig undefinierbare Gestalten waren dabei.
„Was …“, er brach den Satz ab und starrte die Kreaturen verwirrt der Reihe nach an, als hinter ihm ein Brüllen ertönte, das in seinen Ohren widerhallte. Erschrocken fuhr der Senka herum und stand nun Auge in Auge einem Wesen gegenüber, aus dessen halb geöffnetem Maul Geifer troff. Im fahlen Sternenlicht blinkten die überlangen Eckzähne des Tieres. Des Tieres?
Karan war sich nicht sicher, ob es ein Tier war, da aus dem dicht bepelzten Körper menschliche Arme und Beine ragten. Der Kopf jedoch gehörte einem Wesen, dass er in Sentulon so noch nie gesehen hatte. Und von dem er auch noch nie hatte reden hören. Er konnte nicht einmal feststellen ob dieser Kopf menschlichen oder tierischen Ursprungs war. Das Wesen stieß noch einmal ein bedrohliches Grollen aus und machte einen Schritt auf den Senka zu. Karan versteifte sich.
Er vertraute seinen Fähigkeiten gut genug, um nicht sofort zu seinen Waffen zu greifen. Und das schien auch gut zu sein, denn die Kreatur blieb stehen und verstummte. Auch die um ihn herum verstreut stehenden anderen Wesen hielten in ihren Bewegungen inne. Sie schienen die Reaktion dieser einen Kreatur abzuwarten, welche Karans Blick festhielt.
Der junge Senka bereitete sich innerlich darauf vor, gegen alle auf einmal kämpfen zu müssen, dabei hatte er nicht einmal zählen können, wie viele von den Wesen ihn nun tatsächlich umringt hatten. Währenddessen ließ er jedoch keinen Moment den Blick von dieser einen Kreatur, die sich, offenbar nervös, mit der langen Zunge über die Lefzen leckte. Und wieder stieg ein leises Grollen aus der Kehle dieses Wesens. Sie fixierten sich gegenseitig und hielten ihre Blicke gefangen. Irgendwann wurde das Grollen leiser, bis es schließlich ganz erstarb. Die Kreatur hob die Schnauze und sog prüfend die Nachtluft ein. Dann wendete sie sich überraschend um und trottete zurück zum Wald.
Zögernd, und immer wieder zu dem Senka zurückblickend, folgten ihr die anderen Wesen, bis Karan endlich wieder allein war. Erst jetzt gestattete er es sich, wieder tiefer zu atmen. Es war ihm die ganze Zeit gar nicht bewusst geworden, dass er kaum noch Luft geholt hatte. Seine Lehrer wären über diesen Umstand gar nicht erfreut gewesen, hatten sie ihm doch immer die völlige Kontrolle seines Körpers in jeder Situation gepredigt.
Warum diese Kreaturen letztendlich nicht angegriffen hatten, blieb Karan trotz angestrengtem Nachdenken ein Rätsel. Letztendlich entschied er sich für die Möglichkeit, dass sein Kräftemessen mit dem offensichtlichen Anführer dieser Gruppe, zu seinen Gunsten ausgegangen war. Solcherlei Geschichten hatte er auch von den Ältesten und von den Spähern der Stämme hin und wieder gehört. Also konnte es doch so unmöglich gar nicht sein.
Dennoch war er froh, dass seine Lehrer nicht gesehen hatten, wie unerfahren er doch noch reagiert hatte.
Karan wartete noch eine ganze Zeit, bis auch das letzte Geräusch verklungen war und er sich ganz sicher sein konnte, wieder allein zu sein. Dann verließ auch er die Lichtung und begab sich zurück auf seinen zuvor eingeschlagenen Pfad. Unterwegs nahm er sich vor, sofort einen der Alten zu konsultieren und von diesen verrückten Gestalten zu berichten. Niemand von den Bergstämmen hatte ihm oder einem anderen Boten je von solchen Kreaturen erzählt. Wie konnte es sein, dass sie vielleicht gar nichts von ihnen wussten?

Vor und hinter ihm schloss sich die Dunkelheit des Waldes und der Nacht zu einer undurchdringlichen Wand. Karan sah mittlerweile nichts anderes mehr außer dieser Schwärze. Doch seine in unzähligen Übungen geschärften Sinne zeigten ihm weiterhin den richtigen Weg. Und dieser Weg führte ihn immer tiefer in den alten Wald hinein.
Dorthin, wo noch nie ein Mensch seinen Fuß hingesetzt hatte. An einen Punkt, von dem die Menschen nicht einmal wussten, dass es ihn gab. Einer der letzten Rückzugsorte der Senka. Des Hauptstammes der Senka, berichtigte Karan sich selbst in Gedanken. Schon früh lernten die Jungen der Nebenstämme von den Alten, wo ihre Wurzeln lagen. Karan war aufgeregt. Und auch das hätte seinen Lehrern nicht gefallen. Ein Senka hatte immer gefasst zu erscheinen. „Pff …“, er stieß mit einem Zischen Luft zwischen den Zähnen aus. Gefasst und gesittet sollten sie sein. Grinsend dachte er an die anderen Jungen seines Stammes. Es waren nicht viele. Aber zusammen, und vor allem ohne einen der Alten in der Nähe, waren sie alles andere, als gefasst und gesittet. Aber aufgeregt war er nun trotzdem. Zum ersten Mal würde er den Mittelpunkt des alten Waldes sehen.
Und zum ersten Mal würde er Angehörigen des Hauptstammes begegnen. Während seine Füße fast ohne sein Zutun dem unsichtbaren Weg folgten, hing er seinen Gedanken nach, als sich plötzlich eine Schlinge um sein linkes Fußgelenk legte und ihn abrupt in die Höhe zog.
Die Überraschung presste ihm die Luft aus den Lungen und ein stechender Schmerz durchzog sein Bein. Aber er gab keinen Laut von sich. Stumm, mit zusammengebissenen Zähnen schwang er an einem der großen Bäume hin und her und versuchte, in dem Dunkel der Nacht etwas zu erkennen.
Dann beugte er seinen Oberkörper und hangelte sich mit einiger Anstrengung an dem feinen Seil nach oben, bis er den Ast erreichte. Als er endlich auf der rissigen Borke des Astes zu sitzen kam und sich die Schlinge vom Fuß entfernte, ertönte ein leises Klatschen vom Fuß des Baumes. Karan erstarrte, jemand applaudierte ihm. Und ein ebenso leises und feines Lachen ertönte noch zusätzlich. „Du kannst herunterkommen“, hörte er eine sanfte Stimme. „Wir tun dir nichts.“
Aber Karan blieb stumm sitzen. Von unten war ein Seufzen zu hören, dann folgte ein Singsang. „Je thu moi. Je thu moi ahran…“
Karan horchte auf. Er kannte dieses Lied und auch die Sprache, leise fiel er ein, dann kletterte er am Stamm hinunter. Unten erwarteten ihn drei dunkle Gestalten. Vergebens versuchte Karan, im Dunklen etwas zu erkennen. Wieder hörte er das feine Lachen und die sanfte Stimme wandte sich ihm zu. „Wir folgen dir schon seit zwei Tagen“, sagte sie mit einem erheiterten Unterton. Gleich darauf glomm ein kleiner Lichtpunkt auf, der auf einer Handfläche tanzte und die Gesichter ringsum beleuchtete.
Karan erkannte jetzt die Gestalten und flammende Röte überzog sein Gesicht. Es waren Senka in Spähertrachten. Ihre hellen Haare leuchteten in dem weißen Licht, dass einer der Drei hochhielt. Sie lächelten ihn freundlich und doch deutlich erheitert an und Karan senkte den Kopf.
„Du bist sehr jung“, stellte die sanfte Stimme fest und Karan erkannte jetzt endlich den Sprecher. Es war der größte der Drei und er hielt auch den Lichtpunkt. Dann ließ er das Licht verlöschen und ein Arm legte sich auf Karans Schulter. „Komm, es ist nicht mehr weit“, sagte eine andere Stimme neben ihm und sie liefen los. Glücklicherweise reichten Karans Sinne aus, um den drei Spähern in der Dunkelheit folgen zu können. Beschämt musste er bei jedem Schritt daran denken, dass er sie zwei Tage lang nicht entdeckt und bemerkt hatte.

Während sie in der Dunkelheit liefen, schwiegen sie. Erst als der Morgen schon so weit fortgeschritten war, dass fahles Licht den Nebel im dichter werdenden Wald durchdrang, legten sie eine Pause ein und setzten sich zusammen. Der große Senka entzündete ein kleines Feuer und seine Gefährten öffneten ihre mitgeführten Hüftbeutel.
Auch Karan nahm sich etwas von seinem Proviant, als ihr Anführer ihm etwas reichte. Karan sah auf und betrachtete das zusammengeschrumpelte Ding in der Hand des Senka.
„Eine Shotafrucht“, sagte die sanfte Stimme und sein Gegenüber lächelte. „Da, wo du herkommst, können sie nicht überleben. Probier sie.“ Überrascht griff Karan nach der Frucht und befühlte sie. Ihre getrocknete Haut war trotz der Furchen und Falten samtig und weich, doch ihre Farbe machte so gar keinen Appetit. Das erdige Braun der Frucht ging teilweise in schwarze und graue Flecken über. Vorsichtig roch Karan daran und zog die Augenbrauen hoch. Die Frucht gab einen süßlichen und aromatischen Duft von sich. Nun endlich getraute er sich, hineinzubeißen. Der zarte Geschmack überwältigte ihn fast sofort. Und das erste Mal in seinem Leben tat es ihm leid, dass er schon nach dem ersten Bissen fast satt war.
Der große Senka, der ihn beobachtet hatte, lachte leise. „Gut, du bist jetzt satt und gestärkt.“ Die anderen beiden verschnürten auch wieder ihre Hüftbeutel, dann sahen sie ihn alle drei an. Karan wurde schon wieder rot, was seinen Begleitern ein Lächeln ins Gesicht trieb.
„Warum hast du uns nicht bemerkt?“, fragte einer der beiden anderen. Karan schluckte, doch als er antworten wollte, fiel ihm der große Senka ins Wort. „Wo sind deine Manieren geblieben Felchis?“, fragte er. Dann wandte er sich an Karan. „Wir sind die äußeren Späher von Mithlaran. Ich bin Jennai.“ Er verbeugte sich leicht vor Karan.
„Ich bin Felchis“, kam es von dem anderen Senka.
„Und ich bin Caradon“, sprach nun auch das erste Mal der Dritte in ihrer Runde. Auch diese beiden verbeugten sich leicht im Sitzen. Karan tat es ihnen gleich. „Ich bin Karan aus den südlichen Bergen.“ Jennai nickte. „Ja, das wissen wir. Wir haben dich schon erwartet.“ Mit diesen Worten stand er auf und befestigte seinen Hüftbeutel an seinem geflochtenen Gürtel. Karan und die anderen beiden erhoben sich ebenfalls.
„Heute Abend erreichen wir unser Ziel“, sagte Jennai und sah Karan prüfend an. Karan spürte, wie er schon wieder rot wurde. Da hatte dieser Senka eine so weiche Stimme und einen so leichten Körperbau, dass man seine wahren Kräfte nicht einmal erahnen konnte und dann musste er erkennen, dass er nicht im Mindesten mit diesem Waldläufer mithalten konnte.
Denn das hatte Karan in den letzten Stunden gespürt. Dass er nicht einmal im Ansatz so kraftvoll und ausdauernd war, wie diese drei Späher. Jetzt im Tageslicht erkannte Karan noch viel mehr Unterschiede zwischen sich und den Waldläufern.
Er selbst trug einen grau gemusterten Überwurf, der aus warmem Birafell gemacht war, einem kleinen Gebirgstier, das in den schmalen Spalten der Gletscher zuhause war. Und auch der Rest seiner Kleidung war eher grau und unauffällig. Die drei Späher dagegen trugen leuchtende und schillernde Wämse in allen möglichen Grüntönen und ihre Ausrüstung gab das warme Braun der Erde wieder. Selbst ihr Körperbau unterschied sich erheblich. Waren die Waldsenka anscheinend alle sehr groß und feingliedrig, so musste Karan jetzt einsehen, dass er selbst und sein Stamm doch eher untersetzt und kräftig schien.
„So hat jeder von uns sich seinem Lebensraum angepasst“ erklang plötzlich Jennais Stimme und Karan zuckte zusammen. „Wie hast du …“, er brach ab. Hatte er etwa laut gesprochen, anstatt nur in Gedanken zu sein? Aber Jennai lachte leise. „Ich beobachte viel“, sagte er entschuldigend und Karan verstand langsam einen winzigen Teil von Jennais Wesen. Er spürte, wie ihn dieser so andere Senka immer mehr in seinen Bann zog.

Schweigend folgten sie immer weiter einem Pfad, der nicht zu erkennen war und das Tageslicht wanderte ihnen entgegen. Während sie liefen, versuchte Karan, sich die Umgebung genauestens einzuprägen und die Eigenheiten des alten Waldes zu erkennen. Aber schon bald musste er enttäuscht aufgeben. Der Wald war einfach zu dicht und verwachsen, als dass man sich auch nur einen Bruchteil davon hätte merken können.
Und er wurde noch immer dichter. Irgendwann, als Karan schon glaubte sie würden im Unterholz einfach verloren gehen, öffnete sich urplötzlich das Dickicht vor ihnen. Im letzten fast dunkelrot gefärbten Sonnenlicht lag eine weite Ebene vor ihnen, in deren Mitte sich eine schroffe Felsformation erhob.
„Das ist ja unglaublich“, entfuhr es Karan überrascht, als er das Gebilde vor sich sah. Jennai lachte. „Beeindruckend, nicht wahr?“ Es schwang so etwas wie Stolz in seiner Stimme mit und auch Caradon und Felchis lächelten breit. Sie waren stehen geblieben und ließen Karan Zeit, um das Bild in sich aufzunehmen.
Und Karan tat dies. Er sog es förmlich in sich hinein.
Sie standen leicht erhöht und die Ebene unter ihnen schien sanft gewellt zu sein. Sie war mit Buschwerk, kleineren Bäumen, hohem Gras und wunderlichen Blumen bewachsen. Durchbrochen wurde diese Einheit immer wieder durch kleinere Wäldchen und Erhebungen, auf denen wiederum Pflanzen wuchsen, die Karan gänzlich unbekannt waren. Das Felsgebilde schien riesig zu sein und war komplett von einem Waldsaum umgeben, der keinen Eingang und keinen Weg hinauf erkennen ließ. Doch als Karan seinen Blick auf die Spitze des Berges lenkte, stockte ihm der Atem. Auch dort wuchs ein dichter Wald, aber mittendrin konnte Karan dank seiner scharfen Augen Leben erkennen.
„Komm.“ Jennai unterbrach ihn nun doch und lief voraus. Seine Gefährten folgten ihm, und als Letztes machte sich Karan daran, in die Ebene hinabzusteigen. Allerdings hatte der junge Senka die Entfernung völlig unterschätzt. Es dauerte noch einmal eine ganze Nacht, bevor sie am Fuße des Felsens ankamen.
„Mithlaran“, sagte Felchis lächelnd, „ist der Platz, wo alles begann und alles enden wird.“ Sie standen vor einem schmalen Pfad, der halb verwachsen und verwildert den Berg hinaufführte. „Bist du bereit?“ Jennai sah Karan fragend an und der junge Bote aus den Bergen nickte beklommen. Er würde hier den ältesten Senka gegenübertreten müssen, die es gab. Niemand, außer ihnen selbst, wusste noch, wie alt genau sie waren.
Und zum ersten Mal in seinem Leben spürte Karan die Last der Jugend. Er atmete tief ein, „Gehen wir.“
Jennai nickte ihm aufmunternd zu und lief dann voran. Zu zweit bestiegen sie den Pfad, der sich teilweise sehr steil den Berg emporwand. Felchis und Caradon hatten sich noch am Fuße des Massivs von ihnen verabschiedet und gingen ihren Aufgaben nach.
Mit großen Augen betrachtete Karan während des Aufstieges seine Umgebung. Obwohl auch dies ein Felsen war, konnte der Unterschied zu seinen Heimatbergen nicht größer sein. Selbst die Zusammensetzung des Steins schien hier eine andere zu sein. Waren die Felsen in den südlichen Bergen grau, verwittert, spröde und in sich selbst zerrissen, so leuchtete der Stein hier unter den Wurzeln der Pflanzen rötlich, braun und auch orange auf. Zusammen mit dem Farbenreichtum der Natur machte dies einen Eindruck auf Karan, auf den ihn nie jemand vorbereitet hatte.

Nach einem halben Tagesmarsch erreichten sie endlich das Plateau des Berges. Und nichts hätte Karan auf das vorbereiten können, das er hier sah. Trotz des dichten Waldes, der sich auch hier ausgebreitet hatte, explodierte das Plateau vor Farben und Geräuschen. Karan blieb überwältigt stehen. Zwischen den Bäumen rankten sich ihm Blumen aller Arten entgegen und in den Ästen über ihm sangen und riefen Vögel, die er beim besten Willen nicht erkannte. Immer wieder entdeckte er alle möglichen Tiere im Unterholz und in den Sonnenflecken zwischen den Baumstämmen, tanzten scharenweise grazile Insekten. Doch trotz der lebensstrotzenden Geräusche breitet sich in Karan fast sofort eine friedliche Ruhe aus, die er vorher nicht gekannt hatte. Seine Augen leuchteten und der Schlag seines Herzens wurde langsamer.
„Siehst du, das ist das Herz des alten Waldes“, sagte Jennai leise. „Komm, wir müssen weiter.“ Er wollte vorangehen, doch Karan hielt ihn zurück. „Irgendetwas ist hier anders.“ Der junge Senka sah Jennai verwirrt an. „Ich, ich …“, er stotterte und brach ab und Jennais Lächeln wurde breiter, und schließlich grinste er über das ganze Gesicht.
„Natürlich. Hier ist das Herz des Waldes. Hier ist alles etwas anders, du wirst es noch sehen“, er griff nach Karans Schulter und schob ihn voran. Und je näher sie der Mitte des Plateaus kamen, desto verwirrter wurde der junge Senka.

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Ich würde gern wissen, wie es euch gefallen hat. danke

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Der Weg der Drachen - mein Roman

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