Wieder mal was Lokales aus Berlin. Hier gab es am vergangenen Wochenende Übergriffe der Polizei auf Bürger, die nicht tolerierbar sind.
ZitatAUGENZEUGENBERICHT "Das hätte ich nie auch nur im Entferntesten für möglich gehalten"
Steve Winkler
Ich bin 40 Jahre alt und in dieser Zeit nie straffällig geworden oder sonst wie auffällig gewesen. Meine Akte vermerkt ein vierwöchiges Fahrverbot und einen Punkt in Flensburg. Ich arbeite seit Jahren als freier Journalist und Dolmetscher/Übersetzer. Ich habe keine Glatze, bin nicht tätowiert und stehe politisch links, falls das hier überhaupt von Bedeutung ist. Am Wochenende bestand meine Aufgabe darin, unsere Gäste aus Schweden und Schottland zu betreuen und für sie zu dolmetschen. Das vor allem war auch der Grund meines Aufenthaltes im Jeton.
Gegen 1.30 Uhr dann der Einsatz, der aus meiner Sicht folgendermaßen ablief. Mit dem Ruf "Alles auf den Boden, Ihr Fotzen!" stürmten vermummte Einsatzkräfte die 2. Etage. Keiner wusste, was los war, blankes Entsetzen. Wer die Lage nicht erkannte und sich nicht gleich hinschmiss, wurde sofort mit dem Knüppel bearbeitet. Es wurden keinerlei Unterschiede gemacht zwischen Männern und Frauen, schmächtigen Jugendlichen und kräftiger gebauten älteren Semestern, kurz- und langhaarigen, tätowierten oder "unbefleckten" Bürgern. Es war egal, alles lag auf dem Boden, der teilweise übersät war mit Scherben, in den Lachen der verschütteten Getränke.
Es gab auch nicht den geringsten Versuch des Widerstandes, nach maximal 30 Sekunden lag alles, und die Ersten bekamen auch schon Kabelbinder verpasst. Auf Anfragen, was das alles zu bedeuten hätte, bekam man entweder keine Auskunft oder Antworten wie: "Fresse halten, sonst kriegste richtig.", "werdet ihr schon früh genug erfahren", "stell dich doch nicht dümmer, als du bist". Anfragen zu Dienstnummern oder Verantwortlichen wurden, unter höhnischem Grinsen, mit "110" oder "Polizeipräsident Berlin" beantwortet. Leuten, die auf dem Bauch lagen, die Hände auf dem Rücken gefesselt, wurden als Antwort auf ihre Fragen mit dem Gesicht auf den Boden geschlagen.
Nach zirka einer Stunde durften dann einige Leute, darunter auch ich, aufstehen, man konnte sich umsetzen. Ignoriert wurde mein Hinweis, dass ich Journalist sei und und mich auch als solcher ausweisen könne. Nachdem ich irgendwann die Ansage "Halt jetzt endlich das Maul, sonst legen wir dich zusammen!" erhielt, gab ich auf.
Ich sah mehrere Personen, die deutlich gezeichnet waren. Nach etwa drei Stunden durften die Frauen gehen. Ungefähr zur gleichen Zeit erschienen Pressevertreter und begannen, Fotos zu machen. Gegen 6 Uhr wurden alle Leute einzeln nach unten geführt. Mir wurden im Eingangsbereich alle persönlichen Gegenstände abgenommen, ich wurde fotografiert, in einen Gefangenentransporter gesteckt. Dann ging es zur Keibelstraße, dort musste man in einen anderen Transporter umsteigen, der nach Tempelhof fuhr. Nochmalige Anfragen zum Grund der Verhaftung wurden mit "Gefahrenabwehr" und "Befehl des Polizeipräsidenten" beantwortet. Nachfragen zur Art der Gefahr und was ich damit zu tun hätte, wurden ignoriert.
Gegen 8 Uhr - nach zwei Stunden im Gefangenentransporter, immer noch gefesselt! - wurden die Leute einzeln aus den Knastwagen geholt. Die Einsatzkräfte in Tempelhof verhielten sich korrekt. wir durften rauchen, austreten gehen, es gab Getränke und irgendwann auch Essen. Nach einigen Stunden verlangte ich, einen Verantwortlichen zu sprechen, der mir Auskunft über den Grund meiner Verhaftung geben könnte. Erst hieß es: "Das erfahren Sie von unserem Vorgesetzten." Später: "Das erklärt Ihnen der Haftrichter." Weder den einen noch den anderen bekam ich je zu Gesicht. Beamte meinten mir gegenüber: "Lasst Euch das auf keinen Fall gefallen, erstattet Anzeige!" Gegen 20 Uhr wurden wir entlassen, ohne einem Richter vorgeführt worden zu sein. Man bekam keine Namen, kein Schriftstück, das den knapp 19-stündigen Aufenthalt im Polizeigewahrsam bestätigt oder begründet hätte.
Was ich erlebt habe, hätte ich nie auch nur im Entferntesten für möglich gehalten. Dabei sind die Schilderungen anderer Betroffener noch dramatischer. So war zu hören, dass sich Leute in die Glasscherben legen mussten und man ihnen ärztliche Behandlung verweigerte. Der Einsatz war unglaublich brutal. Was die Beamten ablieferten, erinnerte an Szenen, wie ich sie aus Fernsehberichten über den Putsch in Chile in Erinnerung habe. Innerhalb eines Tages habe ich jegliches Vertrauen in unseren Rechtsstaat und seine Organe verloren.
Ähnlich wie in London versuchte die Polizei zunächst die Übergriffe auf die Bevölkerung zu vertuschen , in dem Lügen in Umlauf gebracht wurden. So hieß es zunächst, randalierende Fußballfans hätten Beamte mit Gläsern und Barhockern angegriffen. Die Realität sieht aber anders aus.
Es ist wichtig, dass diese nur in Diktaturen übliche Polizeigewalt sofort unterbunden wird. Solche Straftaten von Polizisten müssen zur sofortigen Entlassung und Strafverfahren führen.
ZitatBlutige Razzia: Polizei misstraute eigenen Leuten Präsident Glietsch muss sich zu Hooligan-Einsatz äußern
Andreas Kopietz und Lutz Schnedelbach
Eine Woche nach der Razzia gegen Hooligans muss Polizeipräsident Dieter Glietsch heute vor dem parlamentarischen Innenausschuss Rede und Antwort stehen. Bei dem Einsatz am 21. August in der Friedrichshainer Diskothek Jeton waren 158 Menschen festgenommen worden. 21 wurden zum Teil schwer verletzt. 100 SEK-Beamte aus Berlin, Brandenburg und Niedersachsen hatten das Lokal gestürmt. 76 Anzeigen wurden gegen Polizeibeamte erstattet.
Den Polizeieinsatz hatte Glietsch zunächst als gelungen bezeichnet. Doch inzwischen stellen sich immer mehr Fragen. Möglicherweise wäre die Razzia weniger blutig verlaufen, wenn Zivilbeamte im Vorfeld die Räume und das Publikum genauer angeschaut hätten, wie sonst üblich. Doch Beamte eines Mobilen Einsatzkommandos sollen lediglich gemeldet haben, alles sei "voller Hooligans". Eine differenzierte Einschätzung hätte die polizeiliche "Ermittlungsgruppe Hooligan" liefern können. Sowohl diese als auch die "AG Türsteher" der Polizei sind im Jeton regelmäßig auf Streife. Doch anders als sonst waren diese szenekundigen Beamten vor dem Einsatz nicht informiert worden. Die Polizeiführung hatte ihren Spezialisten misstraut, weil einer von ihnen Informationen an die Szene geliefert haben soll.
Keine Zeit für Aufklärung
Nach der Razzia hatte der SEK-Kommandoführer erklärt, für die Aufklärung sei zu wenig Zeit gewesen. Erst am Vormittag seien seine Leute informiert worden. Das ist verwunderlich, weil der Razzia-Termin schon drei Tage zuvor feststand: Der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten (Geschäftsnummer 49 AR 112/2005 ASOG) datiert nämlich vom 18. August. Innerhalb des Landeskriminalamtes (LKA) ist man auch über die Polizeitaktik verwundert. "Es ist üblich, den Einsatzort aufzuklären, um zu wissen, was einen erwartet", sagen Fahnder. Geregelt ist dieses Vorgehen in der Polizeidienstvorschrift "PDV 100", die für Polizisten in allen Ländern und dem Bund gilt. Dort steht auch, dass Personen, "die von weiteren Maßnahmen wahrscheinlich nicht betroffen sein werden", zuerst zu überprüfen seien. Dennoch wurden viele unbeteiligte Gäste mitgenommen und erst am Abend entlassen.
"Reingehen und alles zerlegen?"
Als die 100 SEK-Beamten gegen 1.30 Uhr die Diskothek stürmten, befanden sich 580 Personen in dem dreigeschossigen Haus. Die Beamten warfen allerdings nicht nur Hooligans auf den Fußboden, sondern auch Besucher von privaten Feiern und Gäste, die einfach nur das Angebot "alle Cocktails für 15 Euro" nutzen wollten.
Nach dem Einsatz verstrickte sich die Polizei in Widersprüche. Die anfängliche Behauptung, dass die Beamten auf "massivsten Widerstand" gestoßen seien, zog sie inzwischen zurück. Unterschiedliche Aussagen gibt es noch über die Anzahl der festgenommenen Hooligans. Die Polizei teilte zunächst mit, dass sie 70 gewaltbereite Personen in Gewahrsam genommen habe. Inzwischen heißt es, dass Namen doppelt erfasst wurden. Die tatsächliche Zahl würde sich also weiter reduzieren.
Anwälte der Festgenommenen werfen der Polizei vor, zu wenige Bereitschaftsrichter benachrichtigt zu haben, weshalb Unschuldige stundenlang einsaßen. Anfragen zu den Vorwürfen ließ Polizeipräsident Glietsch in den vergangenen Tagen unbeantwortet. Erst heute will er sich im Ausschuss äußern - beim Tagesordnungspunkt "Besondere Vorkommnisse", auf Antrag der Grünen. "Wir wollen wissen, wie die Einsatzkräfte informiert worden sind", sagt Fraktionschef Volker Ratzmann. "Ich habe den Eindruck, dass sie im Ungewissen gelassen wurden." Die Aufgabe habe deshalb möglicherweise darin bestanden, "da reinzugehen und alles zu zerlegen", so Ratzmann.
Die Polizei ist offensichtlich unkooperativ und mauert. So behaupten die Beamten, für eine genaue Sondierung des zu überprüfenden Lokals habe keine Zeit bestanden, obwohl die Razzia seit Tagen geplant war, wie der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichtes es beweist.
Gestern gab es die Anhörung vor dem Berliner Parlament. Es wäre eigentlich eine gute Chance gewesen, die eindeutigen Übergriffe der Polizei zu verurteilen. Doch "unsere" Abgeordneten glänzten durch Interessenlosigkeit. Einzig die GRÜNEN bohrten nach.
Zitat"... das sind alles auch nur Menschen" War die Razzia gegen BFC-Fans zu hart? Im Parlament gab es gestern dazu ein paar Neuigkeiten
Andreas Kopietz
Die Angst vor den BFC-Anhängern war groß. In einem Nebenzimmer des Sitzungssaals hielt sich sicherheitshalber eine Gruppe Polizisten bereit, mit Helmen und Schlagstöcken. Es hätte ja sein können, dass die Besucher der Innenausschuss-Sitzung gestern Vormittag im Abgeordnetenhaus einen Tumult veranstalten würden. Doch die Vereinsmitglieder des Berliner Fußballclubs Dynamo, die Fans und Rechtsanwälte gaben nicht ein Störgeräusch von sich, als Polizeipräsident Dieter Glietsch vor dem Ausschuss Stellung nahm zu der Razzia am 21. August in der Diskothek Jeton.
Glietsch sollte sich auf Antrag der Grünen zu Vorwürfen äußern, wonach seine Leute brutal und überzogen vorgegangen seien. Inzwischen gibt es 76 Strafanzeigen gegen Beamte, die meisten wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Erneut erklärte der Polizeipräsident: "Der Einsatz wurde professionell vorbereitet und verantwortungsbewusst durchgeführt." Erneut betonte er auch, dass damit schwere Ausschreitungen verhindert worden seien - beim späteren Spiel des BFC gegen den 1. FC Union in Köpenick.
Erstmals äußerte sich auch SPD-Innensenator Ehrhart Körting, der die Razzia "ausdrücklich unterstützt". Er könne nicht ausschließen, dass ein Beamter "auch mal falsch reagiert hat, das sind alles auch nur Menschen", sagte er. "Aber bis zu einer Verurteilung gilt für meine Mitarbeiter der Grundsatz der Unschuld."
Eigentlich hatten sich die Grünen Antworten erhofft. "Doch es sind auch nach dieser Ausschusssitzung viele Fragen ungeklärt", sagt Fraktionschef Volker Ratzmann, der alles andere ist als ein Hooliganfreund. "Zum Beispiel, warum es bei dem Einsatz so ungewöhnlich viele Verletzte gab, obwohl das SEK gut ausgebildet ist und die Diskobesucher keinen Widerstand geleistet haben. Unklar ist, wie viele von den Verletzten gewalttätige Fans sind."
In ihrer ersten Pressemeldung hatte die Polizei ihren Einsatz gelobt ("Polizei setzt Zeichen!"). Doch inzwischen treten immer mehr Pannen und Widersprüche zu Tage. Gestern nun räumte Glietsch ein, dass es versäumt wurde, genügend Bereitschaftsrichter zu benachrichtigen (wir berichteten). Deshalb saßen viele unbeteiligte Diskobesucher bis spätabends hinter Gittern. "Wenn Unbeteiligte betroffen waren, bedauere ich das ausdrücklich und habe auch kein Problem damit, mich bei ihnen zu entschuldigen", sagte der Polizeipräsident. Er korrigierte gestern auch eine frühere Behauptung seines SEK-Chefs einen Tag nach dem Einsatz. Auf einer Pressekonferenz hatte dieser die Frage, ob eine Blendgranate zwischen die Besucher geworfen worden sei, verneint. Jetzt sagte Glietsch: "Zur Ablenkung wurde ein Irritationskörper gezündet" - zu gut Deutsch: eine Blendgranate. Bereits einen Tag nach der umstrittenen Razzia hatte die Polizei ihre Aussage zurückziehen müssen, wonach die Beamten auf "massivsten Widerstand" gestoßen seien.
Zum Schluss bekam vor dem Ausschuss auch der Fanbeauftragte des BFC fünf Minuten Redezeit. Rainer Lüdtke verlas in den folgenden 25 Minuten eine Erklärung, in der er seine Sicht auf die Razzia darstellte. Er sagte, dass die Polizei den Einsatz mit Hooligangruppen begründet habe, die seit Jahren nicht mehr bei BFC-Spielen auftauchen würden. Er sagte, dass die Polizisten gezielt auf Kopf und Arme geschlagen hätten. Er sagte auch, dass die Festgehaltenen - anders als von der Polizei behauptet - nicht auf die Toilette gehen durften, sondern ihre Notdurft in Sektkühlern verrichten mussten.
Doch für derlei offene Fragen interessierten sich bis auf die Grünen die meisten Abgeordneten nicht mehr. Sie rutschten ungeduldig auf ihren Stühlen hin und her, denn die Mittagspause stand an. "Ich hätte auch polnisch reden können, die hätten mich ebenso wenig verstanden", sagte Lüdtke. Sprach's und ging mit den anderen BFC-Leuten kopfschüttelnd aus dem Sitzungssaal. Die Tumulte wütender BFC-Fans blieben aus. Die Polizisten brauchten ihr Nebenzimmer nicht zu verlassen.
Offensichtlich ist weder die Politik, noch die Polizeiführung an der Aufklärung der Übergriffe der Polizei auf ordentliche Bürger interessiert. Da stellt sich mir die Frage, wo wir eigentlich leben, in einem Rechtsstaat?
PS: Die Aktion war ja länger geplant, und hier in Berlin gibt es selbst unter Polizisten einige, die diese Aktion als einen Rachefeldzug der Polizei gegen BFC-Fans sehen. Während einem vorangegangenen Fußballspiel gab es Randale, bei denen mehrere Polizisten zum Teil schwer verletzt wurden. Dieselbe Einheit führte zumindest die Razzia durch.