Heute, am Karfreitag gegen 19.00 Uhr schläft ein Obdachloser an einer Haltestelle der Straßenbahn mitten im Zentrum von Berlin. Touristen steigen ein und aus, gehen achtlos vorbei. Nur wenige nehmen Notiz von diesem Menschen. Ein paar Meter weiter findet man teure Designerläden, wo ein Kleid mal schnell über tausend Euro kostet, Restaurants mit edelsten Speisen. Dieser Mensch hat nicht einmal ein Bett und ein Dach über dem Kopf.
So wie ihm geht es mittlerweile allein in Berlin mehr als zehntausend Menschen. Eine Kleinstadt voll, die irgendwo auf den Straßen, in den Parks und Tunneln, unter den Brücken dieser Stadt dahin vegetiert.
Eine Gesellschaft muss sich daran messen lassen, wie sie mit den Ärmsten der Ärmsten umgeht. Es wird bei uns zunehmend kälter und herzloser. Ein Weg in die falsche Richtung wie ich finde. Auch daran sollten wir denken, wenn wir das Osterfest feiern. Wir haben es in der Hand, uns zu ändern.
Okay, Jürgen, dann beschreibe doch mal bitte Deine Vorschläge, wie man an der Situation etwas ändern soll. Und beschreibe auch bitte nach Möglichkeiten der Finanzierung. Nichts für ungut, ich halte positives Denken für toll, aber sollte man sich nicht auch immer fragen, warum die Menschen dort hin (auf die Straße) gekommen sind? Ist immer die Gesellschaft schuld? Deine Einleitung ist mir zu eindimensional, zu sehr weltverbesserisch. Davon habe ich genug mitbekommen auf der Uni bei den Pseudo-Philosophen, die dann selbst aber rein gar nichts geändert haben. Hast Du dem Obdachlosen nach dem Fotoschuß aufgeholfen? Hast Du ihm zu essen und zu trinken gegeben? Hast Du ihn mit zu Dir nach Hause genommen, damit er von nun an dort leben kann? Das sind ja auch alles Fragen, die man sich stellen sollte. Ich für meinen Teil gebe unumwunden zu (auch wenn es für manchen schändlich klingt), dass ich grundsätzlich an Obdachlosen vorbei gehe und ebenfalls grundsätzlich nichts gebe. Das heisst nicht, dass ich kalt bin. Nur kann ich nicht das Schicksal eines jeden einzelnen verbessern. Das sehe ich nicht als meine Aufgabe an. Ich kümmere mich um die, die mir nahe stehen. Das ist wahrlich Aufgabe genug.
vielen Dank für Deine Antwort und in deinem Schlussabsatz sehe ich, dass wir gar nicht so weit auseinander liegen in unserem Handeln. Aber zunächst mal möchte ich deiner Aufforderung gern nachkommen. Es gibt jede Menge Vorschläge, wie man das Leben an sich lebenswerter macht. Nur sie scheitern an einer grundsätzlichen Frage, am Gesellschaftssystem schlechthin. Zur Zeit unterwerfen wir uns ob wir wollen oder nicht dem Diktat des Geldes. Es geht immer nur noch um Kohle - als wenn man Geld essen könnte, als wenn Geld glücklich macht. Die Anhäufung von Geld wird als das oberste Ziel zumindest bei den sogenannten "Eliten" unserer Gesellschaft angesehen. Und damit man es anhäufen kann, muss es irgendwo abgezwackt werden, manche sagen "es muss verdient werden". Hierbei geht es nur um Verteilung - denn Geld als solches wächst nicht nach - es ist kein Rohstoff, den man gewinnen kann.
Und da muss man ansetzen. Geld ist genug da in unserer Gesellschaft. Es ist nur falsch verteilt. Ich selbst bin Unternehmer und ich kenne sehr sehr reiche Menschen, einige davon auch sehr gut. Für jemanden, der arm ist muss es irgendwie komisch klingen, aber Geld macht nicht glücklich. Jeder Mensch wird von Problemen geplagt, durchlebt Krisen und Höhepunkte - einzig das Niveau ist vielleicht anders - es tut trotzdem genauso weh, oder macht genauso glücklich. Wenn das aber so ist, wo ist dann der gesellschaftliche Sinn, wenn einige Profite bis zum Erbrechen anhäufen und damit viele Menschen in eine Verelendung treiben? Ich kann dir gern beschreiben, worin für mich der Zusammenhang zwischen unermesslichem Reichtum auf der einen Seite und Armut und Verelendung auf der anderen Seite liegt. Mein Vorschlag - hier kann man die Weichen stellen, und das grundsätzlich ändern. Verdienste über einer zu definierenden Höhe sollten nicht mehr als clever, sondern als unanständig angesehen werden. Sie sollten zu hundert Prozent besteuert werden. Das wäre im Übrigen auch eine Befreiung für die Spitzenverdiener. Sie müssten nicht mehr noch mehr Geld verdienen - es lohnt sich nicht - diejenigen könnten die frei werdende Kapazität in ihr privates Wohlergehen investieren - und automatisch würden andere dadurch Chancen bekommen.
Geld, welches auf Konten angesammelt wird, schadet unserer Gesellschaft. Es ist totes Kapital, welches nicht für Arbeit zur Verfügung steht. Und es wird angehäuft, in dem wir immer mehr Arbeit reduzieren. Es gibt kaum noch Jobs für Unqualifizierte Arbeitnehmer, und die die es gibt werden mit einem Lumpenlohn bezahlt. Auch hier kann man Weichen stellen. Gemeinnützige Arbeit muss wieder als Arbeit anerkannt werden, in den Bereichen Kunst, Kultur, Bildung, Erziehung, Betreuung von Alten und Kindern, Erhaltung und Gestaltung unseres Lebensumfeld, Naturschutz usw. gibt es zahllose Betätigungsmöglichkeiten, wo hunderttausende Arbeitsplätze schlummern. Die können bezahlt werden durch die Produktivitätssteigerungen der produzierenden Industrie. Auch hier muss eine Umverteilung einsetzen. Der Profit darf nicht auf den Bankkonten einiger Weniger landen, sondern muss in die Gesellschaft direkt zurück fließen, ausgegeben werden. Angehäufter Reichtum ist totes Kapital und schädlich. Weißt du, wer der reichste Mensch der Welt gegenwärtig ist? Ein Mexikaner! Schau dir das Land an. Muss man mehr dazu schreiben?
Ein weiterer Vorschlag: Die Politik (wir begreifen uns viel zu wenig als Arbeitgeber der Politik - dabei bezahlen wir den ganzen Zirkus) muss weg von der Lobbywirtschaft, muss entflochten werden, darf nicht das ausführende Organ des Kapitals sein. In der Politik müssen neben allgemeingültigen Regeln auch neue Ziele voran gebracht werden. Dabei muss der Mensch im Mittelpunkt stehen. Beispielsweise stelle ich mir vor, dass man mit der Lärmbekämpfung in unseren Lebensräumen (heute leiden immer mehr Menschen unter Stress durch Lärm!) ebenfalls hunderttausende Arbeitsplätze schaffen kann. Aber ich denke auch an erneuerbare Energien, ökologische Landwirtschaft usw. - in dem man die Gesellschaft umbaut, wird viel Arbeit geschaffen, die Mehrwert erzeugt. Das kann produktiv gestaltbar sein. Man muss die Weichen nur stellen.
Noch ein Wort zur Finanzierung all dessen. Die Menschheit gibt pro Jahr ca. 1600 Milliarden Dollar für Waffen, Rüstung aus. Kannst du dir diese Summe vorstellen? Ich nicht. Aber - dieses Geld ist unproduktiv. Es bringt die Menschheit nicht weiter, im Gegenteil - das sind Ressourcen, die für immer verloren gehen - Schuld daran ist die falsche Weichenstellung in der Politik, schuldig sind auch die Rüstungskonzerne mit ihrer Lobby, die Machtgeilen und Gierigen - in meinen Augen gefährliche Dummköpfe - denen wir die Weichenstellung überlassen, obwohl das gar nicht nötig ist. Aber von der großen Welt zur Bundesrepublik... wir geben achtzig Milliarden? Euro Steuergeld aus, um Banken - besser Banker - vor einem Desaster zu retten, in das sie sich hinein manövriert haben. Dieses Geld hätte ich besser angelegt. Zumal die Herrschaften ja weiter machen wie vor der Krise.
Als Letztes noch ein Wort zu dem Obdachlosen auf diesem Bild. Ich habe mich von der Polizei aufklären lassen müssen, dass wir in einem freien Land leben, und jeder Mensch schlafen kann, wo er will. Dieser Mann schlief. Aus der Sicht der Polizei sicher richtig. Nur in mir rumort es, dass wir uns offenbar damit abfinden, dass es immer mehr Menschen gibt, die ins Elend total abgleiten. Oft genug hört man - selbst schuld. Stimmt ja auch - wenigstens zum Teil. Aber man kann es ändern. Wenn man beginnt, Menschen aufzuteilen in Gute und Schlechte, in diejenigen die es wert sind und diejenigen die nichts mehr wert sind, dann gerät alles aus den Fugen, dann verspielen wir unsere Geschichte, dann ist das das Ende vom Humanismus. Wer heute reich ist, und vielleicht denkt, mir doch egal, der sollte sich klar machen, dass er zu einer immer kleiner werdenden Minderheit gehört, die sich irgendwann nirgends mehr verstecken kann. Das Elend der Anderen wird zum eigenen Problem - früher oder später.
Mein Foto soll aufrütteln, Denkanstöße geben. Wenn man dann darüber diskutiert, ist das ein Anfang.
mit Interesse habe ich Eure Diskussionsbeiträge gelesen. Interessant ist, daß sich in solchen Diskussionen immer wieder die selben Thesen finden. Jürgen, natürlich hast Du Recht, wenn Du schreibst, daß Unsummen von Geld für Rüstung ausgegeben wird. Kriege werden damit bezahlt, Menschen werden getötet. Andererseits, und auch das bitte ich zu beachten (obwohl es ein für mich äußerst beängstigender Gedanke ist, der fast schon paradox klingt), werden auch durch Rüstungsausgaben Jobs geschaffen. Das ist eklig, aber es ist leider wahr.
Aber zurück zum Thema. Müssen Menschen bei uns im Land auf der Straße keben? Die klare Antwort lautet: NEIN! Es gibt wahrlich genug Geld von unserem Staat für die Armen und Bedürftigen. Und bevor jetzt direkt wieder jemand schreibt, die Hartz4-Sätze seien zu gering: Ich habe in meinem Leben von weniger gelebt, und kam damit prima zurecht. Die Frage ist einfach, ob man mit Geld umgehen kann oder nicht. Ich weiß, das klingt hart, aber es ist nun einmal meine persönliche Erfahrung. Aber ich rauche auch nicht, trinke nicht, habe auch heute noch kein Handy, kein Auto, kein Motorrad. Wer sich einschränkt, kommt prima mit dem Hartz4-Satz aus. Große Sprünge sind nicht möglich, aber es reicht.
Leid tun mir immer nur die Kinder. Dort muß die Gesellschaft ansetzen. Kinder müssen frühstmöglich in Kitas, in den Kindergarten. Es muß Ganztagsschulen geben, die Kinder müssen aus den Problemvierteln weggeholt werden. Eltern, die versagen, müssen bestraft werden. Entzug von Kindergeld sind mögliche Sanktionen. Kürzung von Hartz4 weitere Möglichkeiten.
Jürgen, Du stehst politisch, wie ich an Deinen Zeilen erkenne, äußerst links. Richtig? Aber unter uns: Du bist doch wohl nicht wirklich für Enteignung? Denn genau das ist es, was Du forderst. Linke Gesellschaften, die auf dem Kommunismus fußen, sind in der Vergangenheit gescheitert und werden künftig immer wieder scheitern. Hier sollte man sich keiner Illusion hingeben. Besser und hilfreicher sind pragmatische Ansätze.
zunächst, ich sehe mich nicht am äußersten linken Rand, ich mag auch nicht diese Kategorisierung mit links/rechts/bürgerlich usw.. Schließlich bin auch gegen eine Enteignung, wenn alles allen gehört, wird es beliebig und wertlos und genauso wird damit umgegangen. Im Gegenteil, Leistung muss sich lohnen. Am Besten finde ich zur Zeit das sogenannte Bürgergeld als Ansatz mit der Armut aufzuräumen, wie es Herr Werner propagiert. schon ein älteres Interview zu diesem Thema Wer dann mehr arbeitet, der soll auch mehr verdienen, aber eben nicht beliebig viel. Es klingt vielleicht schön und aufregend, wenn ein Top-Fußballspieler mehrere Millionen im Jahr verdient - aber - diese Millionen werden von uns allen bezahlt. Zum Beispiel durch GEZ Gebühren, durch immer teurere Tickets in den Stadien usw.. Wann immer wir jemanden bestaunen, der zum Beispiel als Boni über mehrere Millionen Euro erhält, sollten wir mal darüber nachdenken, dass wir alle, vor allem die kleinen Leute dieses Geld zusammenkratzen - man nimmt es uns ab - ob wir wollen oder nicht - in diesem Fall zum Beispiel über teure Zinsen, Bankgebühren und durch zum Beispiel Spekulation auf den Rohstoffmärkten. Gerade letztere Spekulationen machen uns das Leben schwer. Ob beim Kaffee, Getreide, bei Öl sowieso, sogar beim Wasser - überall hat man die Möglichkeit entdeckt, zu zocken. Das treibt die Preise nach oben. Der Dumme ist wiederum der Einzelne, der nun mal essen muss. Wir zahlen die Zeche. Ist das wirklich nötig, so etwas zuzulassen? Gibt es dadurch mehr Arbeit oder bessere Lebensverhältnisse? Das Gegenteil ist der Fall! Also Schluss mit der Zockerei! Alles hängt mit allem zusammen, und das macht es schwierig, aber nicht unlösbar.
Der Fluß des Geldes muss geändert werden. Hier muss Gemeinwohl vor Individualgenuß gehen. Keine Gleichmacherei, aber auch keine Abzockerei. Man muss dem entfesselten Kapitalismus Grenzen setzen, damit sich die Allgemeinheit gut entwickeln kann. Das heißt nicht, dass ich Schmarotzern, die es zweifellos gibt, ein schönes Leben bereiten will. Im Gegenteil, jeder sollte sich in der Gemeinschaft einbringen und nützlich machen. 99,99 Prozent der Menschen will das auch - davon bin ich überzeugt.
Die Kinder, damit sprichst du ein wichtiges Thema an. Jedes Kind sollte gleiche Chancen haben, sich selbst verwirklichen zu können. Das kann man nur erreichen, in dem der Staat den Hauptteil der Erziehung und Ausbildung übernimmt/anbietet, mit Kitas, Ganztagsschulen usw.. Das Geld dafür könnte man aus einem geänderten Erbrecht beziehen. Ich bin dafür, dass jeder selbst seines Glückes Schmied ist - wer also über die Maßen schuftet und erfolgreich Geld verdient hat, der soll leben wie ein König, aber wenn er stirbt, geht sein Vermögen ab einem bestimmten Betrag an den Staat. Der investiert es in Chancengleichheit der Kinder und eine KlasseAusbildung und so verteilt sich das Geld sofort neu.
Und was die Rüstungsindustrie angeht, das Argument habe ich vielfach schon gehört. Ja die Rüstungsindustrie schafft Arbeitsplätze. In den USA ist es sogar schon so schlimm, dass Rüstung und Sicherheitsindustrie die Hauptsäule der Produktivkraft der USA sind. Damit das am Laufen bleibt, braucht die USA ihre Kriege und auch ihre "Gegner". Und da wird es richtig übel. Gäbe es keine Taliban und keine Al kaida (letzteres halte ich wirklich für eine reine Erfindung der Geheimdienste), müssten sie sich neue Gegner erfinden. Nur so können sie der Gesellschaft verkaufen, warum sie soviel für Rüstung und Sicherheit ausgeben. Schon Roosevelt warnte davor, den Militärisch-Industriellen-Komplex zuviel Macht zu geben. Heute hat der MIK diese Macht längst übernommen. Das muss geändert werden.
Jeder, der dort sein Geld derzeit verdient, muss eine neue Perspektive erhalten, muss sein Geld anders verdienen können. Und das geht auch. Es gibt genug zu tun, weltweit, wo wir Arbeitskräfte in Massen brauchen, habe ich schon weiter oben beschrieben. Allein die überbordenden Gewinne für einige Wenige, die von der Rüstung heute immens profitieren (da soll es höhere Dividende geben, als würde man ins Drogengeschäft einsteigen), die fallen weg. Diese Gewinne bekommen sie direkt von uns Steuerzahlern. Wenn wir das in der Masse begreifen, können wir es ändern. Noch ein Wort zu den Fachkräften in der Rüstung - auch das ist ein Potential an Wissenschaftlern und Forschern, die wir bei einem Umbau brauchen.
und für mich stellt sich die frage...wie gastgast schon schreibt...muss man auf der strasse leben? nicht unbedingt. es gibt tatsächlich die berühmten löcher im netz des staates, das will ich nicht bestreiten, aber -als polizistin hatte ich mit wahrlich genügend obdachlosen zu tun. und nicht einer -NICHT EINER- war dabei, der NICHT an der flasche hing!
es geht mir nicht darum, dass alkis keine unterstürtzung bekommen solten. das meine ich nicht. mir geht es darum, dass alkoholiker oftmals dermaßen demotiviert und phlegmatisch sind, dass sie hilfe selbst dann nicht erkennen, wenn man sie ihnen mit einem stück brett auf die stirn nagelt. bzw, sie gar keine hilfe suchen, weil ja die schuld an ihrer misere immer bei den anderen liegt.
sie tun mir leid. sehr leid. und ich kaufe möglichst immer die obdachlosenzeitungen (manchmal drei verschiedene an einem tag), weil ich hoffe, damit wenigstens ein wenig helfen zu können. aber...wieviele von ihnen nehmen ihr leben in die hand und rennen die ämter wirklich ein?